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Gefräßiger Fisch Gefräßiger Fisch: Sachsen-Anhalt einig Wels-Land

Von Rainer Wozny 27.07.2015, 08:18
Reiß’ auf das Maul: Ein mittelgroßer Wels, geangelt in der Saale bei Merseburg
Reiß’ auf das Maul: Ein mittelgroßer Wels, geangelt in der Saale bei Merseburg Rainer Wozny Lizenz

Halle (Saale) - Die Saale fließt ruhig, fast kraftlos in Wettin. Das Gefälle ist dort nicht mehr groß. Ein Wehr staut den Fluss an, der sich am Fuß des Saalekreis-Ortes in den Hauptstrom und zwei Abflüsse teilt. Einer speist ein Wasserkraftwerk, der andere leitet den Schiffsverkehr zur Schleuse. Es ist eine laue Juli-Nacht, der Vollmond leuchtet vom wolkenlosen Himmel. Eigentlich so gar keine Angelnacht, heißt es unter den Sportfischern. Viel zu hell sei es für den Aal, auf den zu dieser Jahreszeit „angesessen“ wird. Der scheue Geselle soll ja vornehmlich in stockdunklen Nächten beißen, weiß die Theorie.

Kein Grund für Angler, es nicht doch in der Praxis zu probieren. Die Ruten liegen aus, bestückt mit fetten Tauwürmern, die am Grund platziert sind. Elektronische Bissanzeiger sind aktiviert. Sobald ein Fisch am Köder spielt, zeigen ein Piepton und eine Leuchtdiode an, dass es nun spannend werden könnte. Doch bis dahin ist gewöhnlich viel Zeit.

Zeit, sich in den Stuhl zu lümmeln und aufs Wasser zu schauen. Vom Ufer gegenüber machen sich vier Enten auf den Weg über den Fluss. Im fahlen Licht ist zu sehen, wie ihre Schnäbel unablässig die Oberfläche nach Fressbarem durchfiltern. Ein anderes Geräusch durchbricht die Stille. Es klingt wie „Uaapp“ und ähnelt einem lauten Gähnen. Dort, wo die Enten schwimmen, schlägt etwas Großes Wellen in den Fluss. Die Tiere fliegen erschreckt auf. Drei Vögeln gelingt die Flucht. Der vierte verschwindet, wird Opfer eines großen Welses, im süddeutschen Raum auch Waller genannt.

Natürliche Balance

Silurus glanis - der Europäische Wels - hat Deutschlands Flüsse im Griff. Nicht nur die Saale, sondern gerade die großen deutschen Ströme werden von ihm besiedelt. Havelfischer kennen ihn ebenso wie die Angler an Rhein, Main, Neckar Elbe, Oder und Spree. Dort, wo das Gewässer ausreichend Futterfisch bietet, wächst er zu kapitalen Größen ab. Und kapital bedeutet beim Wels tatsächlich kapital. Während ein Hecht mit einer Länge von 1,20 Meter in deutschen Gewässern als ausgewachsener Riese gilt, ist ein Wels in dieser Größe eher guter Durchschnitt. Der größte in Deutschland geangelte Wels war 2,53 Meter lang und wog 103 Kilogramm. Fische dieser Dimension kannte man zuvor nur aus italienischen oder spanischen Gewässern. Selbige sind ausreichend warm, um dem Giganten neben Nahrung auch die besten Fortpflanzungsbedingungen zu bieten.

Dort gehört er zur heimischen Fauna - wie eben auch in Deutschland. Nur fiel er hierzulande über Jahrzehnte kaum auf. Welse kamen immer schon vor in deutschen Flüssen und Seen. Mal mehr, mal weniger - in Ostdeutschland in Zeiten vor der Wende eher weniger. Wo sonst die Natur ihre Population im Gleichgewicht hielt, harte Winter bisweilen die Bestände dezimierten, tat die industrielle Verschmutzung der Flüsse ihr übriges.

Mit steigender Wasserqualität nahm auch die Zahl der Welse zu. Zwar seien in den 90er Jahren auch Welse von Fischern und Anglern ausgesetzt worden, erzählt Uwe Brämick vom Institut für Binnenfischerei (IFB) in Potsdam. Doch das, so der Wissenschaftler, hätte die Bestandsgesundung bestenfalls beschleunigt. Der Wels wurde zum Profiteur einer gesundenden Natur, wachsender Futterfisch-Bestände und eben auch des Klimawandels. Als wärmeliebender Fisch fühlt sich der Waller zunehmend wohler in deutschen Flüssen. „Eine um ein, zwei Grad höhere Wassertemperatur, und schon läuft sein Stoffwechsel auf Hochtouren“, erklärt Brämick. Er frisst mehr, wird größer und vermehrt sich erfolgreicher. Dadurch wuchs die Population spürbar.

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Das merkten auch die Sportfischer, denen immer häufiger gute Waller an den Haken gehen. In und um Halle sei das besonders auffällig, weiß Wolfgang Thiele, Vorsitzender des Halleschen Anglervereins. „Unsere Sportfreunde melden derzeit bis zu 1,80 Meter große Fische und viele Exemplare, die um 30 Zentimeter lang sind“, berichtet er. Gefangen wird in Saale und Weißer Elster, aber auch in großen ehemaligen Kiesseen. „Das sind genau die Gewässer, die nach der Wende mit Wels besetzt wurden“, erinnert sich Thiele.

Der Waller gilt als begehrter Sport- und schmackhafter Speisefisch. Gab es anfangs in Sachsen-Anhalt sogar ein Fangverbot, schützten den Fisch später ein Mindestmaß für die Mitnahme und eine monatelange Schonzeit.

Was dem Waller schmeckt, fehlte dann aber den Anglern. Brassen, Plötzen, kleine Karpfen - immer wieder berichteten Sportfischer von abnehmenden Fängen und schoben dies dem Wels zu. Die Forscher vom IFB bestätigen das zwar, sehen aber keine Fischart in ihrem Bestand gefährdet. „Die Natur regelt so etwas intelligent“, umschreibt es Brämick. „Die Fisch-Fauna ist ein dynamisches System. Fraßdruck durch Raubfische bewirkt keinen Artenverlust.“ Die Beutefischarten würden ihre Reproduktion intensivieren und immer mehr junge Fische könnten heranwachsen.

Der Wels frisst neben Würmern oder Wasserweichtieren am liebsten Fische. Je größer, je lieber. Sein ewiger Appetit stellt ihn auch in Konkurrenz zu einem Fisch, den Angler nicht minder mögen: den Zander. Er und der Waller teilen sich ein Habitat. Beide leben am Gewässergrund und jagen nach derselben Methode. Kommt ein Beutefisch nah genug, wird einfach das Maul aufgerissen. Der Unterdruck saugt die Beute ein und mehrere Zahnreihen halten sie fest. Und wo ein Wels frisst, bleibt für den Zander wenig übrig.

Umfangreicher Speiseplan

Der Waller ist längst ein Nahrungsopportunist geworden. Immer wieder werden Reste von Wassergeflügel und kleinen Säugetieren im Magen der Räuber gefunden. Alljährlich füllen Sommerloch-Geschichten die Zeitungsseiten, in denen Dackel in Baggerseen verschwinden. Alles nur erfunden? Nicht ganz, weiß man etwa am Berliner Schlachtensee. Dort berichteten Badegäste vor Jahren von seltsamen Begegnungen im Wasser. Einige schilderten, wie ihnen etwas beim Schwimmen an den Zehen geknabbert habe. Andere konnten tatsächlich Bisse aufweisen, zu denen die Bürstenzähne von Welsen passten. Nachdem wenig später dann ein mehr als zwei Meter langer Waller aus dem See gefischt wurde, ließen die „Attacken“ nach.

Forscher und Fischer wissen, dass der Wels nie Menschen angreift, um Beute zu machen. Der Fisch ist neugierig und folgt dem Geräusch fressender Artgenossen. Bisweilen ähnelt diesem eben das Plätschern eines Schwimmers, der dann vom Waller „untersucht“ wird.

Die Population in deutschen Gewässern wird hoch bleiben, sich aber in natürlicher Balance halten. Dessen sind sich die Potsdamer Forscher sicher. Sachsen-Anhalts Landesanglerverband greift dennoch in das Biosystem ein und hat den Umgang mit dem Waller gelockert. Das Mindestmaß ist aufgehoben, eine Schonzeit gibt es nicht mehr. Zudem gilt sogar eine Entnahmepflicht, also gefangene Welse dürfen nicht zurück gesetzt werden.

Die Angler wird's in gewisser Weise freuen. Ihr Sport bleibt spannend und die Pfanne wohl selten leer. Egal, ob nun Aal oder Wels. (mz)

Spreewald-Fischer Wolfgang Richter hat regelmäßig Welse im Netz.
Spreewald-Fischer Wolfgang Richter hat regelmäßig Welse im Netz.
dpa Lizenz