Essen & Trinken Essen & Trinken: Würchwitzer Milbenkäse ist reif fürs Museum

Würchwitz/dpa. - Wer es nicht mit eigenen Augen gesehen hat,mag diese Geschichte nur schwer glauben: In dem kleinen DorfWürchwitz im Länderdreieck von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringenwird an diesem Samstag ein Museum rund um den «lebendigsten Käse derWelt» eröffnet. Lebendig deshalb, weil Millionen von Milben zurReifung des aus Kuhmilch bestehenden Käses beitragen und ihm so einenunverwechselbaren, aber auch gewöhnungsbedürftigen Geschmackverleihen. Während viele Deutsche in Kopfkissen und Matratzen dieverwandte Hausstaubmilbe bekämpfen, freut sich Käsehersteller HelmutPöschel über die 0,3 Millimeter kleinen Tierchen.
Einmal pro Tag öffnet der ehemalige Biologie- und ChemielehrerPöschel die alte Munitionskiste aus dem Zweiten Weltkrieg. Darinliegen vier Zentimeter lange Käsestücke, umgeben von scheinbarbraunem Staub. In Wahrheit sind es Milbenkolonien. Wer sich trotz dessäuerlich-bissigen Geruches nicht abschrecken lässt, wird vomMuseumschef zu einer Kostprobe eingeladen: Butterstulle mitMilbenkäse. «Der Käse hilft gegen Hausstaubmilbenallergien, fördertdie Verdauungsaktivität und macht scharf wie eine russischeRasierklinge», verspricht Pöschel. Gerade die Wirkung alsAphrodisiakum ist natürlich keineswegs bestätigt, aber gut für dieLegendenbildung.
Dies hat der 60-Jährige erkannt und setzt sich deshalb seit Jahrenfür die Fortschreibung der bis ins Mittelalter reichenden Traditiondes Würchwitzer Milbenkäses ein. Im Dorfzentrum hatte er bereits vorfünf Jahren ein 3,5 Tonnen schweres Marmordenkmal zu Ehren derlateinisch als «Tyrogliphus Casei» bezeichneten Tierchen errichtenlassen. Es ist das erste riechende Denkmal der Welt. Ineiner Aushöhlung am Hinterteil der übermannshohen Skulptur steckt einStück des besonderen Käses, an dem Touristen gerne schnuppern und ihndes Öfteren auch als Souvenir mitnehmen.
«Die Geschichte mit dem Käse-Denkmal klingt wie erfunden», sagteine Touristin aus Frankfurt/Main, die sich vor Ort in Würchwitz voneinheimischen Freunden überzeugen lässt. Sie glaubte ebenso an einenAprilscherz (schließllich wird das Museum am 1. April eröffnet) wiejüngst ein Kandidat in Günther Jauchs RTL-Ratesendung «Wer wirdMillionär?». Auf die Frage, wofür das Dorf Würchwitz bekannt sei,wurden ihm neben dem Milbenkäse die AntwortalternativenAmeisenschinken, Spinnenbrot und Madenwurst angeboten. Das Publikumals Joker half ihm auf die Sprünge.
In seinem urig eingerichteten Museum mit zwei 20 Quadratmetergroßen Räumen zeigt Pöschel alte Gerätschaften zur Käseherstellung,Urkunden, Poster und einen angeblich 100 Jahre alten Milbenkäse, deraus Sicherheitsgründen in einem Tresor lagert. Aber auch allerleiKuriosa wie ein Milbenkäse-Mausoleum und Käsebier sind zu bestaunen.Es ist eine Ausstellung mit Augenzwinkern, bei der das OriginalHelmut Pöschel mit seinen nicht enden wollenden Anekdoten imMittelpunkt steht. Dennoch hat die Sache einen ernsten Hintergrund:2004 wurde der Käse bereits zur internationalen Raumstation ISSgeschickt. Und jüngst bekam Pöschel von der Europäischen UnionFördermittel in Höhe von 10 000 Euro zur Erforschung und Vermarktungdes Käses made in Sachsen-Anhalt.
«Ich infiziere jeden mit meinem Käse-Hobby, gebe Seminare undwerde demnächst auch einen Kurzfilm drehen», sagt Pöschel. Nach demMuster der legendären Olsen-Bande geht es um die Entführung desMilbenkäses. Die Darsteller stammen aus der 350-Seelen-Gemeinde. FünfFamilien im Ort stellen den Käse mittlerweile wieder her, darunterauch die 90-jährige Liesbeth Brauer. «Es gibt nichts Besseres alsMilbenkäse mit Kakao», schwärmt die einst zur «Milbenkönigin» gekürteHochbetagte.
Bei der Eröffnung des privaten Museums wird sie ebenso dabei seinwie der erste Konzertmeister des Gewandhausorchesters, Frank-MichaelErben. Er interpretiert den «Hummelflug» des russischen KomponistenNikolai Andrejewitsch Rimski-Korsakow als «Milbensinfonie». Amgleichen Tag wird die Käsespezialität von der GenießervereinigungSlow Food in die «Arche des Geschmacks» aufgenommen, die vomAussterben bedrohte Lebensmittel bewahren will. Jetzt sind auchdas Luxuskaufhaus KaDeWe und das Restaurant Kanzlereck in Berlin aufden Geschmack gekommen und haben Interesse angemeldet.