Flora und Fauna Flora und Fauna: Ein Platz für den Heldbock
ORANIENBAUM/MZ. - Etwa 400 Jahre stand sie hier, bevor Orkan Kyrill sie im Januar 2007 umgehauen hat. Lothar Händler kommt ins Schwärmen, wenn er von der toten Stieleiche spricht: "Sie ist Lebensraum für bis zu 3 000 Arten - von Flechten und Moosen, Insekten und Vögeln bis hin zu Kleinsäugern." Ein Blick - und der Ranger hat einige Löcher in der Rinde entdeckt. Der Heldbock, einer der größten Käfer in Mitteleuropa, hat sich dort ins Innere gebohrt, als der Baum noch lebte. "Die vom Aussterben bedrohte Art liebt Eichen wie diese", sagt der Natur- und Landschaftspfleger. In der Rinde legt sie ihre Eier ab. Bis zu fünf Jahre brauchen die Larven, um zur mehrere Zentimeter langen Made und dann zum fertigen Käfer zu werden. Der frisst sich nach draußen, hat rund sechs Wochen Zeit zur Vermehrung und stirbt. Der Heldbock ist in Deutschland sehr rar geworden - im Biosphärenreservat Mittelelbe fühlt er sich indes sehr wohl.
Lothar Händler könnte noch viele solcher Erfolgsgeschichten des rund 126 000 Hektar umfassenden Gebiets erzählen. "Hier gibt es schützenswerte Arten in rauen Mengen", sagt er. Zum Beispiel die seltene Wassernuss, eine Pflanze, von der es nach einem Wiederansiedlungsprojekt heute mehr als 15 Vorkommen gibt. Oder - natürlich - den Elbebiber, der zu einer Art Maskottchen des Biosphärenreservats geworden ist. Ungefähr 1 200 der Tiere leben hier. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es knapp 200. In einer Freianlage können Besucher die scheuen Nager heute beobachten.
Über jene Erfolge wird in diesen Tagen oft geredet. Nähert sich doch ein bedeutendes Datum: Am 24. November 1979 erkannte die Unesco die Naturschutzgebiete Steckby-Lödderitzer Forst und das Vessertal im Thüringer Wald als erste Biosphärenreservate Deutschlands an. Das Areal bei Lödderitz (Salzland) und Steckby (Anhalt-Bitterfeld) war Basis für das heute erheblich größere Biosphärenreservat Mittelelbe. Das Jubiläum wird am Montag in Dessau gefeiert.
"Für Sachsen-Anhalt ist der Unesco-Titel eine große Chance", sagt Reservats-Chef Guido Puhlmann. Es geht darum, diese größte zusammenhängende Auenlandschaft Mitteleuropas als Kulturlandschaft zu pflegen - mit allen Akteuren, von der Land- und Forstwirtschaft bis hin zum Hochwasserschutz und Tourismus. Grundgedanke der Biosphärenreservate ist, dass der Mensch in Einklang mit der Natur lebt. Nur drei Prozent des Reservats sind laut Puhlmann Kernzonengebiete - 4 000 Hektar streng geschützte Wildnis, in der keine Nutzung gestattet ist. Es sei einzigartig, dass mit dem Bauhaus, den Lutherstätten, dem Gartenreich Dessau-Wörlitz und dem Reservat derart viele Unesco-Stätten so nah beieinander liegen. Die Verbindung wird mit gemeinsamen Vermarktungsaktionen genutzt.
Bei Gerda Bräuer löst das Jubiläum Freude aus: "In den 30 Jahren hat sich einiges getan", sagt sie. Erinnerungen kommen hoch. Von 1990 an leitete sie den Aufbaustab des Reservats, der eine Verwaltungsstruktur entwickeln sollte. Zunächst tat sie das noch in der eigenen Wohnung. Dann jedoch konnte die Reservatsverwaltung in der Kapenmühle einziehen, die zu DDR-Zeit die Staatssicherheit zur Überwachung der nahegelegenen Autobahn genutzt hatte.
Für die neuen Mieter war das Objekt von seiner Lage her prächtig geeignet. "Und es war ein Telefon da", so die 69-Jährige, die bis 2001 stellvertretende Reservatsleiterin war. Außerdem bekamen sie trotz Autoknappheit einen Trabant. Es sei eine Zeit mit immensen Möglichkeiten gewesen - aber nicht nur in positiver Hinsicht. In der Oranienbaumer Heide habe etwa ein Walt-Disney-Park entstehen sollen. "Der größte zwischen Moskau und Paris." Kurz vor dem ersten Spatenstich konnten die Naturschützer das Projekt noch stoppen. "Alles andere wäre eine Katastrophe gewesen", sagt Gerda Bräuer.