Grüne Grüne: «Wir wollen nachbohren»
Halle (Saale)/MZ. - Die Grünen kommen derzeit auf acht Prozent der Wählerstimmen und stehen vor der Rückkehr in den Landtag. Ihre Spitzenkandidatin ist Claudia Dalbert. Die 56-Jährige ist Professorin für pädagogische Psychologie an der Uni Halle. Habilitiert hat sie "Über den Umgang mit Ungerechtigkeit". Über Gerechtigkeit in der Politik sprachen mit ihr unsere Redakteure Hartmut Augustin, Alexander Schierholz und Kai Gauselmann.
Frau Dalbert, Sie sind ja Gerechtigkeits-Expertin. Nun hat die FDP fleißig im Parlament gearbeitet und droht aus dem Landtag zu fliegen, die Grünen scheinen wie aus dem Nichts sicher reinzukommen - ist das nicht ungerecht?
Dalbert: Wir kommen nicht aus dem Nichts, sondern aus einem harten politischen Arbeitsleben. Wir sind 1998 nicht mehr in den Landtag hineingewählt worden. Das war eine schwierige Zeit für die Partei. Strukturen sind weggebrochen, die mussten wieder aufgebaut werden. Das war ein langer Prozess. Gerade in den letzten Jahren haben wir aber die inhaltliche Arbeit verstärkt. Wir haben jetzt auch einen Höchststand an Mitgliedern, über 600. Daran sehen Sie, dass sich unsere Arbeit niederschlägt. Natürlich ist Politik, das wissen wir so gut wie die FDP, ein hartes Geschäft. Politiker bekommen bei Wahlen Rückmeldung für ihre Arbeit und dann kann es eben sein, dass sie nicht mehr ins Parlament gewählt werden.
Wieviel vom Zuspruch geht auf den Bundestrend zurück?
Dalbert: Ich stimme Ihnen zu, dass der Bundestrend seinen Anteil hat. Wir könnten auch gegen den Bundestrend nicht gewinnen, da könnten wir so gut aufgestellt sein wie wir wollen. Aber umgekehrt würde uns der Bundestrend nichts nützen, wenn wir nicht im Land gut aufgestellt wären.
Was ist wichtiger für die Grünen, die Arbeit im Bund oder im Land?
Dalbert: Beides ist gleich wichtig. Und wenn Sie den Bundestrend anschauen, müssen Sie sehen, was ihn ausmacht - dass die schwarz-gelbe Bundesregierung Themen, die wir von der Straße geholt haben, wieder auf die Straße trägt: Etwa die Verlängerung von Atomlaufzeiten.
Am Ende hilft Ihnen das Thema ja nicht in einem Land, in dem es keine Atomkraftwerke gibt.
Dalbert: In dem es aber ein Atommüllendlager für schwachen und mittleren radioaktiven Abfall gibt, der zum Teil auch von Atomkraftwerken stammt und in dessen Umfeld erhöhte Leukämieraten zu beobachten sind.
Werden Sie die Leukämie-Raten zum Thema im Landtag machen?
Dalbert: Ja. Wir wollen da Aufklärung. Die gibt es bisher nicht. Es gibt nur Gesundheitsstatistiken, die belegen, dass die Raten erhöht sind. Da wollen wir nachbohren.
Sie sind erst seit 2007 bei den Grünen. Sind Sie eine parteipolitische Spätentwicklerin?
Dalbert: Das würde ich so nicht sehen. Ich arbeite politisch seit meiner Schulzeit und verfüge über viel Erfahrung.
Sie waren als Studentin bei der "Sozialistischen Unabhängigen Studenteninititative". Sehen Sie sich als Linke und haben Sie Sympathie für die Kommunismus-Vorstöße in der Linkspartei?
Dalbert: Ich sehe mich ganz sicher als jemanden, der links von der Mitte seine politischen Orientierungen hat. Ich denke aber, die Kommunismus-Debatte ist ein internes Problem der Linkspartei. Eine mögliche Kooperation nach der Wahl werden wir auf alle Parteien bezogen nach Inhalten entscheiden. Zentral sind für uns der Ausbau Erneuerbarer Energien und ein Ende des Kohleabbaus - wenn die Kohle 2030 aus bestehenden Gebieten rausgeflözt ist - und die Gemeinschaftsschule.
Aber "Sozialistische Unabhängige Studenteninitiative" klingt radikal.
Dalbert: Ich war 1973 dabei - das war eine völlig andere Zeit. Das war ein loser Zusammenschluss von Studierenden. Und das Wesen dieser Studentengruppe war, jede Form von Dogmatismus und Totalitarismus abzulehnen. Das ist mir bis heute geblieben und wichtig. Von unserer Grundorientierung her waren wir links, aber Diktatur war nicht unser Ding.
Finden Sie denn grundsätzlich, dass man nach gesellschaftlichen Alternativen suchen muss?
Dalbert: Ich stehe für eine grüne Marktwirtschaft, eine Fortentwicklung der sozialen Marktwirtschaft: Sie muss sozial, gerecht und ökologisch sein. Also brauchen wir eine andere Werteorientierung. Zur Demokratie gibt es für mich aber keine Alternative, was wir haben ist das beste System.
Kriegen Sie als Gerechtigkeitsforscherin Beruf und Politik zusammen? Gibt es politische Fragen, wo Sie sagen, da fühlen sich die Leute ungerecht behandelt, da können wir reingehen mit unseren Themen?
Dalbert: Ich kann mir aus meiner professionellen Schiene gut vorstellen, was es bedeutet für Menschen, wenn sie ungleich behandelt werden. Also wenn sie sehen, dass Menschen in anderen Teilen Deutschlands für die gleiche Arbeit mehr Lohn bekommen und was das für Konsequenzen hat auf der psychologischen Seite. Aber das hat nichts mit politischen Lösungsansätzen zu tun. Ich leite die Forderung nach einem Mindestlohn nicht aus der Psychologie ab. Aber mein Verständnis dafür, was es bedeutet, wenn Menschen sich ungerecht behandelt fühlen, das ist da.
Wie reagieren Menschen dann? Mit Empörung oder Lethargie?
Dalbert: Sie reagieren so lange mit Empörung, so lange sie glauben, dass sie etwas ändern können. Wenn sie die Hoffnung aufgeben, etwas ändern zu können, ziehen sie sich zurück. Gerecht behandelt zu werden hat eine Botschaft: Du bist ein wichtiges Mitglied der Gemeinschaft und verdienst es, gerecht behandelt zu werden. Du bist wertvoll, du bist uns was wert, du gehörst dazu. Und wenn Sie Menschen dauerhaft ungerecht behandeln bekommen sie das Gefühl, sie gehören nicht mehr dazu.
Am leichtesten erreichen Politiker etwas in der Regierung. Wer sind für Sie mögliche Partner?
Dalbert: Ich sehe die Aufgabe von Opposition nicht so pessimistisch wie Sie. Sie müssen mal gucken, was wir schon als außerparlamentarische Opposition in diesem Land geleistet haben. Wir haben eine Polizeibeschwerdestelle. Wem haben wir die denn zu verdanken? Den Innenpolitikern meiner Partei. Wir haben jetzt den Umstand, dass seit letztem Jahr für alle Schüler die Fahrtkosten bezahlt werden, solange sie in die Regelschule gehen. Wem haben wir das zu verdanken? Der grünen Jugend. Und das ist von außerhalb des Parlaments passiert. Sie können dann im Parlament umso besser Themen setzen, nach vorne treiben. Natürlich kann man das in der Regierung leichter. Für uns sind da aber die Inhalte entscheidend. Wir können nicht sagen, wir sind für Erneuerbare Energien und setzen dann auf Kohle. Kohle ist umweltschädlich und ineffizient.
Das heißt, dann fällt die CDU als Partner schon mal aus?
Dalbert: Da müsste sich die CDU sehr stark bewegen. Wir stehen für Klima- und Umweltschutz und sind gegen Kohle und Atom.
Also ist der Kohle-Ausstieg nicht verhandelbar?
Dalbert: Kohle geht mit Grün nicht. Das ist ganz klar.
Was würde denn Ihre erste Initiative im Landtag sein?
Dalbert: Die erste Initiative wird sein, dass die Sitzungen der Ausschüsse öffentlich sein sollen.
Haben Sie denn das Parlament so verschlossen erlebt?
Dalbert: Im Landtag passiert sehr viel hinter verschlossenen Türen. Dadurch fühlen sich die Leute nicht informiert und nicht mitgenommen. Wir wollen Politik mit den Menschen machen. Der beste Weg das zu tun, ist Transparenz.