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DDR-Zwangsarbeiter DDR-Zwangsarbeiter: Todesfälle billigend in Kauf genommen

Von Alexander Schierholz 06.07.2014, 18:08
In Bitterfeld, Buna und den Tagebauen der Region mussten Häftlinge und Soldaten mithelfen, die DDR-Wirtschaft am Laufen zu halten.
In Bitterfeld, Buna und den Tagebauen der Region mussten Häftlinge und Soldaten mithelfen, die DDR-Wirtschaft am Laufen zu halten. ARCHIV/KÖNAU Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Hochgiftige Quecksilberdämpfe und Chlorgase, ätzende Laugen - sie mussten dort schuften, wo andere nicht mehr hinwollten: Über Jahrzehnte hat die DDR systematisch Häftlinge im mitteldeutschen Chemiedreieck eingesetzt, in Bitterfeld, in Buna. Das geht aus einer vom schwedischen Möbelkonzern Ikea finanzierten Studie über Zwangsarbeit in der DDR hervor.

Nach den Recherchen der Wissenschaftler Christian Sachse und Justus Vesting mussten die Strafgefangenen, sowohl gewöhnliche Kriminelle als auch politische Häftlinge, in der chemischen Industrie die gesundheitsgefährdendsten Arbeiten verrichten, ohne Vorbereitung, ohne Ausbildung. „In vielen Industriebereichen waren schlechte Arbeitsbedingungen eine Begleiterscheinung. In der Chemie waren sie ein Grund, Häftlinge einzusetzen“, sagt Vesting. Das sei ein Skandal.

Der Studie zufolge hat allein das damalige Chemiekombinat Bitterfeld stets rund 500 Gefangene beschäftigt, in Buna waren es etwa 200. Überwiegend waren sie in der Chlorchemie eingesetzt, wo giftige Dämpfe Nieren, Leber und Nerven schädigten. Historiker Vesting fand in Unterlagen das Protokoll eines Vorfalls von Anfang der 1970er Jahre: Wegen der unzumutbaren Bedingungen weigerte sich die normale Belegschaft damals, weiter in der Chlorproduktion zu arbeiten. „Dann wurden eben Häftlinge geholt.“ Für das ehemalige Chemiekombinat Bitterfeld sind laut Vesting zwei Todesfälle durch Quecksilbervergiftung aktenkundig. „Für Buna gibt es starke Indizien für zwei weitere Fälle.“

Auf der zweiten Seite lesen Sie: Zwangsarbeiter im Kupferbergbau Volkstedt und die hohe Zahl der Unfälle bei Zwangsarbeitern.

Bei Zwangsarbeit in der DDR denken viele sofort an Ikea, seit vor zwei Jahren bekannt geworden war, dass politische Häftlinge an der Produktion von Möbeln für den Einrichtungsriesen beteiligt waren. Die genaueren Umstände des Einsatzes von Gefangenen in der eigenen Volkswirtschaft seien einer breiten Öffentlichkeit dagegen bisher weitgehend unbekannt, sagt der Politikwissenschaftler Christian Sachse.

So wurden Strafgefangene aus Volkstedt im Mansfelder Land von Anfang der 1950er bis Anfang der 1970er Jahre im dortigen Kupferbergbau eingesetzt - unter solch horrenden Bedingungen, dass zeitweise sogar die Sowjetische Militäradministration Untersuchungen anstellte, ohne jedoch den Einsatz der Häftlinge am Ende zu stoppen. Die Betroffenen seien nach kurzer Einweisung praktisch unvorbereitet unter Tage geschickt worden, sagt Sachse. „Es hat an den simpelsten Arbeitsschutzvorkehrungen gefehlt.“

Todesfälle wurden dabei billigend in Kauf genommen. Ihre genaue Zahl ist bis heute nicht bekannt. „Für die 50er und 60er Jahre haben wir Berichte und Unfallstatistiken gefunden“, sagt Sachse. Danach - nichts mehr. Als Faustregel könne aber in fast allen Industriebranchen gelten, dass die Zahl der Unfälle von Zwangsarbeitern nahezu dreimal so hoch war wie die normaler Industriearbeiter.

Angesichts dieser Umstände halten es die Forscher für falsch, den Focus heute allein auf westliche Betriebe als Profiteure von DDR-Zwangsarbeit zu legen. „Die waren nicht die alleinigen Sündenböcke“, meint Historiker Vesting. Schließlich seien es die ostdeutschen Kombinate gewesen, die Verträge mit den Gefängnissen über den Einsatz von Häftlingen abgeschlossen hätten. Der Export in den Westen sei dann über eine Außenhandelsfirma abgewickelt worden.

Zudem hätten die Betriebe in der Regel sowohl für den Binnen- als auch für den westdeutschen Markt produziert, sagt Sachse. Es lasse sich im Einzelfall kaum mehr nachweisen, ob in die damalige Bundesrepublik gelieferte Waren tatsächlich in der DDR von Häftlingen produziert worden seien.