1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Interview: Interview: «Enttäuschung ist Ursache für niedrige Wahlbeteiligung»

Interview Interview: «Enttäuschung ist Ursache für niedrige Wahlbeteiligung»

08.06.2009, 07:57

Magdeburg/dpa. - Enttäuschung, Frustration undInteressenlosigkeit vermutet Sachsen-Anhalts MinisterpräsidentWolfgang Böhmer (CDU) als Ursachen für die geringe Wahlbeteiligungbei der Europa- und Kommunalwahl im Land. Die Wahlbeteiligung hatteam Sonntag mit 37,8 Prozent den bisher niedrigsten Wert bei einerEuropawahl im Land erreicht. Zugleich waren am Sonntag rund zweiMillionen Sachsen-Anhalter zur Wahl kommunaler Räte aufgerufen. ImInterview «Drei Fragen, drei Antworten» der Deutschen Presse-Agenturdpa gab Böhmer auch zu, die etablierten politischen Parteien nähmenviele Probleme nicht ernst.

Warum sind aus ihrer Sicht so wenige Menschen zur Wahl gegangen?

Böhmer: «Ich rätsel da selber, muss ich ehrlich sagen. Ich bedauredas. Wir haben uns große Mühe gegeben, darauf hinzuweisen, dasssolche Wahlen wichtig sind und dass das ein demokratisches Grundrechtist und trotzdem haben wir etwa 60 Prozent der Wahlberechtigtensichtlich nicht erreicht. Die Gründe können sicherlich nicht miteinem einzigen Satz zusammenzufassen sein. Da ist Enttäuschungdahinter, da ist Frustration dahinter, gewisse Interessenlosigkeitoder die Unkenntnis dessen, was ein europäisches Parlament in Brüsselzu entscheiden hat. Trotzdem werden wir uns damit beschäftigtenmüssen. Denn das ist kein Zustand, mit dem man sich in politischerVerantwortung abfinden kann.»

Europa ist für viele zu weit weg, aber die Leute sollten ja auch zurKommunalwahl gehen. Auch da ist die Beteiligung nicht berauschend:

Böhmer: «Wir haben bewusst gesagt, wir müssen die Europa- undKommunalwahl zusammenlegen, aus Sorge, dass die Wahlbeteiligung soschlecht sein könnte. Nun haben wir das gemacht und es funktionierttrotzdem nicht. Das besorgt mich schon richtig, denn für diekommunalen Probleme gibt es eigentlich ausreichend Gründe, um zusagen, ich möchte mich an diesen Entscheidungen beteiligen. Aber dakann ich bis jetzt auch nur feststellen, dass es eine größere Zahlvon Wählerintiativen und -gruppierungen gegeben hat, freiwilligenZusammenschlüssen von Wählergruppen für mehrere Interessensbereiche.Eigentlich ist das immer ein Zeichen dafür, dass die etabliertenpolitischen Parteien ein bestimmtes Problem nicht ernst genuggenommen haben.»

Was wurde nicht ernst genug genommen?

Böhmer: «Das ist unterschiedlich. Von der Altmark da obenhöre ich, dass sich eine neue Gruppierung von Bauern gebildet hat.Offensichtlich sind das die Probleme der Landwirtschaft nichtausreichend ernst genommen worden. In anderen Städten sind das andereGruppierungen, freiwillige Bürgerinitiativen, die bestimmt Zieleverfolgen und auch nur für ein oder zwei Wahlperioden aktiv sind. Dassind Entwicklungen, die einen Schluss zulassen. Die etabliertenParteien haben Probleme übersehen.»

Was lässt sich für die Bundestagswahl lernen?

Böhmer: «Ich würde das lieber getrennt betrachten, obwohl derVerdacht naheliegt, dass auch bei der Bundestagswahl mit Sicherheitdie Wahlbeteiligung besser aber wahrscheinlich auch nicht sehr hochsein wird. Allgemein steigt die Wahlbeteiligung dann, wenn man einewichtige Entscheidungsalternative hat. Es muss also für die Wählererkennbar sein, es geht um was und ich weiß, worum es geht und kannzwischen ein oder zwei Alternativen entscheiden. Wenn der Eindruckentsteht, die wollen alle - mit unterschiedlichen Worten - eh soähnliches, dann bleiben die Leute zu Hause.»