«Die Unsterblichen» «Die Unsterblichen»: Neonazis ziehen gespenstisch durch die Städte

Halberstadt/MZ. - Der Spuk dauert keine zehn Minuten, dann ist er schon wieder vorbei. Es ist ein milder Abend Ende September, an dem sich rund 80 Neonazis an der Voigtei, einer Straße in der Halberstädter Altstadt, treffen. Sie sind schwarz gekleidet und tarnen ihre Gesichter mit weißen Masken, so wird es die Polizei später schildern. Sie laufen durch die stillen Straßen, brüllen Nazi-Parolen, tragen Fackeln. Erst die Böller, die sie zünden, lassen Anwohner aufmerksam werden, die die Polizei rufen.
Der gespenstische Aufmarsch in Halberstadt ist nur der spektakulärste bekannt gewordene in einer ganzen Reihe ähnlicher Vorfälle. Zum ersten Mal stoßen die Ermittlungsbehörden im Dezember vorigen Jahres in Haldensleben (Börde) auf Rechtsextremisten mit Fackeln und Masken. Es folgen, soweit bekannt, Aufzüge in Halle, Aschersleben, Sangerhausen, Bad Dürrenberg, Querfurt und - erst am vergangenen Wochenende - in Landsberg im Saalekreis. Mal sind es nur zehn Teilnehmer, mal 50, nie mehr als 80. Immer sind sie maskiert. Mal skandieren sie rechtsextreme Parolen, mal tragen sie Transparente mit Aufschriften wie "Demokraten bringen uns den Volkstod". Und stets sind sie nach wenigen Minuten wieder verschwunden.
Brandenburg verbietet Nazi-Gruppe
Die Aufmärsche, durchweg unangemeldet, wirken martialisch, der Name, den die Neonazis sich dafür gegeben haben, ebenso: Sie wollen "die Unsterblichen" sein. Vier Jahre ist es her, als die braunen Maskenmänner erstmals auftauchten - in Brandenburg. Die "Spreelichter", ein auch als "Widerstandsbewegung in Südbrandenburg" bekanntes Neonazi-Netzwerk, gelten als geistige Väter der "Unsterblichen". Mittlerweile hat Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) die Gruppierung verboten. Die Inhalte ihrer Homepage sind gelöscht, die Seite verlinkt aber noch zu anderen rechtsextremen Portalen. Und die Aufmärsche sind längst zu einem Kennzeichen der Neonazi-Szene geworden und mittlerweile bundesweit verbreitet.
"Das ist keine neue Bewegung, aber eine neue Aktionsform", sagt David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus in Magdeburg. Es ist auch, gerade vor dem Hintergrund der Ermittlungen zu den Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds, ein Signal der Rechtsradikalen an die Öffentlichkeit: Seht her, wir sind noch da. Und wir lassen uns nicht unterkriegen. "Die Mobilisierung innerhalb der Szene funktioniert nach wie vor", sagt Begrich.
Mit Fackeln und dem Schwadronieren vom angeblich bevorstehenden "Volkstod" greifen die "Unsterblichen" direkt auf NS-Propaganda zurück. Ein weiterer bei den Aufmärschen immer wieder verwendeter Slogan lautet "Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass Du Deutscher gewesen bist". Für Begrich ist die Botschaft klar: So solle suggeriert werden, die Deutschen würden aussterben. Verfangen soll das vor allem bei Jugendlichen. Deshalb feiern die "Unsterblichen" sich selbst auch im Internet. Auf einschlägigen Seiten. Mit Filmen von den Aufmärschen, die sie online stellen, professionell geschnitten, mit martialischer Musik unterlegt. Braune Propaganda und rechtsextreme Subkultur 2.0. Begrich spricht von einem neuen Versuch der Ansprache junger Leute. Ob diese Strategie aufgeht, ist unklar. "Damit erreicht man Leute, die schon eine gewisse Affinität zur Szene haben", meint der Rechtsextremismus-Experte, "aber nicht die Mitte der Gesellschaft."
Nicht nur wenn es um die Verbreitung ihrer Ideologie geht, haben Neonazis längst das Netz für sich entdeckt. So wirken die Aufmärsche der Maskenmänner spontan, aber sie sind es nicht. Treffpunkte werden vorher nicht nur per SMS, sondern auch in geschlossenen Gruppen sozialer Netzwerke verabredet. Und meist sind die Maskierten schon wieder über alle Berge, ehe Anwohner oder gar die Polizei auf das gespenstische Treiben aufmerksam werden. Umso schwieriger ist es später, jemandem die Teilnahme an einer verbotenen Demonstration oder einen Verstoß gegen das Vermummungsverbot nachzuweisen, wie selbst Ermittler einräumen. "Für die Neonazis ist das natürlich ein Triumph", sagt Rechtsextremismus-Experte Begrich.
Landeskriminalamt ermittelt
Ein Triumph aber, den die Szene nicht immer genießen kann. In Halberstadt etwa ist die Polizei an jenem Abend im September so schnell, dass sie noch 24 Teilnehmer antreffen kann. Überwiegend ohne Masken. Gegen sie wird nun ermittelt wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Zudem stellen die Beamten elf Masken und fünf Fackeln sicher. "Die haben sie bei der Flucht verloren oder weggeworfen", erzählt ein Ermittler. Spezialisten im Landeskriminalamt (LKA) versuchen nun, die Gegenstände anhand von Spuren ihren Trägern zuzuordnen. Dann kommen die Beamten möglicherweise noch mehr Teilnehmern des abendlichen Aufmarschs auf die Schliche.
Das LKA hat sich auch in anderen Fällen eingeschaltet. Auf den Aufmarsch der Maskenmänner Ende Dezember vorigen Jahres in Haldensleben etwa folgt zwei Monate später eine der umfangreichsten Razzien in der rechtsextremen Szene Sachsen-Anhalts. 50 Beamte durchsuchen acht Wohnungen in Mansfeld-Südharz, im Salzlandkreis, im Saalekreis und in der Börde. Sie stoßen nicht nur auf Propagandamaterial, sondern auch auf mehr als 200 außergewöhnlich schlagkräftige Sprengkörper. Ermittelt wird daraufhin wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen und Verstößen gegen das Sprengstoff- und das Versammlungsgesetz. Das Verfahren läuft noch, nach Angaben der Staatsanwaltschaft Magdeburg gelten fünf Männer als Beschuldigte.
Selbst für solche Fälle hat die Szene sich gewappnet. Auf einschlägigen Seiten im Internet gibt es Tipps zum richtigen Verhalten nach einer Hausdurchsuchung.