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"Ich habe nichts gewusst"

24.11.2011, 20:45

Merseburg/MZ. - Roland Schimek galt bis zum Schluss als eine Art Heilsbringer. Der Mann aus der Wirtschaft, der die Leuna-Sanierungsgesellschaft leitete, sollte den Eigenbetrieb für Arbeit im Altkreis Merseburg-Querfurt und später im Saalekreis erfolgreich führen: mit dem Fachverstand eines Unternehmers, nicht dem eines Beamten. Dass Schimek parallel für eigene Firmen arbeitete, war bekannt. Dass er mit sich selbst Geschäfte machte, Langzeitarbeitslose unter anderem in seine Betriebe vermittelte und dafür Zuschüsse und Provisionen kassierte, will bis zum Schluss hingegen niemand gewusst haben. Seine Praktiken legt nun der Bericht der Rechnungsprüfer offen. Über die Konsequenzen sprachen die MZ-Redakteure Dirk Skrzypczak und Undine Freyberg mit dem Landrat des Saalekreises, Frank Bannert (CDU), der in der Krise selbst massiv unter Druck geraten war.

Herr Bannert, wie ist der Prüfberichtzu werten?

Bannert: Da ergeben sich zwei Aspekte. Die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in Schimeks Firmen hat nach Ansicht der Prüfer weder dem Kreis noch den betroffenen Menschen geschadet. Die Bearbeitung der Leistungen ist nach dem Vier-Augen-Prinzip durch jeweils zwei Mitarbeiter erfolgt. Dass Schimek die Bescheide selbst unterzeichnet hat, obwohl er es nicht durfte, steht auf einem anderen Blatt. An sich selbst aber Provisionen auszuzahlen, ist aus unserer Sicht grob rechtswidrig. Er hat unser Vertrauen missbraucht. Deshalb wollen wir ihn fristlos kündigen. Und wir fordern 48 000 Euro Provisionen zurück, die er unrechtmäßig angewiesen hat.

Laut den Prüfern soll Schimek Arbeitslose in 25 Fällen an eigene Firmen vermittelt haben. Kann der Sumpf noch tiefer sein?

Bannert: In diesen 25 Fällen im Wertumfang der genannten 48 000 Euro erfolgte die Vermittlung innerhalb von Firmen, in denen Herr Schimek mehrheitlicher Gesellschafter ist. In diesen Fällen ist die Verflechtung vom Rechnungsprüfungsamt festgestellt worden. Der Zahlungsanspruch war nicht begründet. Die Mittel, um mögliche Verflechtungen herauszubekommen, sind begrenzt. Geschäftsführer kann man über das Handelsregister relativ einfach finden. Herauszubekommen, wo jemand Gesellschafter ist, ist komplizierter. Interessant wäre aber, ob noch weitere Vermittlungsprovisionen geflossen sind.

Hatten Sie schon einen Anruf von der Staatsanwaltschaft?

Bannert: Nein. Es ist aber verabredet, dass wir den Prüfbericht der Staatsanwaltschaft übermitteln. In diesem Verfahren werden wir so transparent wie möglich sein.

Herr Schimek war einer Ihrer wichtigsten leitenden Angestellten. Wenn so eine Person stürzt, schlägt das Wellen. Auch Sie sind zwischenzeitlich in den Strudel geraten. HabenSie sich etwas vorzuwerfen?

Bannert: Wenn dem so wäre, wäre ich schon nicht mehr im Amt - und zwar aus freien Stücken. Ich habe weder etwas gewusst, noch Herrn Schimek gedeckt. Dass manche Leute jetzt Köpfe rollen sehen wollen, ist immer eine Begleiterscheinung von derartigen Vorgängen. Mein Kopf steht jedenfalls nicht zur Verfügung.

Herr Schimek sollte seine Firmenbeteiligungen vorlegen, wurde 2010 bei der Vertragsverlängerung festgelegt. Getan hat er es nicht. Warum haben Sie nicht nachgehakt?

Bannert: Der Vertrag gilt doch erst seit diesem Jahr. Schimek, das ist festzuhalten, war in der Bringepflicht. Dass er diese nicht erfüllte, heißt doch nicht gleich, dass er etwas verschweigen wollte.

In der Kreispolitik gibt es Stimmen, die Ihnen eine gütliche Einigung mit Herrn Schimek anraten. Werden Sie sich mit ihm treffen?

Bannert: So etwas ist mit mir nicht zu machen. Wenn jemand das Vertrauen derart missbraucht hat, kann man das nicht einfach mit einer Abfindung regeln. Dazu wäre ich unter keinen Umständen bereit.

Herr Schimek ist offenbar ein cleverer Geschäftsmann mit einem stattlichen Firmenimperium. Hat er im Eigenbetrieb so wenig verdient, dass er die Nebenjobs brauchte?

Bannert: Es gibt verschiedene Motive, warum man Nebenjobs ausübt. Über das Gehalt von Herrn Schimek darf ich aus Datenschutzgründen nicht sprechen. Nur so viel: Er hat nicht in der Königsklasse gespielt. Aber egal, ob jemand viel oder wenig verdient: rechtswidriges Verhalten ist in keinem Fall zu akzeptieren.

Von Mitarbeitern kommen Vorwürfe, dass Herr Schimek selten im Eigenbetrieb anzutreffen war. Hatte er mehr mit seinen eigenen Firmen zu tun?

Bannert: Für mich ist es ein Phänomen. Plötzlich stehen Leute auf und sagen, er hätte seine Arbeitszeit nicht eingehalten. Wo waren diese Kronzeugen der Anklage damals? Warum haben sie sich nicht gemeldet? Es gab weder anonyme Briefe noch Hinweise an mich oder die Mitglieder des Betriebsausschusses.

Uns haben Mitarbeiter gesagt, dass sie kein Vertrauen in die Kreisverwaltung hatten, weil Sie Herrn Schimek decken würden.

Bannert: Blödsinn. Diese Leute hätten doch nicht zu mir kommen müssen. Es gibt genügend Ansprechpartner im Ausschuss oder im Personalrat. Dort war aber niemand. Auch anonyme Hinweise gab es nicht, die mir bekannt sind. Ich selbst hatte keinen Anhaltspunkt zu glauben, dass Schimek seine Pflichten vernachlässigen würde. Im Gegenteil. Schimek war deutschlandweit für den Eigenbetrieb unterwegs. Ich selbst habe die Dienstreisen genehmigt.

Es fällt schwer, zu glauben, dass Schimek über Jahre seine Firmen in die Vermittlungen einbezogen hat, ohne dass irgendjemand Verdacht schöpfte.

Bannert: Die Rechnungsprüfer haben keine Anhaltspunkte gefunden, dass Mitarbeiter wussten, wer genau hinter den Firmen steckt, die Zuschüsse bekommen haben. Wenn es tatsächlich bekannt gewesen wäre, hätte man es aus meiner Sicht nicht geheim halten können. Noch einmal: Wir reden laut Prüfbericht bei den Eingliederungszuschüssen von 30 Vermittlungen bei rund 2 900 Vorgängen in sieben Jahren. Die Mitarbeiter selbst konnten wir nicht mehr befragen. Ihre befristeten Verträge sind ausgelaufen.

Wird es als Konsequenz der Affäre jetzt eine Überprüfung anderer Führungskräfte im Eigenbetrieb geben?

Bannert: Wir stellen niemanden unter Generalverdacht. Wenn der Staatsanwalt von einem Straftatbestand ausgeht, wird er weiter ermitteln. Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten geprüft.

Ein von der Bundesagentur für Arbeit vorgefertigtes Formular für einen Antrag auf Auszahlung eines Vermittlungsgutscheins ist beim Eigenbetrieb geändert worden. Der Passus mit der persönlichen Verflechtung fehlt. Wussten Sie davon?

Bannert: Ich habe erst am 26. Oktober in der Mitteldeutschen Zeitung davon erfahren. Und es ist derzeit nicht ermittelbar, wie das geänderte Formular zustande gekommen ist. 2005 und ’06 war der Eigenbetrieb in einer Experimentierphase und hat damals viele Dinge anders angefasst als die Arbeitsagentur. Beispielsweise waren die Modalitäten zur Zahlung von Provisionen anders als bei der Agentur. Warum Mitarbeiter nicht stutzig geworden sind, weiß ich nicht.

Ist Ihnen bekannt, dass vom Eigenbetrieb ABM-Kräfte nach Halle - unter anderem ins Landesmuseum für Vorgeschichte - vermittelt wurden? (Roland Schimek ist Vorsitzender des Fördervereins des Landesmuseums - Anmerkung der Redaktion) Ist das überhaupt rechtens?

Bannert: Auch dazu haben wir eine Prüfung veranlasst. Das Ergebnis liegt aber noch nicht vor. Aber ich erwarte es mit Spannung.

Wie wollen Sie einen neuen Chef oder eine neue Chefin für den Eigenbetrieb finden?

Bannert: Das wird auf jeden Fall sehr schwer werden, denn für diesen Job braucht man jemanden mit Talent, der sich auch auf dem politischen Parkett bewegen kann. Ich gehe davon aus, dass wir die Stelle ausschreiben werden. Darüber wird im Kreistag gesprochen. Ebenso schwer wie die Personalie dürfte es sein, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Denn dass der Eigenbetrieb mit seinen Mitarbeitern eine gute Arbeit leistet, interessiert zurzeit niemanden.