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Der Sandmann Der Sandmann: Ein Traummann wird 60 - 20 neue Folgen geplant

Von Julius Lukas 22.11.2019, 09:00
Die Szene „Planet Gugel“ aus dem Jahr 1999 während der Vorbesichtigung der Ausstellung „60 Jahre Sandmann“ im Filmmuseum.
Die Szene „Planet Gugel“ aus dem Jahr 1999 während der Vorbesichtigung der Ausstellung „60 Jahre Sandmann“ im Filmmuseum. dpa-Zentralbild

Fragt man Ugla Gräf, welche Sandmann-Folge sie am meisten fasziniert hat, dann geht sie ein paar Schritte zu einer Vitrine. Der Glaskasten ist mit „Weltreise“ überschrieben und steht im Filmmuseum Potsdam. Dort eröffnete Mitte November eine Ausstellung zum Sandmann. Der feiert an diesem Freitag seinen 60. Geburtstag. Gräf hat die Ausstellung über den kleinen TV-Kinderhelden kuratiert.

Ganz unten in der Weltreise-Vitrine stehen dick angezogene Figuren hinter Glas. Ein Iglu ist zu erkennen, auch Schlittenhunde und natürlich das Sandmännchen im pelzigen Fellanorak. „Die Figuren mit ihren Feinheiten und Details finde ich noch heute zauberhaft“, sagt Ugla Gräf. Sie könne sich genau erinnern, wie sie die Eskimo-Folge als Kind gesehen habe. 1964 war das. „Diese faszinierenden Momente haben sich in das Gedächtnis eingebrannt, die vergisst man einfach nicht.“

Solche Sandmännchen-Erinnerungen haben viele Menschen, nicht nur im Osten Deutschlands. Gewaschen im Schlafanzug, die Zähne bereits geputzt, sitzen seit 60 Jahren Kinder allabendlich vor dem Fernseher, um sich vom Ins-Bett-Bringer der Nation ihren Abendgruß abzuholen. Die Hände haben sie dabei in Hab-Acht-Stellung gebracht, denn wenn das Zipfelmützenmännchen seinen Sand verstreut, müssen die Augen schnell geschützt werden.

Der Sandmann ist nicht nur täglicher Elternhelfer, sondern längst auch zum Kulturgut geworden. Seiner Schöpfung ging dabei einer der vielen Wettläufe zwischen Ost und West voraus. Im November 1959 kündigte der Sender Freies Berlin (SFB), der im Westen Berlins, der geteilten Stadt, seinen Sitz hatte, an, dass im Kinderteil des Abendprogramms ab 1. Dezember ein Sandmann zu sehen sein werde. Beim Deutschen Fernsehfunk (DFF), dem DDR-Fernsehen, löste das Aktionismus aus. Solch eine Innovation wollten die Senderverantwortlichen sich nicht vor die Nase setzen lassen.

Kurzerhand wurde in einer Hauruck-Aktion ein eigener Sandmann geschaffen. Knapp drei Wochen hatte Gerhard Behrendt dafür Zeit. Der Leiter des Puppenstudios gilt als Erfinder des Sandmännchens. Mit einem kleinen Team schaffte er es, die erste Serie im Eiltempo fertigzustellen. Überliefert ist, dass die Melodie zum Sandmann-Lied in nur einer Nacht entstand. Am 22. November 1959 erschien das erste Sandmännchen auf den Bildschirmen. Erst acht Tage später folgte die Version des SFB. Den Wettlauf hatte der DFF damit gewonnen.

Das Luftschiff, mit dem der Sandmann 1974 unterwegs ist, sieht futuristisch aus: Rundherum vollverglast, organische Formen und bunte Knöpfe auf dem Armaturenbrett. Mit diesem Gefährt schwebt der schlafbringende Zipfelmützenmann anlässlich des 25. Geburtstags der DDR über das Land. Es ist eines der außergewöhnlicheren Fahrzeuge, mit denen sich der Sandmann in den vergangenen 60 Jahren fortbewegte. Die Vielfalt an Mobilen ist ein Charakteristikum der TV-Figur. Vom Schlitten über das Kajak bis hin zum Elefantenrücken, vom Zug über den Safari-Jeep bis zur Rakete – überall fühlt sich der Fernsehliebling wohl, alles kann er bedienen. Selbst die Rakete, mit der er kurz nach Juri Gagarin in das All geschossen wird, lenkt er sicher in den Himmel.

Der Sandmann ist dabei nicht allein in Deutschland eine Berühmtheit, auch im Ausland hat er Fans. In über 40 Länder wurden Folgen der Kultfigur bereits verkauft – darunter etwa Mexiko, Taiwan oder Israel. Finnland bestellte sogar 2016 noch Nachschub. Allerdings: Neue Folgen kommen nur ab und an noch dazu. Weil die Tricktechnik so teuer ist, kostet eine davon so viel wie ein Kleinwagen.

Um den Sandmann zum 60. Geburtstag zu gratulieren, hat das Filmmuseum in Potsdam in diesem Jahr eine Sonderausstellung eröffnet. Dazu trug Kuratorin Ugla Gräf über 100 originale Figuren zusammen - auch das futuristische Luftschiff von 1974 ist zu sehen.

››Die Ausstellung im Filmmuseum Potsdam ist bis zum 30. Dezember 2020 zu sehen. Erwachsene zahlen fünf, Kinder drei Euro.

Aussehen wandelt sich

Kulisse und Puppen der ersten Folge sind auch in Potsdam ausgestellt. Ugla Gräf läuft zu einer weiteren Vitrine. „Das ist der erste Sandmann“, sagt sie. „Und der sah am Anfang noch ein bisschen anders aus.“ Die Figur, etwa 25 Zentimeter groß, hat einen roten Overall an, darüber einen blauen Umhang. Die Augen werden von buschigen Brauen verdeckt, der Bart ist noch nicht so zugespitzt. „Das Äußere änderte sich aber schnell, schon ein Jahr später sah er so aus, wie wir ihn heute noch kennen“, sagt Gräf. Verantwortlich für die rasante Wandlung war die Puppenkünstlerin Diethild Dräger, die 1960 ins Team kam. Sie verpasste dem Traumbringer auch seine charakteristische Zipfelmütze. Als Vorlage diente ihr eine Winterkappe, die sie selbst als Kind trug.

Bereits die erste Folge der neuen TV-Figur stieß auf große Resonanz - allerdings nicht nur auf positive. Am Ende der Sendung sinkt der Sandmann an einer Straßenecke erschöpft zu Boden. Es gab jedoch Eltern, die das Nickerchen auf dem Pflaster bedenklich fanden. Die Kinder hingegen schrieben besorgte Briefe, in denen sie dem Männchen ein Bett bei sich zu Hause anboten.

Wie Juri Gagarin ins All

Der Sandmann - das war schon kurz nach seiner Geburtsstunde klar - bewegte Jung und Alt. Um Gerhard Behrendt, der 2006 gestorben ist, herum entwickelte sich ein Team, das fortan nur damit befasst war, den Schlafbringer in immer neue Umgebungen zu bringen. „Es gibt dabei keine Regelmäßigkeiten, aber man kann schon Themen finden, die oft auftauchen: Märchen, Heimat oder Reisen etwa“, sagt Ugla Gräf. Im Vorfeld der Ausstellung verbrachte sie eineinhalb Jahre in den Archiven des RBB. Dort lagert heute der Sandmännchen-Fundus. Dabei schaute sie sich auch hunderte Folgen an: „Auffällig ist, dass die Sandmannwelt immer eine Kinderwelt ist“, sagt Gräf. Erwachsene spielen allenfalls Nebenrollen.

Der Mann mit dem Schlafsandsäckchen lebte allerdings nicht in einem abgeschlossenen Kosmos. Bezüge zur Wirklichkeit gab es immer wieder. „Ein schönes Beispiel dafür ist Juri Gagarins Flug ins All“, erzählt Gräf. Der fand im April 1961 statt. „Schon acht Tage später hatte Gerhard Behrendt das Drehbuch für den ersten Weltraumbesuch des Sandmanns geschrieben.“ Der schoss dann wenig später wie Gagarin mit einer Rakete - ohne Dach - in den Himmel.

Eine Hauptrolle im Sandmännchen der Vorwende-Jahre hatte auch das Alltagsleben in der DDR. Auf einer Tafel in der Ausstellung beschreibt Gräf diese Verbindung: „Die Grundstimmung ist durchweg stolz und zukunftsfroh: die Eröffnung des Berliner Fernsehturms 1969, wiederkehrende Landwirtschaft- und Produktmessen, Gartenschauen, seit 1976 immer wieder der Palast der Republik, immer wieder Republikgeburtstage, Pionierpaläste und Pionierlager, die Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973, Weltraumflüge und ja, auch die Nationale Volksarmee, 1968 und 1982.“

Allerdings, so sagt es Gräf, sei das Sandmännchen dabei niemals plumpe Propaganda gewesen. Und - soweit man das heute nachvollziehen kann - habe auch die politische Führung den Machern nie in Drehbücher reingeredet oder Themen vorgegeben. Die Hoffnung sei viel mehr gewesen, dass „die Liebe zum Sandmann sich auf die sozialistische Heimat übertragen möge“.

20 neue Folgen 2017

Einen Bruch - auch thematisch - gab es nach dem Mauerfall. „Man merkt deutlich, dass sich die Umgebungen verändern“, erzählt Ugla Gräf. Fantasievolle Welten werden plötzlich gezeigt. Szenen des täglichen Lebens sind nicht mehr angesagt. „Man wollte den DDR-Alltag, der zuvor sehr ausführlich zur Schau gestellt wurde, hinter sich lassen.“

Doch trotz veränderter Bedingungen, das Sandmännchen überlebte. Während sein West-Pendant aus den Regionalprogrammen nach und nach verschwand, bewegt sich das Fabelwesen ostdeutscher Herkunft noch immer durch Welt und All. Zwar gibt es mittlerweile kein eigenes Team mehr.

Doch erst 2017 wurden 20 neue Folgen der Rahmenhandlung gedreht. Und anlässlich des Sandmännchen-Geburtstages entstanden im August 13 neue Abendgrüße rund um Pittiplatsch, Moppi und Schnatterinchen, die ab dem kommenden Dienstag bei Kika, RBB und MDR gezeigt werden.

Vom Vorruhestand ist der 60-Jährige Jubilar und Fernsehstar also noch weit entfernt. Und dass er an Popularität nichts eingebüßt hat, zeigte sich im Frühjahr dieses Jahres. Da kündigte der RBB an, den Sandmann kindgerechter zu machen und ihn fortan ohne Bart auftreten zu lassen. Der Proteststurm ließ nicht lange auf sich warten. Doch die Fans konnten schnell wieder aufatmen. Denn der RBB verkündete die vermeintliche Neuerung an einem ganz speziellen Datum: Es war der 1. April. (mz)