Bitterfeld Bitterfeld: Von der Dreckschleuder zum Touristenmagneten
BITTERFELD-WOLFEN/MZ. - "Damals wurden manche Goitzsche-Pläne belächelt", sagt Zimmer, Vorsitzender des Kommunalen Zweckverbandes Bergbaufolgelandschaft Goitzsche. 15 Jahre später hat das ehemalige Tagebaugelände vor den Toren der einst dreckigsten Stadt Europas eine Wandlung hinter sich, die ihresgleichen sucht. 290 Millionen Euro hat die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft seit 1991 in die Renaturierung des Tagebaugeländes gesteckt. 70 Millionen wurden vor der Weltausstellung Expo 2000 in das seinerzeit größte Landschaftskunstprojekt der Welt gepumpt.
Langer Weg zum Neuaufbau
Heute ziehen 24 Quadratkilometer Wasserfläche Touristen an. Der einst belächelte Hafen steht, weithin sichtbar sind "Bitterfelder Bogen", Bernsteinvilla, die Halbinsel Agora und vor allem der Pegelturm. Seit Donnerstag ist er wieder begehbar, zu erreichen über die Seebrücke, die im Januar 2007 während des Orkans "Kyrill" versank.
Deren Wiederaufbau war eine schwierige Geburt. Monatelang stritten sich Zweckverband und die damalige Stadt Bitterfeld um die Finanzierung. Die Stadt verweigerte wegen Grundstücksfragen zunächst ihren Eigenanteil. Dann stellten Experten fest, dass eine Reparatur der Brücken-Pontons nicht ausreichend vor dem nächsten Sturm schützt. "Wir mussten uns für den Neuaufbau entscheiden", so Zimmer. Der aber verzögerte sich durch Vergabefehler weiter.
Die Geschäftsleute der Ladenzeile am Ufer haben das zu spüren bekommen. Im ersten Jahr seien die Touristen noch aus den Bussen gestiegen, um dann verärgert weiterzufahren. "Im zweiten Jahr war es schon nur noch der Busfahrer", sagt Ingo Jung, Geschäftsführer der Bernsteinpromenaden-Betriebsgesellschaft. Jörg Henze, der am Pegelturm einen Bootsverleih betreibt, beklagte bis zu 50 Prozent Umsatzeinbuße. Pünktlich mit der Wiedereinweihung der Seebrücke investiert er nun in neue Boote.
Mehr als 860 000 Euro haben Land, Kommunen und Zweckverband in die neue Brücke gesteckt. Unumstritten ist sie nicht - aus dem Expo-Kunstprojekt wurde ein ingenieurtechnisches Bauwerk. Auch ein Metallkäfig am Eingang, der die Brücke abschließbar und vandalismussicher macht, ist gewöhnungsbedürftig. Aber die Goitzsche hat ihr Wahrzeichen wieder, das für Besucher sorgt. Und alles in allem will Lutz Bernhardt, Geschäftsführer der Goitzsche-Eigentümergesellschaft EBV, über Gästezahlen nicht klagen. 110 000 wurden im Jahr 2000 an der Goitzsche gezählt, 2008 waren es schon 350 000. Die meisten sind Tagesgäste, an den Übernachtungszahlen im Landkreis lässt sich der Boom an der Goitzsche höchstens phasenweise ablesen. Dabei, sagt Zimmer, sei sie idealer Ausgangspunkt für Touren zu Bauhaus (Dessau), Luther (Wittenberg) oder nach Leipzig. "Was wir künftig brauchen, sind Schlechtwetter- und saisonverlängernde Angebote samt Übernachtungskapazitäten."
Marketing soll verbessert werden
Gas geben, fordert Geschäftsmann Jung, müsse die Region in punkto Marketing. "De facto war das bisher nicht existent", kritisiert er. Räumt aber auch ein, was Bernhardt und Bitterfeld-Wolfens Oberbürgermeisterin Petra Wust (parteilos) relativieren: Seit anderthalb Jahren gibt es eine gemeinsame Marketingrunde aller Beteiligten. "Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist gewachsen. Und wenn nur die Hälfte von dem kommt, was wir verhandeln, dann kann man auch von gutem Marketing sprechen", so Bernhardt.
Geduld sei nötig. Denn Pläne gibt es reichlich. Für ein großes Hotel. Für eine "Bernsteinerlebniswelt", in der vielleicht eines Tages sogar wieder geschürft wird - 800 Tonnen Bernstein liegen noch in der Goitzsche. Ein erster Entwurf für die Erlebniswelt war 2008 noch vom Kreistag abgeschmettert worden, jetzt sind zwei neue in Arbeit.
Zukunftsmusik ist auch ein Pavillon, in dem die Ausstellung "Land gewinnen" unterkommen könnte. Seit ihr ehemaliger Standort, das Schloss Pouch, verkauft wurde, gibt es sie nicht mehr. Vermarktungstechnisch ein Gau, räumt Zimmer ein. "Geschichten über die Goitzsche machen den Unterschied zu anderen Seen aus."