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Handwerk Handwerk: Handschuh für vier Finger kommt aus Magdeburg

Von Silke Katenkamp 22.12.2011, 09:01
Der Handschuhmachermeister Claus Schmidt fertigt in seiner Werkstatt in Magdeburg Maßhandschuhe. (FOTO: DPA)
Der Handschuhmachermeister Claus Schmidt fertigt in seiner Werkstatt in Magdeburg Maßhandschuhe. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Magdeburg/dpa. - Handschuhe gibt es im Kaufhaus - oder, maßgefertigt, bei ClausSchmidt in Magdeburg. Er ist einer der letzten HandschuhmacherDeutschlands - und wohl der Einzige, der Handschuhe für Menschenfertigt, deren Hände nicht ins Schema F passen.

Einmal, erzählt der Handschuhmacher, habe dieserverzweifelte Mann vor ihm gestanden. «Riesengroße Hände hatte der. Sogroß waren die, dass sie kaum auf eine DIN A4 Seite passten.» Ob erihm ein paar Handschuhe für den Winter fertigen könnte, habe der Manngefragt. Claus Schmidt konnte. «Es waren die ersten Handschuhe, dieer jemals besessen hat.»

Fälle wie diese sind für Claus Schmidt nichts Besonderes. Der 78Jahre alte Handschuhmacher ist außergewöhnliche Kunden gewohnt. Seitmehr als 50 Jahren fertigt er in seiner Werkstatt in MagdeburgLederhandschuhe nach Maß. Für Jedermann, meist aber für Menschen,deren Hände nicht ins Schema F passen. Riesengroße Hände. Hände, andenen ein oder mehrere Finger fehlen. Oder die Finger unterschiedlichgroß sind. Hände, deren Nerven so empfindlich sind, dass sie denStandardhandschuh aus dem Kaufhaus nicht vertragen.

Schmidt ist in Deutschland wohl der einzige Handschuhmacher, dersich auf Handschuhe für versehrte Hände spezialisiert hat. «Uns istsonst niemand bekannt, der das macht», sagt Manuela Schneemann. Siearbeitet für ein Berliner Unternehmen, das Orthopädietechnikverkauft. Eines von mehr als 300 in Deutschland, die regelmäßig beiSchmidt ordern - und deren Kunden meist Schlimmes erlebt haben.Arbeits- oder Autounfälle zum Beispiel. Oder deren Finger wegenKrankheit amputiert werden mussten.

«Handschuhe für solche Hände müssen passgenau sitzen undeinwandfrei verarbeiten sein», erklärt Schmidt. «Denn wenn es drücktoder scheuert, dann schmerzt es.» Der Handschuhmacher steht mit einerschwarzen Schürze um den Hals in seiner Werkstatt in einemMagdeburger Hinterhof. In den Händen hält er ein feuchtes, schwarzesLederstück, das so groß ist wie eine Badezimmermatte. Aus dergefärbten Lammhaut will Schmidt an diesem Dezembermorgen ein PaarDamenhandschuhe machen - für eine Frau, die an der rechten Handkeinen kleinen Finger mehr hat.

Dabei geht er vor, wie bei einem ganz normalen maßgeschneidertenModehandschuh - und wie es die Handschuhmacher schon vor Hundertenvon Jahren gemacht haben.

Mit kräftigen Armbewegungen zieht Schmidt das Lammleder über dieKante einer großen Holzplatte, einmal nach links, einmal quer. Dannbreitet er es vor sich auf dem Tisch aus und pudert es mit feingemahlenem Talk. «Erst dann kann ich ganz genau die Fehlstellensehen», sagt Schmidt. Die Stellen also, an denen sich das Tiergescheuert oder verletzt und dabei Löcher oder Druckstellen in derHaut zurückgelassen hat. «Da müssen wir ganz genau hingucken.Handschuhe mit solchen Stellen will keiner haben.»

Die Auswahl des Werkstücks gilt unter den Handschuhmachern alsanspruchsvollster Arbeitsgang. Kein Zentimeter soll verschwendet, dasLeder optimal genutzt werden. Denn es ist teuer. Gerade erst hatSchmidt 1500 Euro für eine Lieferung von zwölf Peccary-Fellenbezahlt. Handschuhe aus der geschmeidigen Haut des südamerikanischenWasserschweins sind das Teuerste, was es in Schmidts Laden zu kaufengibt.

Je nachdem, wie der Handschuh verarbeitet ist, welches Futter erhat oder welche Verzierungen ihn schmücken, kann er bei mehr als 150Euro liegen. «Das ist aber eher was für Liebhaber», sagt Schmidt. Dernormale Kunde bevorzuge günstigere Varianten, die ab 45 Euro zu habensind. Damen mögen eher Handschuhe aus weichem Lamm- oder feinemZiegenleder, Männer Hirschleder, das eine gröbere Narbung hat.

Um dem Handschuh die richtige Passform zu geben, muss Schmidt dasLeder vor dem Zuschneiden dehnen. Dafür zieht er die Haut immerwieder in ihrer vollen Länge über die Tischkante. «Das kostet sehrviel Kraft.» Die holt Schmidt sich aus den Beinen. Beim Ziehen stemmter sich vom Fußboden ab. Immer wieder, den ganzen Tag. «Das istwahnsinnig anstrengend.» Früher, sagt er, habe er sich häufiggewundert, weil sein Vater sich während der Arbeit so oft hinsetzte.«Jetzt weiß ich, warum.»

1955 haben Schmidt und sein Vater die Werkstatt in Magdeburggemeinsam aufgebaut. Der Beruf des Handschuhmachers war damals keineSeltenheit. Besonders viele Anhänger der Zunft fertigten zum Beispielin Johanngeorgenstadt im Erzgebirge. Im 20. Jahrhundert galt daskleine Städtchen als ein Zentrum der Handschuhmacherei. Dann kam dieWende - und billigere Ware der ausländischen Konkurrenz überschwemmteden Markt. «Die meisten Handschuhmacher haben das nicht überstanden»,sagt Schmidt.

In Deutschland stirbt der Beruf mittlerweile aus. Bundesweit gibtes nur noch etwa ein Dutzend Handwerker, die wie SchmidtLederhandschuhe nach Maß fertigen. Die Münchner Firma Roeckl fertigtzudem als - nach eigenen Angaben - einziges Unternehmen inDeutschland noch Maßhandschuhe in einer eigener Produktionswerkstatt.

Für Handwerker wie Schmidt bringt der Seltenheitswert Probleme mitsich. «Es gibt für uns kein Werkzeug mehr», sagt er. Er steht jetztvor einer großen Stanze, mit der er die Form der Handschuhfinger ausdem Lederstück schneidet. «Die Stanze stammt noch aus Kaiser WilhelmsZeiten.» Auch seine Lederschere hat schon 60 Jahre auf dem Buckel.Und die große Handschuhmacherschere, mit der Schmidt heute arbeitet,hat er nach der Wende einem alten Kollegen aus Süddeutschlandabgekauft. 250 Mark musste er dafür auf den Tisch legen. «Die ist ausechtem Schwedenstahl. So was kriegt man heute gar nicht mehr.»

Schmidt greift nun zu seiner Schere und schneidet kleine Streifenaus einem Lederstück. Es sind die Schichteln, die Keile zwischen denHandschuhfingern. Wenn er damit fertig ist, werden alle Teilezusammengenäht, mit der Nähmaschine in seiner Werkstatt. Oder perHand, von einer Näherin im Erzgebirge.

Fertig ist der Handschuh damit aber dann noch lange nicht. Bevorder Kunde ihn sich über die Hand ziehen kann, muss er noch«dressiert» werden. So nennen die Handschuhmacher es, wenn sie denHandschuh auf ein heißes Eisen stülpen, auf beheizbare Hände ausStahl. Erst sie geben dem Handschuh am Ende die richtige Passform.

Insgesamt fertigt Schmidt um die 800 Handschuhpaare im Jahr.«Früher habe ich den ganzen Tag gearbeitet», sagt er. «Das schaffeich jetzt nicht mehr.» Der Handschuhmacher hat sich auf einen Stuhlgesetzt. Er ist jetzt müde. Eigentlich wollte er schon vor sechsJahren aufhören. Doch irgendwie hat er das bis jetzt noch nichtgeschafft. «In zwei Jahren ist wohl Schluss», sagt Schmidt. Ob dannjemand seine Werkstatt übernehmen wird, steht noch nicht fest.

Zugeschnittene Lederrohlinge für Maßhandschuhe liegen in der Werkstatt des Handschuhmachermeisters Claus Schmidt in Magdeburg bereit. (FOTO: DPA)
Zugeschnittene Lederrohlinge für Maßhandschuhe liegen in der Werkstatt des Handschuhmachermeisters Claus Schmidt in Magdeburg bereit. (FOTO: DPA)
dpa-Zentralbild