Fahrt in den Tod Fahrt in den Tod: «Plötzlich knallte es»
Beesenlaublingen/MZ. - Theodor G. lehnt an einem kleinen Baum. Sein Holzfäller-Hemd ist vollkommen blutverschmiert und zerrissen, der Kopf unter der dicken, weißen Mullbinde kaum mehr zu erkennen. Eine Rippe ist gebrochen. Er spürt den Schmerz gar nicht richtig. Der 79-jährige Rentner aus Hopsten (Landkreis Steinfurt, Nordrhein-Westfalen) wirkt seltsam ruhig, fast schon apathisch, während sich um ihn herum dramatische Szenen abspielen.
Fahrt nach Dresden
Verletzte liegen auf der Wiese nahe eines Feldes unterhalb der Autobahn 14. Sie sind starr vor Schock oder stöhnen vor Schmerzen. Rettungshubschrauber starten im Minutentakt, Sirenengeheul will kein Ende nehmen. Zahlreiche Notarzt-Teams kämpfen um das Leben der Senioren. Doch für mindestens 13 Menschen können die Helfer nichts mehr tun. Die Senioren sind tot. Gestorben beim schwersten Busunglück in Deutschland seit knapp 15 Jahren.
Die 45 Rentner, alle Mitglieder des landwirtschaftlichen Ortsvereins Hopsten, waren auf der Fahrt nach Dresden. Sie wollten sich dort die Frauenkirche und das Grüne Gewölbe anschauen, erst am Sonnabend zurückkommen. "Wir machen jedes Jahr solch eine Reise. Die meisten sind Landwirte. Wir kennen uns seit Jahren", erzählt Theodor G. Sie nehmen immer den gleichen Reiseunternehmer. "Der ist sehr zuverlässig."
Die Fahrt hatte am frühen Morgen gegen 5.30 Uhr begonnen. Fast zum gleichen Zeitpunkt ereignet sich zwischen Könnern und Plötzkau nahe der Gemeinde Beesenlaublingen ein Unfall, der mehr als acht Stunden später aus der Reise der Senioren eine Horrorfahrt machen sollte. Am Morgen platzt der Reifen eines mit Bauschutt beladenen Lastwagens. Die Sattelzugmaschine durchbricht die Leitplanke und bleibt quer auf der Fahrbahn liegen. Die A 14 in Richtung Magdeburg muss voll gesperrt werden, in Richtung Dresden wird der Verkehr einspurig vorbeigeführt. Es bilden sich kilometerlange Staus.
Davon bekommen die Rentner in dem Bus nichts mit. Sie lesen, spielen Karten, unterhalten sich. Schon bei Hannover stehen sie wegen einer Baustelle etwa zwei Stunden im Stau. Doch danach kommen sie gut voran. Es ist 13.45 Uhr, als der Fahrer des Busses, Heinz Strier, den Stau auf seiner Spur bei Beesenlaublingen bemerkt. Gemeinsam mit seinem Bruder Thomas betreibt er das Reiseunternehmen. "Ich fahre seit 1963. Es ist noch nie etwas passiert."
Doch dann geschieht das Unfassbare. Er steht neben seinem völlig demolierten Bus, das hellblaue Hemd baumelt aus der zerschlissenen Hose, das Handy in der Hand. Er hat gerade mit seinem Bruder telefoniert. Ganz genau erinnert er sich an die entscheidenden Sekunden. "Ich bin ganz langsam gefahren und stand fast. Plötzlich gab es einen riesigen Knall. Ich hatte keine Chance mehr. Wir sind langsam über die Leitplanke gestürzt", sagt Heinz Strier. Auch Theodor G., der zum Zeitpunkt des Unglücks neben dem Fahrer saß und die Reisegruppe unterhielt, hat den Unfallhergang so erlebt.
Trost von Seelsorgern
Die Rettungskräfte vor Ort versuchen alles, um den Opfern zu helfen. Sie klettern in den Bus, quetschen sich in jede Lücke, um an die Verletzten zu kommen. Über zwei Stunden kämpfen die Notärzte und Sanitäter um das Leben der Senioren. Doch dann, gegen 16 Uhr, geht es vor Ort nur noch darum, die letzten Leichen zu bergen. Die Menschen, die im hinteren, völlig zertrümmerten Teil des Busses saßen, hatten keine Chance.
Theodor G. ist inzwischen völlig erschöpft. Er kann nicht mehr stehen und wird von Helfern des Betreuungszuges des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) gestützt und in ein Zelt gebracht, das gleich neben der Unglücksstelle aufgebaut wurde. Seelsorger Johannes Lewek, Pfarrer der Bernburger Marienkirche, versucht dort, Trost zu spenden. Er redet auch mit Theodor G. Das hilft dem Unfallopfer. "Schließlich ist es das Schlimmste, Freunde sterben zu sehen."