Interview Sarah Wiener Interview Sarah Wiener: Alles auf Genuss

Halle/MZ. - Sie ist eine der bekanntesten Köchinnen Deutschlands, Autorin etlicher Rezeptbücher, kocht im TV, führt fünf Restaurants und eine Bio-Bäckerei: Sarah Wiener. Die 50-jährige Österreicherin, die ihre Kochleidenschaft in den Restaurants ihres Vaters entdeckte und 1990 ihre erste Cateringfirma gründete, ist heute Unternehmerin mit 160 Mitarbeitern. Dabei ist sie seit Jahren auch Kämpferin für einen nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln und engagiert sich unter anderem als Bio-Botschafterin des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zudem hat Sarah Wiener, die mit dem Schauspieler Peter Lohmeyer verheiratet ist, eine Stiftung „Für gesunde Kinder und was Vernünftiges zu essen“ gegründet.
Frau Wiener, wenn ich mich gut ernähren will, muss ich Döner oder Tiefkühlpizza weglassen, oder?
Wiener: Natürlich nicht. Dagegen ist erst einmal gar nichts zu sagen. Es geht mir ja nicht um ,du darfst nur dies’ oder ,du musst jenes’. Essen sollte etwas Lustvolles und Sinnliches sein. Das Problem aber ist, dass wir nicht mehr wissen, was wir essen, und dass bei industriell gefertigten Speisen Hunderte künstliche Zusatzstoffe verwendet werden. Viele Lebensmittel heute würden unsere eigenen Großeltern gar nicht mehr als solche erkennen. Da kann man nicht von gutem Essen sprechen.
Also für Sie kein Döner?
Wiener: Dann müsste ich schon wissen, woher das Fleisch kommt. Ich esse ungern Lebensmittel, von denen ich nicht weiß, wie sie angebaut oder - die Tiere - gehalten wurden. Ich will auch kein Schnitzel vom Schwein essen, das in seinem Leben im Schnitt sieben Mal Antibiotika bekommen hat, mit genmanipuliertem Mais-Soja-Schrot, angereichert mit Industrieabfällen, ernährt wurde und das aufgewachsen ist, ohne je Sonne und Wind gespürt zu haben. Ein Schwein, dem der Schwanz ohne Betäubung abgeschnitten wurde und das einen elendig langen Transport ertragen musste, um dann mit seinen Artgenossen im Zehntelsekundentakt geschlachtet zu werden. Würde ich dessen Schnitzel essen, wäre ich an diesem ganzen Prozess beteiligt. Das möchte ich nicht.
Viele Leute wollen es aber vielleicht gar nicht so genau wissen, wenn sie ein Schnitzel vor sich stehen haben.
Wiener: Das wäre ja kindisch - so, als ob man sich die Augen zuhält und sagt ,Du siehst mich nicht’. Wir müssen hinschauen und uns einmischen, wenn wir selbstbestimmt leben wollen. Oft wird auch die reine Befriedigung der Gier mit echtem Genuss verwechselt.
Was bedeutet denn echter kulinarischer Genuss für Sie?
Wiener: Das heißt für mich, mit Freude und Lust eine gute, selbstgemachte Speise zu essen, von der ich mich auch nach einer Stunde noch genährt fühle. Eine, die mit frischen Grundnahrungsmitteln zubereitet wurde. Genuss heißt für mich deshalb auch manchmal Verzicht: Zum Beispiel lieber zu warten, bis die köstliche, intensive Freilandtomate Saison hat, die in der Sonne gestanden hat, als eine hochgezüchtete Hybridtomate zu essen, die vorzeitig auf Holzwolle geerntet wurde.
Und deren Aroma nicht vergleichbar ist mit dem der sonnengereiften.
Wiener: Genau. Doch viele kennen diesen Genuss gar nicht mehr. Nach Jahrzehnten der Industrienahrung wächst jetzt eine Generation heran, die wenig mit natürlichen Geschmackserlebnissen konfrontiert wurde. Dabei muss bei jedem Menschen erst einmal ein Geschmacksgedächtnis angelegt werden. Viele Kinder erleben heute nicht mehr, dass frische Karotten jeden Tag ein anderes Aroma haben können, oder dass Rapsöl anders schmeckt als Olivenöl. Viele haben noch nie eine frische Hühnersuppe gegessen - sondern nur Tütensuppen mit Hühneraroma. Sie erleben nicht, wie sinnlich Kochen ist. Für sie ist der Einheitsgeschmack normal geworden. Und damit auch der Instinkt verloren gegangen, was dem Körper gut tut.
Haben Sie noch nie eine Tütensuppe gegessen?
Wiener: Doch, natürlich. Jedoch ist das lange her. Mit Geschmack hatte das wenig zu tun. Wir können uns ja oft gar nicht der Täuschung der Industrie und ihren stark verarbeiteten Lebensmitteln erwehren. Vor 15 Jahren wussten wir nicht, dass im industriell gefertigten Erdbeerjoghurt oft keine einzige Erdbeere steckt. Da waren wir noch begeistert, dass es 130 Joghurtsorten gibt - und wussten nicht, dass das an 130 künstlichen Aromen liegt. Und Joghurt war noch gesäuerte Milch und kein mit Milchpulver angereichertes Industrieprodukt.
Inzwischen wissen wir es besser.
Wiener: Ja. Und heute wissen wir auch, dass viele chronische Erkrankungen ernährungsbedingt auftreten: Von Allergien und Unverträglichkeiten bis zur Fettleibigkeit oder Altersdiabetes, von dem heute schon Kleinkinder betroffen sind.
Sie plädieren dafür, stets darauf zu achten, was in einem Produkt drin ist. Der Durchschnittskunde, der sich nicht wie Sie beruflich damit beschäftigt, wird das aber doch kaum schaffen bei der Fülle an Produkten und Herstellungsweisen.
Wiener: Das ist in der Tat schwierig. Das Thema Ernährung ist inzwischen so komplex geworden, dass man gar nicht mehr mitkommen kann. Es geht um landwirtschaftliche Systeme, um Tierhaltung, Medikamentenmissbrauch, genmanipulierte Mikroorganismen und, und, und... Die Nahrungsmittelindustrie weiß ja selbst mitunter nicht, was sie verarbeitet - siehe Pferdefleisch. Die Hersteller, die sich darüber empören, sind teilweise die gleichen, die an anderer Stelle in die Trickkiste greifen, um bestimmte Stoffe in ihren Produkten nicht deklarieren zu müssen. Das geht so weit, dass Grundnahrungsmittel chemisch in ihre einzelnen Bausteine zerlegt und wieder zusammengefügt werden. Enzyme müssen auf der Packung nicht deklariert werden. So kann man jedes Etikett „sauber machen“. Das nächste große Thema.
Was ist die Lösung? Bio kaufen?
Wiener: Bio ist wie ein Geländer in einem dunklen Wald, das einem Halt geben kann. Und weil die Leute ein Bedürfnis nach ehrlichen, ökologisch angebauten Lebensmitteln haben, gibt es immer mehr Bio. Doch zwischen Bio und Bio besteht ein großer Unterschied: Ein Bio-Apfel aus der Region ist nicht zu vergleichen mit dem aus China importierten Bio-Apfel im Supermarkt. Es gibt EU-Bio und Verbandsbio, wo viel striktere Vorgaben befolgt und andere Inhalte transportiert werden. Doch: EU-Bio ist noch immer besser, als gar keine Vorgaben und Kontrollen!
Was kann der Verbraucher also tun?
Wiener: Die Lösung besteht aus meiner Sicht darin, simpel und einfach zu essen. Ich spare mir den Wust aus Zusatzstoffen und Deklarationen, wenn ich Grundnahrungsmittel von Bauernmärkten verwende und selber koche. Und mich achtsamer, bewusster ernähre: Zum Beispiel, indem ich nur hin und wieder Fleisch esse, und dann aus artgerechter Haltung. Dabei aber nicht nur das Filet, sondern auch die Brust, die Schnauze, den Schwanz - eben das ganze Tier.
Zum Selberkochen haben viele heute ja aber einfach nicht die Zeit.
Wiener: Es kann ja nicht die Lösung sein, dass wir einfach alle nicht mehr kochen - im Gegenteil. Zumal Selberkochen noch einen Vorteil hat: Es schont den Geldbeutel. Ich habe es heute auch eilig, aber stehe gerade am Herd, um schnell ein Mittagessen zuzubereiten. Und manchmal tut’s doch auch einfach ein gutes Brot.
Was gibt es denn?
Wiener: Etwas, das jeder unkompliziert selbst machen kann: Ich habe Gemüse klein gehackt - Kohlrabi, Karotten, Radieschen, Sellerie. Das Ganze kommt mit Knoblauch, Zwiebeln, Schnittlauch und Petersilie in die Pfanne, dazu gibt es Nudeln. Dann wird etwas Rest-Hartkäse darüber gestreut. Fertig.
Wie lange dauert das?
Wiener: Für vier Leute bei mir ungefähr 15 Minuten, bei Ihnen eher 25. Weil ich schneller hacken kann.
Und was kochen Sie, wenn Sie Ihren Mann beeindrucken wollen?
Wiener: Keine bestimmte Speise. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. An einem lauen Sommerabend wird es zum Beispiel etwas ganz anderes geben, als wenn es draußen kalt ist. Doch wenn jemand hungrig ist und etwas köstlich Duftendes steht auf dem Tisch, dann ist die Freude doch immer groß.