Exotische Arten in Sachsen-Anhalt Exotische Arten in Sachsen-Anhalt: Asiatische Tigermücke überträgt Viren - und breitet sich aus

lieskau/halle (Saale) - Stefan Klotz hat sich extra noch einmal die Wetterdaten des 11. Januar 2015 ausgedruckt. Die Temperatur an diesem Wintertag betrug in Halle frühlingshafte 15,09 Grad. Der Tag ist dem Wissenschaftler deshalb noch genau in Erinnerung, weil er in seinem Garten in Lieskau bei Halle auf Mückenjagd gegangen ist. „Und es flogen damals wirklich erstaunlich viele Mücken umher“, erinnert sich der Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle (UFZ). Vorbei also die Zeiten, in denen die Plagegeister meist nur bei sommerlichen Gartenpartys gestört haben.
Stefan Klotz, der sich bei seiner Arbeit am UFZ eigentlich mit dem Einfluss des Klimawandels auf die Tier- und Pflanzenwelt beschäftigt, wurde an diesem Tag im Januar 2015 zum Hobbyforscher in Sachen Stechmücken. Und das ging ganz schnell: Er steckte die eingefangene Mücke aus seinem Garten in ein kleines Röhrchen, füllte einen Fragebogen aus und schickte danach beides an das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung nach Müncheberg in Brandenburg.
Ziel der dortigen Forscher ist es, mit Hilfe von Einsendungen wie aus Lieskau einen bundesweiten „Mückenatlas“ zu erstellen und damit einen Überblick über alle einheimischen Arten zu bekommen. Die Resonanz ist enorm: Seit dem Start des Projektes vor drei Jahren haben die Wissenschaftler mehr als 30 000 Mücken aus allen Teilen Deutschlands zugeschickt bekommen und bestimmt. „Wir wollen genau wissen, welche Arten wo und in welchem Ausmaß zu finden sind“, erläutert Helge Kampen vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Ostseeinsel Riems, der zweiten am Projekt beteiligten Forschungseinrichtung. Doch nicht nur das: Die Wissenschaftler wollen neben heimischen auch frühzeitig fremde Arten entdecken, die in Deutschland immer öfter auftauchen und hierzulande neue Infektionskrankheiten übertragen können.
Von Italien über die Alpen
Besonders im Blick haben die Forscher die Asiatische Tigermücke. „Sie ist sehr effizient und kann rund 20 Viren-Arten übertragen“, betont Kampen. Dazu zählen neben dem Chikungunya- auch das Westnil- und das Denguefieber. Die Mücke ist äußerst aggressiv und sticht auch am Tage. Das Insekt, das sich in Italien seit den 1980er Jahren flächendeckend ausgebreitet hat, hat es nun auch bis nach Deutschland geschafft. „Vermutlich ist die Art mit dem Fernverkehr aus Italien über die Alpen zu uns gekommen“, erklärt Kampen. Und ist nun dabei, sich auch hier auszubreiten.
„Wir gehen davon aus, dass die Asiatische Tigermücke im Raum Freiburg bereits überwintert hat, inzwischen aber auch in Thüringen eine lokale Population zu Hause ist“, sagt Kampens Kollegin Doreen Walther aus Müncheberg. Hinweise gibt es auch schon aus Nordrhein-Westfalen und Bayern. „Der Mückenatlas hilft uns dabei sehr, solch invasive Arten zu entdecken“, erklärt Kampen. Zwar seien mehr als 99 Prozent der Mücken, die eingeschickt werden, heimische Arten. „Aber wenn die 100. Mücke eine Asiatische Tigermücke ist, hat sich der Aufwand schon gelohnt.“
So konnten die Wissenschaftler auch die Ausbreitung der Asiatischen Buschmücke in Nordrhein-Westfalen nachweisen, die ähnliche Viren übertragen kann, wenngleich nicht so effizient. „Wir haben sieben Mücken aus dem Raum Bonn zugeschickt bekommen und konnten so eine weitere Population bestätigen“, sagt der Forscher vom FLI. Erstmals nachgewiesen worden war sie 2008 in Baden-Württemberg. Auf eine Einsendung für den Mückenatlas zurück geht aber auch die Bestätigung der Ausbreitung der Asiatischen Tigermücke im Raum Freiburg (Breisgau).
Das Interesse an Stechmücken ist erst vor wenigen Jahren wieder erwacht. „Seit Ausrottung der Malaria nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gerieten heimische Arten aus dem Fokus und erschienen nicht mehr relevant“, sagt Kampen. Eine Wende war der Ausbruch des Chikungunya-Fiebers in der italienischen Provinz Ravenna 2007. Übertragen wird diese tropische Infektionskrankheit, die mit Fieber und Gelenkschmerzen einhergeht, durch Stechmücken. „Die Mücke ist dabei nicht per se infiziert, sondern sie nimmt den Erreger durch Saugen des Blutes auf“, sagt Kampen. Beim nächsten Saugakt gibt die Mücke dann den Erreger über die Speichelflüssigkeit weiter. Im konkreten Fall aus Italien gehen Fachleute davon aus, dass ein Asien-Urlauber, der bereits zwei Tage nach seiner Rückkehr nach Italien erste Symptome hatte, den Erreger eingeschleppt hat. Der wurde später von der Asiatischen Tigermücke weiter übertragen. Letztlich gab es 200 Krankheitsfälle. Ein 83-jähriger Mann, der bereits unter einer schwerer Vorerkrankung litt, kam ums Leben.
Für noch mehr Aufsehen sorgte zwischen 2006 und 2008 der Ausbruch der Blauzungenkrankheit. Von der Tierseuche - einer für den Menschen ungefährlichen Infektionskrankheit bei Wiederkäuern - betroffen waren Deutschland und mehrere Nachbarstaaten wie Belgien und Frankreich. Übertragen wird die Krankheit durch Gnitzen, eine heimische blutsaugende Mückenart. „Das war damals ein absolutes Warnsignal, denn bis dahin dachte man, es gebe hierzulande keinerlei Überträger“, erklärt Kampen. „Daher hat sich die Wissenschaft wieder deutlich stärker auf Stechmücken konzentriert.“
Zwar könne die Verbreitung mit dem Mückenatlas nicht systematisch erfasst werden und sei daher „zufallsgesteuert“. Der Vorteil liege aber in der umfassenden Bürgerbeteiligung, betont Kampen. „Und die wirft in der Masse sehr gute Daten ab.“ Und daher hofft auch Doreen Walther weiter auf eine rege Beteiligung. „Für uns zählt jede einzelne Mücke“, bekräftigt die Biologin. Wer eine Mücke unversehrt gefangen habe, sollte das Insekt in ein Gefäß legen und dies einen Tag ins Tiefkühlfach legen. Dann könne die Probe mit dem Fragebogen per Brief oder per Päckchen verschickt werden. Ist die Mückenart klar bestimmt, bekommen die Einsender Post aus Müncheberg. „Wir versuchen allen Leuten, die sich an dem Projekt beteiligt haben, innerhalb von 14 Tagen zu antworten“, sagt Doreen Walther.
Schnelle Antwort
Auch Stefan Klotz hat rasch eine Rückmeldung bekommen. „Bei mir war es aber keine Asiatische Tigermücke, sondern eine gewöhnliche Stechmücke.“ Doch Stechmücke ist nicht gleich Stechmücke: Allein in Deutschland sind 49 Arten nachgewiesen, 3 500 sind es weltweit. Es gibt also noch viel Arbeit für Wissenschaftler und Hobbyforscher. Und Klotz macht sich inzwischen selbst für das Vorhaben stark. „Solche Projekte leben einfach von der Beteiligung der Menschen.“ Und er ist sicher, dass es auch 2016 wieder viele Einsendungen geben wird. „Der November 2015 war viel zu warm“, sagt er beim Blick auf seine Wetterdaten. „Das könnte also ein super Mückenjahr werden.“ (mz)