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Gefährliches Erbe Gefährliches Erbe Deponie Schönerg/Ihlenberg: Wie die DDR mit toxischen Abfällen aus dem Westen Geld machte

Von Silke Hasselmann 18.04.2019, 12:00
Allein 2018 sind 600.000 Tonnen Müll auf der Deponie angeliefert worden. 54 Prozent davon waren „gefährliche Abfälle“.
Allein 2018 sind 600.000 Tonnen Müll auf der Deponie angeliefert worden. 54 Prozent davon waren „gefährliche Abfälle“. DPA

Halle (Saale) - Die Selmsdorfer leben direkt neben einer riesigen Giftmüllhalde, teils nur wenige hundert Meter entfernt. Als einzige in ganz Norddeutschland ist die Deponie Ihlenberg (Mecklenburg-Vorpommern) berechtigt, Abfall der höchsten Klasse für oberirdische Deponien anzunehmen und damit auch „gefährliche Stoffe“. Seit Jahren ist die Anlage kurz vor Lübeck das Ziel für die DK III-Abfälle (Deponieklasse III) aus Norddeutschland und Berlin, aber auch aus Dänemark und Italien.

Deponie Ihlenberg: Gesundheitsschädigende Asbestabfälle, Bauschutt und Industrieaschen

2018 kamen 600.000 Tonnen an. 54 Prozent davon waren „gefährliche Abfälle“, zu denen unmittelbar gesundheitsschädigende Asbestabfälle zählen, aber auch Bauschutt und Industrieaschen, die erst schädigend wirken, wenn Niederschläge ihre Schadstoffe auswaschen und dieses Sickerwasser ins Grundwasser gelangt.

Giftmüll ist eine gefährliche und oft auch heimtückische Hinterlassenschaft, die viele Menschen besorgt und die auch nach Jahrzehnten häufig noch für große Probleme sorgt. Das betrifft alte Kriegsmunition auf dem Meeresboden ebenso wie das Erbe der Chemieindustrie in Ost und West oder Geschäfte, die mit Müll immer wieder gemacht werden.

Die Mitteldeutsche Zeitung und der Deutschlandfunk präsentieren ab 8. April 2019 zu dem Thema unter dem Titel „Giftmüll auf der Spur“ eine Serie mit ausgewählten Beiträgen.

Weitere Folgen in Mitteldeutscher Zeitung und Deutschlandfunk

40 Jahre lang gibt es die Sondermüllhalde schon. Am 30. Januar 1979 beschloss das SED-Politbüro die Gründung des „VEB Deponie Schönberg“, der fortan toxische Abfälle aus dem Westen gegen harte Devisen aufnahm. Heute ist die Deponie in Landeseigentum und firmiert unter dem Namen „Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft (IAG)“. Doch die Selmsdorfer wissen, dass es besser ist, kein Brunnenwasser zu trinken und damit nicht das Gartengemüse zu gießen.

Kaum festzustellen, was im stillgelegten Deponieabschnitt aus DDR-Zeiten schlummert

Laut Deponieverordnung sind die Abfallerzeuger dafür verantwortlich, dass nur das, was den Annahmekriterien entspricht und in den Frachtpapieren steht, auf der Deponie landet. Die Kollegen im Annahmebereich wiegen den Lkw, prüfen die Papiere, schnüffeln an der Fracht und entnehmen nach einem computergesteuerten Zufallsprinzip Abfallproben für einen Labortest.

Da kann einiges durchrutschen, doch noch schwieriger ist festzustellen, was im bereits stillgelegten Deponieabschnitt aus DDR-Zeiten schlummert. „Wir wissen schon über die Abfallkataster und über die Annahmeprotokolle, welche Abfälle ungefähr wo abgelagert worden sind“, sagt IAG-Geschäftsführer Norbert Jacobsen. Doch auch er kennt das Gerücht, die DDR habe auf dem Ihlenberg heimlich einige der verschwundenen Giftfässer vergraben lassen, in denen sich Dioxin-kontaminierter Abfall nach dem Chemieunfall im italienischen Seveso im Jahr 1976 befand.

Ihlenberg: Was wissen die Betreiber über die Abfälle in altem Deponiebereich?

Ob irgendwo Seveso-Fässer liegen? „Ich weiß es ehrlich nicht, und auch die vielen älteren Kollegen, die seit mehr als 35 Jahren auf dieser Deponie arbeiten, wissen es nicht“, sagt Jacobsen. Weder die geologisch-toxische Studie noch der Parlamentarische Untersuchungsausschuss Mitte der 90er Jahre fanden dafür Spuren.

Was wissen die Betreiber sonst über die Abfälle in dem alten Deponiebereich ohne die heute übliche Folien-Basisabdeckung? „Wir wissen, dass es sehr viele Industrieabfälle sind und wir daher auch sehr achtgeben müssen, dass das Sickerwasser nicht unkontrolliert in die Umgebung austritt“, so Jacobsen. „Welche einzelnen chemischen Parameter gegebenenfalls noch drin sein könnten, ist aber fast schon nicht mehr relevant, weil wir über die Umkehrosmose-Anlage alle relevanten Schadstoffe herausholen können.“

„Nur eines holt die Umkehrosmose nicht heraus: das Tritium“

„180.000 Liter Sickerwasser am Ihlenberg, und nichts davon darf ins Trinkwasser gelangen!“ ergänzt Ko-Deponiechefin Beate Ibiß und erklärt das hochmoderne Reinigungssystem am Ihlenberg. Am Anfang stehe das Drainagesystem, dass die giftige Suppe am Grund der Deponie auffängt. Am Ende wird das braune Sickerwasser in der Umkehrosmose-Anlage behandelt. 15 Prozent bleiben als belastetes Restkonzentrat an der Filtermembran hängen. 85 Prozent fließen als klares, fast destilliertes Reinwasser in ein Biotop. „Nur eines holt die Umkehrosmose nicht heraus: das Tritium.“

Tritium ist die einzige radioaktive Wasserstoffvariante und hat eine Halbwertzeit von 12,3 Jahren. Seit Jahren wird es im gereinigten Sickerwasser gemessen - mal eine höhere Konzentration , mal eine niedrige. Ein Gutachten im Auftrag der IAG kam 2105 zu dem Ergebnis, dass „das Tritium im gereinigten Sickerwasser mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ aus „Konsumgütern wie Armaturen und Uhren mit Leuchtfarben“ stamme, die im Hausmüll landeten. Zudem wurde die zusätzliche Strahlenbelastung von Personen berechnet, wenn die sich nur von Obst, Gemüse, Getreide, Milch und Fisch ernähren würden, welche das gereinigte, aber noch tritiumhaltige Sickerwasser aufgenommen haben. Ergebnis: Die zusätzliche Strahlendosis sei mit maximal 0,88 Mikrosievert „sogar für Kleinkinder radiologisch unbedenklich“.

Bürgerinitiative „Stoppt die Deponie!“ kämpft für ein baldiges Ende

Das Gutachten der IAG stütze seine These auf die Strahlenschutzverordnung. Diese entspreche aber „nicht dem Stand der Wissenschaft, sondern den Erkenntnissen der 1970er/80er Jahre“, widerspricht die Bürgerinitiative „Stoppt die Deponie!“. Mitbegründer Hedlef Uilderks kämpft auch als Vertreter des Bundes für Umwelt und Naturschutz im Deponiebeirat für ein baldiges Ende. „Diese Deponie hat noch nie ein Planfeststellungsverfahren mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung gehabt. Hier sind noch nie Bürger beteiligt worden an diesem ganzen Berg, der da oben liegt“, sagt er. „Und keiner weiß, was da alles drin schlummert. Muss man einen Ort, der eine unglaubliche Last die letzten 40 Jahre getragen hat - muss man das weiterbetreiben? Ich finde nicht.“

Mittlerweile ist der auf 112 Meter gewachsene Ihlenberg letzte Ruhestätte für 19 Millionen Kubikmeter Sondermüll. Eine vorgeschriebene Maximalfüllmenge gibt es nicht, wohl aber eine zulässige Deponiehöhe: Bei 121 Metern ist Schluss. Was die Restlaufzeit angeht, soll gemäß eines Kabinettsbeschlusses zwischen 2025 und 2035 Schluss sein. Erst jetzt erarbeitet ein Sonderberater der Landesregierung ein konkretes Schließungskonzept.

Deponie Ihlenberg: Ärger wegen eines Prüfberichts

Das ist ein Ergebnis des Prüfberichtes, mit dem der frühere IAG-Innenrevisor Stefan Schwesig Ende 2018 viel Staub aufwirbelte. Was der Ehemann von Ministerpräsidentin Schwesig ansonsten vor allem seinen ehemaligen Kollegen vorwarf, klang fast nach einem neuen Giftmüll-Skandal: Der Gesundheits- und Arbeitsschutz für die Mitarbeiter sei gefährdet. Es seien zeitweise mehr Abfälle mit giftigem Blei gelagert worden als mit den Lieferanten vertraglich vereinbart. In bis zu 40 Prozent der betrachteten Fälle habe es so hohe „Grenzwertüberschreitungen“ bei Cadmium, Kupfer und Zink gegeben, dass die Deponie diese Abfälle nicht hätte annehmen dürfen. Doch wenig später wurden Schwesig derart viele fachliche Fehler nachgewiesen, dass sich sogar Umweltschützer wunderten.

Immerhin: Es hat sich zuletzt einiges getan. So darf die Landesumweltbehörde laut Gerichtsbeschluss die geplante Abdeckung des alten Deponiebereiches durch neue Sondermüllschichten erst im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens mit mit öffentlicher Beteiligung genehmigen. Zudem erweiterte das Wirtschaftsministerium nach langem Zögern nun den Prüfumfang für eine Krebs-Folgestudie, die 2019 starten soll. Epidemiologen der Uni Greifswald sollen erkunden, wie verbreitet Krebserkrankungen in einem Umkreis von zehn Kilometern sind. Erstmals werden dann auch drei angrenzende Lübecker Stadtteile einbezogen.

„Wir müssen endlich weg von der Wegwerfgesellschaft“

Mit Blick auf die Zukunft fürchtet Deponie-Chefin Ibiß ein ökologisches Nullsummenspiel: „Wenn unsere Deponie stillgelegt ist, wird ganz Norddeutschland, Berlin und Brandenburg seine Sonderabfälle ein paar hundert Kilometer weiter auf andere Deponien bringen. Der Giftmüll muss ja irgendwohin.“ Ihr Kollege Jacobsen ergänzt: „Wir müssen endlich weg von der Wegwerfgesellschaft und von Produkten, die nicht vollständig stofflich wiederverwertbar sind. Meine Hoffnung wäre, dass wir in 30 Jahren als Gesellschaft keine DK III-Produkte mehr produzieren. Dann könnten wir langsam darüber nachdenken, eine Deponie wie unsere überhaupt nicht mehr zu betreiben.“ (red)

Den vollständigen Beitrag hören Sie an diesem Donnerstag um 14.10 Uhr im Deutschlandfunk. Alle Beiträge können Sie auch nachhören und -lesen.