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Hochwasserschutz in Wörlitz  Hochwasserschutz in Wörlitz : Die Schwachstelle im Deich

Von Christian Schafmeister 26.07.2015, 18:01
Die freie Sicht vom Wallwachhaus aus Richtung Elbe sollte durch den Deich nicht versperrt werden.
Die freie Sicht vom Wallwachhaus aus Richtung Elbe sollte durch den Deich nicht versperrt werden. A. Stedtler Lizenz

Wörlitz - Wer in der Nähe von Wörlitz im Landkreis Wittenberg entlang des Deiches wandert, dem eröffnen sich wunderbare Aussichten. Auf der einen Seite liegt die nahezu unberührte Auenlandschaft der Elbe, auf der anderen Seite reicht der Blick bis in den berühmten Wörlitzer Park, der zum Weltkulturerbe der Unesco gehört. Und die Stille in der herrlichen Landschaft wird nur unterbrochen durch das gelegentliche Zwitschern einiger Vögel.

Uwe Zimmermann kann diese Idylle indes nicht entspannt genießen. Denn an einem der historischen Wallwachhäuser treibt dem Bürgermeister der Stadt Oranienbaum-Wörlitz ein Blick auf die Deichkrone Sorgenfalten ins Gesicht. Zwar wurde der Deich in dem gesamten Bereich nach dem Hochwasser 2002 erneuert und erhöht. Doch an dem historischen Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, das zum anhaltischen System der Deichüberwachung gehörte, wurde auf mehr als 100 Meter Länge auf die Erhöhung der Deichkrone verzichtet - und damit eine Gefahrenstelle bei künftigen Hochwassern an der Elbe geschaffen.

Sichtachsen sind wichtig

Der Denkmalschutz habe damals auf den Sichtachsen in der Landschaft bestanden, erzählt der Kommunalpolitiker der Linken. „Doch die Begründung erschließt sich mir bis heute nicht“, betont Zimmermann. Zumal die Sicht vom Wallwachhaus Richtung Wörlitzer Park durch den Deich nicht beeinträchtigt wird. Denn der liegt auf der anderen Seite des historischen Gebäudes, also der Auenlandschaft zugewandt. Das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie erklärt die besondere Bedeutung, die das Gebäude noch heute hat, aus seiner historischen Funktion heraus. „Zur Denkmalaussage gehört wesentlich, dass im Hochwasserfall aus dem Obergeschoss des Hauses heraus Sichtkontakt zur Wasserseite möglich ist, um einen guten Überblick über die Hochwassersituation zu erhalten“, teilte die Behörde der MZ auf Anfrage mit.

Schwachstelle wurde in Kauf genommen

Das bedeutet konkret, die heutige Schwachstelle, die sich aus der Delle im Deich ergibt, wurde bei der damaligen Entscheidung in Kauf genommen, um auch weiter einen freien Blick in die Auenlandschaft zu haben. Weiter erklärte das Landesamt: „Eine Deicherhöhung über den Bestand von 2002 hinaus hätte nicht nur die Denkmalwirkung des Gebäudes erheblich beeinträchtigt, sondern auch den baulichen Bestand arg bedrängt und seine Nutzbarkeit gefährdet.“

Genutzt wird das historische Gebäude, das im Besitz der Kulturstiftung Dessau Wörlitz ist, als Wohnung. Seit Januar 2010 ist es nach Auskunft der Stiftung neu vermietet. Mieter ist Harald Meller, Direktor des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie. Von der damaligen Entscheidung profitiert also heute der Direktor der Behörde, die sich in der Vergangenheit immer gegen eine Deicherhöhung vor dem Wallwachhaus ausgesprochen hat. Das Landesamt in Halle versichert jedoch, dass Meller „an dem intensiven Abstimmungsprozess zu keinem Zeitpunkt beteiligt war oder darauf Einfluss genommen hat“.

Konflikte mit dem Denkmalschutz

Auch Meller selbst betont, „dass es zu keiner Einflussnahme meinerseits in Bezug auf die Deicherhöhung kam“. Er habe sich jedoch entschlossen, das Gebäude „auf eigene Kosten durch Sanierung wieder bewohnbar zu machen“, als er vom „traurigen Zustand“ des Hauses erfahren habe. „Die Anmietung erfolgt also aus privatem Interesse, denkmalpflegerischem Enthusiasmus, aber nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen“, teilte er der MZ mit. Schließlich wende er für das Gebäude ein „Mehrfaches des ortsüblichen Mietspiegels auf“.

Burkhard Henning erinnert sich derweil noch genau an die Konflikte, die es in den Jahren nach 2002 bei der Erhöhung des Deiches mit dem Denkmalschutz gegeben hat. „Da ist damals jeder Meter einzeln verhandelt worden“, berichtet der Direktor des Landesbetriebes für Hochwasserschutz, dem auch die Schwachstelle des Deiches vor dem alten Wallwachhaus seit dieser Zeit gut bekannt ist.

Lesen Sie auf der kommenden Seite, wie der Sprecher des Landkreises und der Bürgermeister die Situation einschätzen.

Nicht zu verhandeln sei bei der Erhöhung zwar der sogenannte Bemessungswert gewesen, eine Art Mindesthöhe. „Die muss zwingend eingehalten werden“, erklärt Henning. Hinzu kommt aber meist noch ein Aufschlag, der bei einem Hauptdeich wie in Wörlitz an einem Fluss wie der Elbe nach Meinung der Hochwasser-Experten zwischen 50 und 100 Zentimeter betragen sollte. Am Wallwachhaus jedoch sei dieser Aufschlag „bis auf wenige Zentimeter“ entfallen, sagt Henning.„Es wäre schön, wenn es anders gekommen wäre, aber wir ticken da halt nicht so wie der Denkmalschutz.“ Heutzutage, heißt es im Landesbetrieb hinter vorgehaltener Hand, würde man sich auf so eine Lösung nicht mehr einlassen.

Genehmigt wurde, was beantragt wurde

Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Formal genehmigt wurde der Deichbau damals zwar vom Landkreis Wittenberg, doch eine zentrale Rolle spielte die Einschätzung das Landesamtes für Denkmalpflege als Gutachterbehörde. „Wir haben nur das genehmigt, was auch beantragt worden ist“, sagt Ronald Gauert, Sprecher des Landkreises. Die entscheidenden Absprachen hätten im Vorfeld der Landesbetrieb für Hochwasserschutz und der Denkmalschutz getroffen. Doch nicht nur der Landkreis hebt heute abwehrend die Hände, sondern auch das Landesverwaltungsamt in Halle - immerhin die obere Denkmalschutzbehörde in Sachsen-Anhalt. Sprecherin Denis Vopel bestätigt zwar, dass „der Erhalt der Blickbeziehungen entscheidend war“ bei der Entscheidung, verweist ansonsten aber auch auf das Landesamt für Denkmalpflege. „Wir haben in dem Verfahren damals nicht federführend agiert“, betont Sprecherin Vopel.

Stadt steht in der Pflicht

Agieren und reagieren muss bei einem erneuten Hochwasser an der Elbe aber Bürgermeister Zimmermann. Denn Wörlitz hat sich im Jahr 2011 - also ein Jahr nach dem Beginn des neuen Mietverhältnisses für das Wallwachhaus - vertraglich verpflichtet, die Gefahrenstelle an dem Gebäude abzusichern. „Das war ein Eigentor“, ärgert sich der Bürgermeister, der damals noch nicht im Amt war. Konkret hieße das, die Delle im Deich müsste mühsam mit Sandsäcken aufgefüllt werden, um die Höhe der restlichen Deichkrone zu erreichen. Mobile Schutzsysteme, wie sie etwa die Kulturstiftung für den Wörlitzer Park zur Verfügung hat, fehlen der Kommune.

Und das Wallwachhaus selbst? Aus dem Gebäude könnte Meller dann zwar - wie im 18. Jahrhundert geplant - das Hochwasser in der Aue beobachten und „Sichtkontakt zur Wasserseite“ halten, wie es seine Behörde formuliert. Der Unterschied ist nur der, dass das alte Gebäude heute für den Hochwasserschutz keinerlei Bedeutung mehr hat. „Wir jedenfalls brauchen das Wallwachhaus nicht mehr“, betont Burkhard Henning. (mz)

Das Wörlitzer Gartenreich ist ein Paradies. Beliebt sind unter anderem die Bootsfahrten.
Das Wörlitzer Gartenreich ist ein Paradies. Beliebt sind unter anderem die Bootsfahrten.
dpa Lizenz