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ICS-Strecke Leipzig/Halle und Erfurt ICS-Strecke Leipzig/Halle und Erfurt: Endspurt an der Trasse

Von Alexander Schierholz 12.11.2015, 19:20
Die beiden Lokführer Heiko Föhring (r) und Stefan Lieder steuern einen Test-ICE über die neue Unstruttalbrücke bei Karsdorf
Die beiden Lokführer Heiko Föhring (r) und Stefan Lieder steuern einen Test-ICE über die neue Unstruttalbrücke bei Karsdorf dpa Lizenz

Halle (Saale)/Leipzig - Ein Ruck geht durch den Zug, ein Alarmsignal ertönt. Unweit von Bad Lauchstädt kommt ICE „Oberursel“ abrupt zum Stehen, von 150 auf null. „Nothalt“, brummt Heiko Föhring. Der Lokführer greift zum Telefonhörer und ruft die Betriebszentrale in Leipzig an: „Hier ist 13960“, sagt er und gibt seinen Standort durch. „Was ist denn los?“

Was wirkt wie ein Szenario aus dem Drehbuch einer Testfahrt, ist ungeplant. Dabei machen Heiko Föhring und seine Kollegen auf der Schnellfahrstrecke Leipzig/Halle-Erfurt an diesem Donnerstag genau das: eine Testfahrt. Seit dem Ende der Sommerpause schult die Deutsche Bahn Lokführer für die neue Trasse. Sie soll im Dezember in Betrieb gehen und die Fahrzeiten deutlich verkürzen. Von Halle nach Erfurt etwa geht es dann in 35 Minuten, eine Dreiviertelstunde schneller als heute.

Die Einweisungen sind Standard; jede neue Strecke erfordert sie. Auf der Neubautrasse muss sich das Bahn-Personal zudem mit dem neuen Zugsicherungssystem ETCS vertraut machen. Zwischen Leipzig/Halle und Erfurt stehen entlang der Gleise keine Signale mehr. Vielmehr bekommt der Lokführer seine Anweisungen von der Betriebszentrale in Leipzig per Funk auf einen Bildschirm im Führerstand - ein Novum in Deutschland.

Die Bahn ist im Endspurt. Ein Monat vor dem Start der neuen ICE-Trasse herrscht angespannte Normalität. Die Bedingungen, um rechtzeitig die endgültige Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde, des Eisenbahnbundesamtes (Eba), zu bekommen, seien zu 99 Prozent erfüllt, sagt Projektleiter Olaf Drescher.

Vor wenigen Monaten sah das noch anders aus. Im Juni war bekannt geworden, dass das Eba die Freigabe aller sechs Brücken auf dem rund 120 Kilometer langen Abschnitt zwischen Halle/Leipzig und Erfurt verweigert. Streitpunkt war die sogenannte feste Fahrbahn. Dabei liegen die Gleise nicht in Schotter, sondern werden direkt auf Beton montiert. Das System gilt vor allem bei hohem Tempo als weniger verschleißanfällig. Auf anderen Strecken ist es bereits Standard. Auf den Brücken ist allerdings eine modifizierte Variante verbaut, die es so bisher nicht gab.

Die Eba-Experten befürchteten, dass das Gleisbett durch die hohe Last eines ICE-Zuges mit Tempo 300 in Bewegung geraten könnte. Die Bahn hält das für unwahrscheinlich. Nach mehren Krisensitzungen einigten sich Bahn, Behörde und Bund auf Nachbesserungen: Die Bahn hat die Fahrbahn auf den Brücken nun rechts und links zusätzlich mit Betonblöcken stabilisiert. Im Abstand von zehn Metern wurden 1 500 solcher Elemente eingebaut. Kostenpunkt: knapp eine Million Euro. Zahlen muss laut Bahn der Hersteller der Fahrbahn-Konstruktion, der auch für den Antrag auf Zulassung beim Eba verantwortlich sei. Projektleiter Drescher rechnet nun fest mit einem Freigabe-Stempel: „Wir haben alle Auflagen eins zu eins umgesetzt.“ Am Wochenende erwartet er den Bericht eines Gutachters, der genau das bestätigen soll. Das Eba habe erklärt, das Ergebnis der Überprüfung zu akzeptieren.

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Kurios daran: Diese „unabhängige Bewertungsstelle“ ist bei der Bahn-Tochter DB Netze angesiedelt, mithin bei dem Unternehmen, das die Strecke betreiben wird. Im Prinzip erteilt sich die Bahn am Ende also selber die Freigabe. Drescher versichert, der Gutachter sei weisungsungebunden. „Der Trend geht generell dahin, dass sich der Betreiber selbst um die Zulassung kümmert, nicht mehr staatliche Stellen.“ Das Eba habe dann nur noch eine Aufsichtsfunktion. In anderen Branchen, etwa im Flugzeugbau, sei das schon lange Standard.

Beim Blick aus dem Führerstand von ICE „Oberursel“ sind die zusätzlichen Betonelemente am Gleis nicht zu übersehen. Lokführer Heiko Föhring beschleunigt den Zug wieder. Die Betriebszentrale hat ihm nach dem Stopp bei Bad Lauchstädt die Erlaubnis zur Weiterfahrt erteilt. Sein Kollege Stefan Lieder sitzt neben ihm und dokumentiert den Vorgang in einem Formular. Ist das nicht anachronistisch, angesichts der High-Tech-Züge der Deutschen Bahn? Lieder lacht: „Man möchte eben immer noch einen Nachweis auf Papier.“

Lieder, 35, arbeitet seit sechs Jahren als Lokführer für die Fernverkehrssparte der Bahn. Seine Einweisung für das neue Zugsicherungssystem ETCS hat er schon hinter sich - eine Woche Schulung. Was anders ist am neuen System? „Der Unterschied ist nicht so groß“, sagt er. „Bisher mussten wir auf die Signale entlang der Strecke achten. Jetzt müssen wir eben konzentriert aufs Display schauen.“ Dort läuft alles auf, was die Lokführer wissen müssen.

Mit Informationen gefüttert wird das System in der Betriebszentrale der Bahn in Leipzig. Insgesamt 350 Fahrdienstleiter steuern hier rund um die Uhr die Züge auf zwei Drittel der Hauptlinien in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen - ein Netz von rund 1 700 Kilometern Länge. Sie stellen Weichen und Signale und sorgen so dafür, dass die Züge möglichst rasch und sicher ans Ziel kommen. René Breuer, 49, sitzt vor Bildschirmen voller Gleispläne und Diagramme. „Wenn man 30 Jahre lang Signale geschaltet hat, ist das schon eine Herausforderung, dass es an der neuen Strecke keine mehr gibt“, sagt er. Andererseits: „Ich bin schon so lange bei der Bahn, für mich ist es normal, dass etwas neu ist.“ 8mz)

Links nach Halle, rechts nach Leipzig - mit rund sechs Kilometern ist die Saale-Elster-Talbrücke südlich von Halle die längste Brücke Deutschlands.
Links nach Halle, rechts nach Leipzig - mit rund sechs Kilometern ist die Saale-Elster-Talbrücke südlich von Halle die längste Brücke Deutschlands.
Andreas Stedtler Lizenz