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Gefangenenlager im Zweiten Weltkrieg Gefangenenlager im Zweiten Weltkrieg: «Ein kleines Indien in Deutschland»

Von Detlef Mayer 28.04.2003, 15:25

Hohndorf/Annaburg/MZ. - Volker Kummer ist aus Indien zurück. Auch die fünfte Reise dorthin war für den 52-Jährigen ein Erfolg: "Die Annaburger Forschung zu indischen Gefangenen im Zweiten Weltkrieg kann eine Lücke schließen in der indischen Geschichtsaufarbeitung", erklärt er den Hintergrund seines Pendelns zwischen Deutschland und Asien.

Der Hobby-Historiker aus Hohndorf im Landkreis Wittenberg, der seinen Lebensunterhalt als Instandhalter bei der Straßenmeisterei Jessen verdient, stellt seit den frühen 80er Jahren Nachforschungen zu den indischen Kriegsgefangenen in Annaburg an. Insgesamt waren in den 40er Jahren 3940 Inder in dem Lager, 1600 Mann zählte die ständige Belegschaft. Zum Vergleich: Annaburg hatte damals rund 3800 Einwohner. Kummer: "Damit war die Stadt zu jener Zeit ein kleines Indien in Deutschland." Inzwischen gewinnt die Schloss- und Heidestadt als Ort zunehmend an Beachtung in der fernen asiatischen Republik - wegen seiner Bedeutung für die indische Geschichte und den Unabhängigkeitskampf gegen die englische Kolonialherrschaft (siehe "Chandra Bose...").

So wächst auch die Chance, dass für Volker Kummers Freund Subhas Sohan Singh in diesem Jahr ein lange gehegter Traum in Erfüllung geht. Der jetzt fast 80-Jährige war 1943 bis 1945 in Annaburg interniert und möchte es gern noch einmal sehen. Wirklichkeit werden könnte der Wunsch im Rahmen der Asien-Pazifik-Festspiele, die im September 2003 in Berlin stattfinden. Die Veranstalter würden, wenn die Finanzierung geregelt ist, den Inder samt Begleitperson gern als Ehrengast einladen. Die Reise nach Deutschland soll dann einen Besuch in Annaburg einschließen. Dies zu ermöglichen, ist dem Hohndorfer Freizeit-Historiker ein Herzensbedürfnis. Schließlich ist Sohan Singh eine Schlüsselfigur für seine Forschungstätigkeit zu dem Inder-Lager in der Schlossstadt.

Anfang der 80er Jahre hörte Kummer, damals Lagerist für die Bäuerliche Handelsgenossenschaft, erstmals von den indischen Kriegsgefangenen. Kurz darauf wurde er auf Familie Kossagk aufmerksam, die noch 1974 einen Brief von Subhas Sohan Singh erhalten hatte. Der war während seiner Internierung in Annaburg ihr Helfer in der Feld-, Vieh- und Hauswirtschaft. Damit begann die Forschungstätigkeit Kummers zu dem Inder-Lager.

Schon im besagten Brief brachte Sohan Singh seine Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Annaburg und der noch lebenden Hildegard Kossagk zum Ausdruck. Das aber war zu DDR-Tagen äußerst schwierig. 1989 hätte es fast geklappt, doch da machte die Wende einen Strich durch die Rechnung. 1992 trat Kummer dem Annaburger Geschichts-Verein bei und setzte seine Forschungen mit dessen Unterstützung fort. Zu einer Ausstellung über die Ortsgeschichte entstand die erste Vitrine zu den indischen Kriegsgefangenen. Davon erfuhr der damalige Berliner Außenstellenleiter der Indischen Botschaft, und besuchte 1994 Annaburg. Um Nachforschungen zu Sohan Singh gebeten, meldete er sich kurz vor Weihnachten 1994 bei Kummer mit der entscheidenden Information: Der gesuchte Zeitzeuge lebt noch, und zwar unter der bekannten Adresse.

Dadurch bekam das Engagement des Hohndorfers weiteren Auftrieb. 1995 reiste er zum ersten Mal nach Indien, Subhas Sohan Singh traf er dann bei seiner zweiten Visite im Januar 1997. An die Wärme des Empfangs erinnert sich Volker Kummer noch genau: "Ich bin dort so herzlich aufgenommen worden wie ein Familienangehöriger."