Friseure in Sachsen-Anhalt Friseure in Sachsen-Anhalt: Mehr Geld wegen Mindestlohn? Von wegen!

Halle (Saale)/MZ - Die Erwartungen waren groß. „Mehr Geld für Friseure“ titelten die Medien, als im Sommer die letzten Unterschriften unter den Mindestlohn für die Branche gesetzt wurden. Ein Hoffnungsschimmer auch für Elvira Schuster (Name geändert), die in einem Salon in Sachsen-Anhalt arbeitet. „Natürlich haben wir uns etwas davon versprochen“, sagt sie.
Unter vier Euro lag der Stundenlohn in ihrem Betrieb vorher, die meisten Angestellten arbeiteten (unfreiwillig) verkürzt mit einem Verdienst zwischen 500 und 800 Euro im Monat. Bei dem seit August geltenden Mindestlohn von zunächst 6,50 Euro hätte das selbst für sie um die 200 bis 300 Euro mehr ausmachen können. Die Ernüchterung kam mit der ersten Lohntüte: In der von Elvira Schuster steckt heute nicht mehr Geld als vorher. „Manche Kolleginnen gehen sogar mit 30 bis 50 Euro monatlich weniger nach Hause“, sagt sie. Trotz Mindestlohn.
Der Grund wurde auf einem Schreiben des Arbeitgebers mitgeteilt. In ihrem Salon haben - wie in vielen anderen - Friseurinnen auch schon vor dem 1. August neben dem Grundlohn eine Umsatzbeteiligung erhalten, solange sie eine bestimmte Umsatzgrenze erreichten. Wer gut war, erzählt Schuster, kam damit am Ende durchaus in Regionen um und über die sechs Euro pro Stunde. Mit Inkrafttreten des Mindestlohns sei die Umsatzbeteiligung nun aber so weit gekappt worden, dass kaum eine Chance bestehe, mehr als zuvor zu verdienen. „Viele stehen am Ende bei plus minus Null.“ Meist hätten die Kolleginnen das murrend zur Kenntnis genommen, um ihren Job nicht zu riskieren.
Zum Schweigen verdonnert
Auf der anderen Seite, erzählt Schuster, waren die Kunden. Eine Preiserhöhung - im Osten quasi flächendeckend mit Verweis auf höhere Personalkosten angekündigt - gab es ja trotzdem. Einige Kunden seien deshalb abgesprungen oder nehmen nur noch einen Trockenschnitt in Anspruch und färben sich die Haare zu Hause. „Manche haben aber auch gesagt, sie zahlen das gern, wenn es uns zu Gute kommt.“ Wenn es denn so wäre. In einem anderen Salon hätten Kolleginnen unterschreiben müssen, dass sie dazu schweigen.
Der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi - die den Mindestlohn gefordert hat und ihn auch jetzt für richtig hält - sind die Auswüchse bekannt. „Es gibt da momentan die unmöglichsten Dinge“, sagt Christel Tempel vom Landesverband Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen. Da sei die Kappung der Umsatzbeteiligung zwar ein nachvollziehbarer Grund für Frust. Es gebe aber auch Beispiele, so Tempel, da werde Friseurinnen überhaupt nur dann der Mindestlohn gezahlt, wenn sie eine – gleichzeitig drastisch erhöhte – Umsatzgrenze erreichen. Auch von Maulkorb-Regelungen hat man bei Verdi schon gehört. Schon vor dem Inkrafttreten der neuen Tarife hatte die Gewerkschaft vor Versuchen von Arbeitgebern gewarnt, Angestellte zu neuen Arbeitsverträgen zu drängen. Am schlimmsten sei die Situation derzeit in Thüringen, so Tempel. Allein der Verdi-Bezirk Erfurt berichtet von 25 Klagen, die in Vorbereitung seien. Man wolle auch gerichtlich klären lassen, ob Änderungen an der Umsatzbeteiligung so zulässig sind, sagt ein Sprecher.
Der Mindestlohn für Friseure wird in mehreren Stufen angepasst. Seit dem 1. August dieses Jahres erhalten sie im Osten 6,50 Euro. 2014 soll der Lohn um einen weiteren Euro, im August 2015 dann auf 8,50 Euro angehoben werden. Zunächst gilt der Mindestlohn-Tarif allerdings nur für Friseurinnen und Friseure, die bei einer der bundesweit 25 Tarifparteien arbeiten - in der Regel sind das neben einigen großen Ketten die Betriebe, die auch in den Landesinnungen organisiert sind. Durchsetzbar ist der Mindestlohn derzeit zudem theoretisch nur von Gewerkschaftsmitgliedern.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat allerdings inzwischen beim Bundeswirtschaftsministerium einen Antrag gestellt, den Tarif für allgemeinverbindlich erklären zu lassen - dann würde er für alle gelten. Sie rät deshalb auch den bisher nicht betroffenen Salons, die Löhne bereits anzupassen, weil sie dann nachgezahlt werden müssten. „Wir gehen davon aus, dass die Allgemeinverbindlichkeit kommt“, sagte eine Verdi-Bundessprecherin. Wann, sei noch offen - vielleicht schon im November.
In vielen Friseursalons wurden mit dem Mindestlohn auch Preissteigerungen eingeführt, oft bis zu 30 Prozent. Die Erfahrungen damit sind offensichtlich unterschiedlich. Sie würden bis auf Ausnahmen akzeptiert, heißt es bei Verdi. Innungen berichten allerdings auch, dass Kunden seltener kommen. Vom großen Salonsterben hat keine der beiden Seiten berichtet. Lediglich bei Verdi in Thüringen hieß es, dass in Einzelfällen Läden aufgeben.
Die Landesfriseurinnung Thüringen/Sachsen-Anhalt rät, sich mit Hilfe der Gewerkschaften gegen Mindestlohn-Verstöße zu wehren. „Unter 6,50 Euro darf auf jeden Fall nicht sein.“ Bettina Pfeiffer, Obermeisterin der Friseurinnung Halle-Merseburg-Saalkreis macht indes auch auf die Probleme der Arbeitgeber aufmerksam. Färben, Dauerwellen, selbst das Schneiden werde von Kunden jetzt häufiger herausgeschoben. „Und sie verzichten schon mal auf Kosmetik.“ Von der Preiserhöhung bleibe so am Ende nicht mehr viel übrig. „Irgendwoher muss das Geld kommen, um alle Kosten decken zu können.“ Das sei der Umsatz. Ohne im Einzelfall die genaue Zusammensetzung von Lohn, gestiegenen Lohnnebenkosten und Preiskalkulationen zu kennen, könne man über Umsatzbeteiligungen jedoch nicht urteilen. „Viele lagen aber schon vorher durch die Umsatzbeteiligung über dem Mindestlohn.“
In Sachsen-Anhalt, unter anderem in Dessau-Roßlau, hilft die Gewerkschaft inzwischen, Forderungen von Friseurinnen durchzusetzen, bevor auch denen nur noch die Klage bleibt, so Gewerkschafterin Christel Tempel. Probleme träten in Mitteldeutschland nicht flächendeckend auf. „Aber sie sind auch kein Einzelfall.“
Hoffen auf 2015
Das zeigt auch ein weiteres Beispiel. Eine junge Frau, die wie Elvira Schuster anonym bleiben möchte, ist froh, dass die Neuregelung ihr wenigstens keine Einbußen gebracht hat. Denn mit der Lohnerhöhung kam die Frage der Chefin, ob sie nicht bereit sei, verkürzt zu arbeiten. Die alleinstehende Frau willigte ein. „Wer weiß, was sonst passiert wäre“, sagt sie. So verdient sie das gleiche wie vor Einführung des Mindestlohns. Allerdings: Die Zahl der Kunden, die sie in dem kleinen Salon im Saalekreis zu bedienen hat, ist nicht kleiner geworden. Ihr bleibt nur weniger Zeit zum Waschen, Schneiden und Föhnen.
Ihre Kollegin, alleinerziehende Mutter, ist ebenfalls enttäuscht. Schon zuvor war sie als sogenannte Aufstockerin bei einem Stundenlohn von weniger als fünf Euro auf zusätzliche Hilfe von der Arbeitsagentur angewiesen. Nun sind diese staatlichen Zahlungen nahezu um die Summe gekürzt worden, die sie mit der Anpassung an den Mindestlohn zusätzlich erhalten hat. Und wegen der umfangreichen Nachweispflichten bleibt ihr Gefühl, der Arbeitsagentur auch privateste Dinge aus dem Haushaltsbuch offenlegen zu müssen. Ihre einzige Hoffnung: Wenn 2015 auch im Osten der Mindestlohn für Friseure auf 8,50 Euro steigt, wird sie wohl nicht mehr auf die Zusatzleistungen vom Amt angewiesen sein.