Hochschule Anhalt Hochschule Anhalt: IntegrationTröglitz zum Trotz

Köthen - Igo Oliviera d. Freitas, Deepak Ke, Bo Wang, Paucarima Guevara ... 30 fremdklingende Namen zeigt das Klingelschild eines Studentenwohnheims in Köthen, alle leben sie in kleinen Wohngemeinschaften zusammen: Drei Zimmer - das größte jeweils mit Balkon -, kleine Küche, Bad. Fünf Etagen, mehrere Häuserreihen. Streit? „Den gab es hier noch nie“, sagt Emiliano Costa Gomes. Der 20-jährige Brasilianer studiert an der Hochschule Verfahrenstechnik, im September will er ein Praktikum in der Landsberger Brauerei beginnen.
Gomes ist einer von mehr als 2 000 internationalen Studenten der Hochschule Anhalt, die in ihren drei Standorten Bernburg, Dessau und Köthen knapp 100 verschiedene Länder vereint. Ein Multikulti, an das kaum eine andere Hochschule in Deutschland heranreicht. So viele Sprachen, Sitten und Eigenheiten - wie kann das funktionieren? „Recht eigentlich gelingt es fast von alleine, denn Studenten sind per se offen für alles. Der gelebte Alltag mit viel Teamarbeit oder auch Sportangeboten unterstützt die soziale Komponente“, erklärt Pressesprecherin Eileen Klötzer. „Dazu organisieren wir zahlreiche Aktionen und Programme sowie eine intensive Betreuung unter den Studenten, die zum einen den Aufenthalt in Deutschland erleichtern und zum anderen den Austausch unter den Studenten anregen.“
Hilfe zum perfekten Start erhalten Studiengäste etwa über das „Buddy-Programm“ der Hochschule. Ehrenamtlich übernehmen deutsche Studenten die Betreuung der ausländischen Kommilitonen - vor allem in der Anfangsphase. Anja Träger ist eine der insgesamt 14 Buddies, die es in diesem Semester am Standort Köthen gibt. Drei Brasilianer wurden ihr zugeteilt, denen sie nicht nur das Campusgelände vorstellt, sondern diese bis hin zu Behördengängen in allem unterstützt.
„Das ist schon eine ganz schöne Verantwortung, gerade wenn es um Wohnungsschlüssel oder Visum verlängern geht. Aber das war mir von Anfang an klar und die Erfahrung wollte ich nicht missen“, erklärt die 24-Jährige, die sich selbst eine Wohnung mit einer Iranerin teilt. Alle zwei Wochen organisiert sie gemeinsam mit Kommilitonen im internationalen Studententreff „Orangerie“ in der Martinskirche die Veranstaltungsreihe „Coffee & Cake“, in der durch gemeinsame Treffen ausdrücklich Berührungsängste abgebaut werden sollen.
„Hello beautiful people“ lautet nicht einfach nur der Gruß auf der Facebookseite, er spiegelt die offene Grundhaltung der jungen Generation wider. Wer sich mit den landestypischen Lebensgewohnheiten noch nicht auskennt, sollte die regelmäßig stattfindenden Landesabende in der Orangerie nicht verpassen: Jordanischer Abend, Marokkanischer Abend - alle kommen, probieren die selbstgemachte, typische Küche, spielen traditionelle Musik und tanzen dazu. Unterhalten wird sich auf deutsch. „Außer wir sind mal unter uns, dann sprechen wir schon mal portugiesisch“, verrät Emiliano Gomes.
In dem engen Zusammenleben werden natürlich auch Unterschiede zwischen den Nationen deutlich. „Ich denke, wir Brasilianer duschen viel öfter als alle anderen hier. Zwei bis drei Mal am Tag mindestens“, sagt Gomes. Schließlich sei es in Brasilien so warm.Von einem Franzosen weiß er, dass dieser nur alle vier Tage duscht. Der Iraner Esmaeil Hassan Zadeh studiert seit drei Jahren Biomedizintechnik in Köthen.
Der 31-Jährige spricht persisch, arabisch, indisch, englisch. Nur mit einer Sache hatte er starke Schwierigkeiten: „Bei uns zu Hause spielt Pünktlichkeit keine Rolle“, erzählt er. „Aber ich habe das jetzt gelernt und finde es sehr gut.“ Gomes lacht zustimmend und sagt: „Ja, bei uns ist das ähnlich. Bei Partys bestellen wir die Leute gleich zwei Stunden eher, damit dann alle wirklich da sind, wenn’s los geht.“ Wenn die Brasilianer - das Partyvolk - einladen, gibt es traditionell Feijoada, eine Art Eintopf aus Bohnen und Fleisch.
„Das schmeckt wahnsinnig lecker“, bestätigt Anja Träger. „Neulich waren wir etwa 20, die in einer Wohnung gefeiert haben. Mein Buddy Luiz hat Gitarre gespielt, wir haben Bilder vom Karneval anguckt, es war einfach schön.“ Schwierig werde es dabei für Studenten wie Julio aus Marokko, der wegen des Ramadan derzeit nur zwischen Sonnenuntergang und -aufgang essen und trinken darf. „Neulich saß er beim Gitarrenunterricht und starrte wie besessen auf seine Uhr, bis sie endlich 21.39 Uhr anzeigte. Erst dann durfte er wieder etwas zu sich nehmen“, erinnert sich Anja Träger. „Das ist schon hart.“
Auch außerhalb der Hochschule gab es in diesem Jahr zahlreiche Aktionen. So wurde im April im Rahmen einer interkulturellen Projektwoche an der Freien Schule Anhalt, mit der es auch einen Kooperationsvertrag gibt, gemeinsam gekocht und gesungen. Mit den Schülern der Grundschule „Regenbogenschule“ legten internationale Studenten ein Blumenbeet an und im Juni unterstützen fünf Hochschüler aus fünf Nationen ein Kindertagsprojekt in Gröbzig.
Im Juni erst war die Hochschule erneut beim vom Bundesministerium für Bildung und Forschung organisierten Audit „Internationalisierung der Hochschulen“ vertreten. Dort wird deren Arbeit reflektiert, unterstützt und das Siegel für die internationale Ausrichtung bestätigt.
Wasser auf die Mühlen der Hochschule, die sich längst schon mit der Ausrichtung des nächsten internationalen Studententag beschäftigt. Seit mehr als zehn Jahren wird jeweils im Herbst Toleranz und Verständigung zelebriert. Und zwar nicht nur unter den Studenten, sondern auch mit vielen Köthenern und Gästen aus der Politik, so vor drei Jahren auch dem Ministerpräsidenten Reiner Haseloff. (mz)
Der nächste Internationale Studententag findet am 5. November in Köthen in der Martinskirche statt.