DDR-Klassiker DDR-Klassiker: MDR verfilmt "Nackt unter Wölfen"

Vojna/MZ - Als der Wald sich lichtet, kommt das Grauen zum Vorschein. Das Gelände ist mit Stacheldraht umzäunt. Auf dem leicht abschüssigen Hang stehen mehrere Baracken. Dazwischen die Häftlinge. Ausgemergelte Gestalten in zerfetzten und beschmutzten Sachen. Täuschend echt sieht das alles aus, als würde es das Konzentrationslager Buchenwald noch geben, diesen Ort, in dem zwischen 1937 und 1945 etwa eine Viertelmillion Menschen eingesperrt waren. Wo 56 000 von ihnen umgebracht wurden.
Doch die Waldlichtung, der Hang und die Baracken stehen nicht auf dem Ettersberg bei Weimar. Der Ort und sein Grauen wurde in Vojna, rund eine Autostunde südlich von Prag, errichtet. Dort zwang man einst Gefangene zum Abbau von Uran. Heute ist das frühere sowjetische Arbeitslager eine Gedenkstätte. In den vergangenen zwei Wochen war es Filmkulisse. Hier fand der größte Teil der Dreharbeiten zu „Nackt unter Wölfen“ statt. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) und die Ufa verfilmen den DDR-Klassiker von Bruno Apitz neu. Er soll im zweiten Quartal 2015 im Ersten laufen. „20.15 Uhr, Prime Time“, heißt es.
Für das Projekt nimmt der MDR viel Geld in die Hand. Mehrere Millionen Euro soll der Film kosten. Seine Ausstrahlung wird von Dokumentationen begleitet. Sogar eine eigene Website wird es geben. „Das ganz große Paket“, verspricht Jana Brandt, die beim MDR den Bereich Fernsehfilm verantwortet. Für den Sender hat das Projekt oberste Priorität.
Verzerrtes Bild vom Leben im KZ
Die Bedeutung liegt im Stoff selber. „Nackt unter Wölfen“ ist einer der großen Romane der DDR. Nicht nur auf Grund seiner literarischen Qualitäten, sondern vor allem, weil er das Selbstverständnis des ostdeutschen Staates prägte. 1958 erschien das Buch im Mitteldeutschen Verlag in Halle. Drei Jahre hatte Bruno Apitz daran gearbeitet.
In seiner Geschichte geht es um einen jüdischen Jungen, der nach Buchenwald deportiert wird. Er entgeht der Ermordung nur, weil ihn einige politische Häftlinge verstecken. Die kommunistischen Insassen verteidigen sein Leben und gefährden sich damit selbst. Ihre Handlung und Haltung sind es, die in der DDR besondere Betonung fand. Die Antifaschisten bleiben auch unter unmenschlichen Bedingungen menschlich - eine Lesart, die über Generationen im Osten vermittelt wurde. „Nackt unter Wölfen“ war Pflichtlektüre in der Schule. Jeder kannte das Buch, das Frank Beyer 1963 verfilmte. Sein Werk, in dem Armin Mueller-Stahl, Fred Delmare und Erwin Geschonneck mitspielten, gilt als einer der bedeutendsten Defa-Filme aller Zeiten.
Doch an der Lesart, wie sie zu DDR-Zeiten geprägt wurde, wird gerüttelt. Nicht erst seit es das Filmprojekt gibt, wird über Apitz’ Buch diskutiert. 2012 wurde im Aufbauverlag eine Neufassung des Romans veröffentlicht. Susanne Hantke, die Herausgeberin, verdeutlicht darin, dass Apitz selber sein Buch nicht so geplant hatte, wie es dann erschienen ist. Seine Charaktere waren weitaus vielschichtiger angelegt, als es die Helden in der veröffentlichten Version von „Nackt unter Wölfen“ sind. Unter den Insassen im Lager gab es Hierarchien und Kämpfe. Als Funktionshäftlinge hielten auch die politischen Gefangenen - beauftragt und angetrieben durch SS-Wachmannschaften - den Tötungsbetrieb im Lager am Laufen. Apitz erlebte diese Seiten selber. Er war acht Jahre in Buchenwald inhaftiert. Als Funktionshäftling wurde er in der Pathologie eingeteilt, wo Insassen systematisch mit Gift-Injektionen ermordet wurden.
Diese Seite sollte jedoch im Buch von Apitz nicht präsent sein und den Mythos der Menschlichkeit in Zweifel ziehen. Die Kulturfunktionäre in der DDR verhinderten entsprechende Passagen. So entstand kein falsches, aber zumindest ein verzerrtes Bild vom Leben in Buchenwald.
Notwendige Neuinterpretation
Das Bild wieder gerade zu rücken, ist ein erklärtes Ziel der Neuverfilmung, die allerdings weder ein Remake von Beyers Version, noch eine Eins-zu-eins-Umsetzung des Buches sein will. „Es wird ein Film nach Motiven von ’Nackt unter Wölfen’“, sagt Stefan Kolditz, der das Drehbuch geschrieben hat. Er habe großen Respekt vor dem Roman, sagt Kolditz. Allerdings bedürfe es einer Neuinterpretation. Für ihn soll die Verfilmung vor allem eine gesamtdeutsche Diskussion über die Sichtweise des KZ-Lebens entfachen und damit eine Fehlstelle beseitigen.
Der Anspruch besteht darin, ein realistisches Bild von den Vorgängen im Lager zu zeigen. Daran, ob das nun gerade mit „Nackt unter Wölfen“ geschehen soll, gibt es allerdings Zweifel. Vor allem die Gedenkstätte Buchenwald hätte sich gewünscht, dass nicht das Buch als Grundlage genommen wird. „Eine andere Vorlage für den Film hätte uns besser gefallen“, sagt Sprecher Phillipp Neumann-Thein. Buchenwald wird sehr stark mit „Nackt unter Wölfen“ verbunden. Dass das nicht so gewollt ist, wurde deutlich, als der Direktor der Gedenkstätte, Volkhard Knigge, die Gedenktafel für das Buchenwald-Kind Stefan „Jerzyy“ Zweig im Jahr 2000 abmontieren ließ.
Gegen das Filmprojekt sei die Gedenkstätte jedoch nicht, sagt Neumann-Thein. Das Drehteam habe sogar eine Genehmigung bekommen, auf den Gelände zu filmen. Ende Mai werden dort zwei Tage lang Aufnahmen gemacht.
Die Bedenken der Gedenkstätte teilt Susanne Hantke nicht. Für die Herausgeberin der Neuauflage waren bereits in der zu DDR-Zeiten veröffentlichten Version des Buches die Facetten enthalten, die deutlich zeigen, was das Lager aus seinen Insassen gemacht hat und was die im Lager gemacht haben. „Es kommt halt immer auch darauf an, welche Teile eines Buches betont werden“, sagt Hantke. Das gilt auch für die Neuinterpretation von „Nackt unter Wölfen“.