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Berufsausbildung Berufsausbildung: Viele Bewerber bringen zu wenig mit

Von Bärbel Böttcher 21.10.2012, 19:19
Artikel vom 21.10.12 Frank Ecke (61, vorn) arbeitet seit 1967 im Aluminiumwerk. Winfried Wehnert (59) ist seit 1970 dabei. Wer wird sie einmal ersetzen?
Artikel vom 21.10.12 Frank Ecke (61, vorn) arbeitet seit 1967 im Aluminiumwerk. Winfried Wehnert (59) ist seit 1970 dabei. Wer wird sie einmal ersetzen? ANDREAS STEDTLER Lizenz

Hettstedt/Halle (Saale)/MZ. - Im Büro von Danny Isensee hängt die Fotografie einer Fußballmannschaft. Das Bild aus dem Jahr 2008 zeigt junge Mitarbeiter und Lehrlinge des Aluminiumwerkes Hettstedt. "Momentan", so sagt der Werkleiter, "würde ich eine solche Mannschaft gar nicht mehr zusammenbekommen." Junge, intelligente, verlässliche und willige Leute seien zu einer wahren Rarität geworden. Dabei brauche das Werk dringend Nachwuchs. Das Aluwerk bildet zwar gerade drei junge Meister auf eigene Kosten aus. Das reiche jedoch nicht aus, um das altersbedingte Ausscheiden von Fachpersonal abzufedern.

70 Stammkräfte arbeiten auf dem Lichtlöcher Berg. "Zehn von ihnen haben in den nächsten zwei bis drei Jahren die Möglichkeit, in Rente zu gehen", betont Isensee. Das seien gute Fachkräfte. Eckpfeiler des Werkes nennt er sie. "Sie haben ihre Ausbildung noch zu DDR-Zeiten erhalten. Das war eine Ausbildung, die auf die spezifischen Bedürfnisse der Metallurgie ausgerichtet war." In der Art gebe es die gar nicht mehr. "Einen gut qualifizierten Gießer beispielsweise kriegen sie heutzutage nirgendwo", fügt er hinzu. Vielmehr müssten die Älteren die Jungen anlernen, damit sie in deren Fußstapfen treten könnten. Und das sei keine Sache von Wochen oder Monaten, sondern von Jahren. Keine mittelständische Firma könne sich das noch leisten.

Wie die meisten Unternehmen im Bezirk der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau (IHK), versucht das Aluwerk seinen Nachwuchs hauptsächlich über die Lehrlingsausbildung zu rekrutieren. Sechs junge Menschen sollten im Herbst dieses Jahres eingestellt werden und beispielsweise zum Gießereimechaniker, zum Elektroniker oder Mechatroniker ausgebildet werden. Es hat nicht geklappt. "Wir haben nur einen geeigneten Lehrling einstellen können, doch der hat nach drei Tagen wieder gekündigt", erzählt Isensee. Ihm sei die Entfernung zur Berufsschule nach Leuna zu weit gewesen. Sicher, Bewerber habe es durchaus gegeben. Doch die seien nicht geeignet gewesen. "Die jungen Leute haben nicht die geringsten Grundkenntnisse gehabt", klagt der Werkleiter. Ihnen fehle der polytechnische Unterricht, wie es ihn zu DDR-Zeiten gegeben habe, meint Isensee. Was er aber fast noch trauriger findet ist der Umstand, dass keiner von denen, die zu einem Gespräch eingeladen wurden, wirklich wusste, was das Werk eigentlich produziert beziehungsweise wofür sie sich eigentlich bewerben. Die Auswahl im Handwerk sei sehr begrenzt, sagt Isensee. "Hettstedt hat einmal 25 000 Einwohner gehabt. Heute sind es noch etwa 15 000. Tendenz fallend."

Stefan Sommer, Personal- und Marketingleiter der Kathi Rainer Thiele GmbH, hat ähnliche wenn auch nicht ganz so niederschmetternde Beobachtungen gemacht. Das hallesche Unternehmen kann derzeit noch alle Lehrstellen besetzen. "Doch die Bewerberzahlen gehen zurück und mit der Qualität hapert es", sagt auch er. So ließen oft schon die Gestaltung der Bewerbungsunterlagen oder das Auftreten im Bewerbungsgespräch zu wünschen übrig.

Die Zustände, die Isensee und Sommer beklagen, sind weit verbreitet. "Viele unserer Betriebe stellen eine mangelnde Ausbildungsreife der Schulabgänger fest", sagt Simone Danek, die IHK-Geschäftsführerin für Aus- und Weiterbildung. Zu den häufigsten Mängeln zählten fehlende Leistungsbereitschaft und Motivation, geringe Belastbarkeit und Probleme bei elementaren Rechenfertigkeiten sowie ein schlechtes Ausdrucksvermögen. Dabei gingen die Betriebe durchaus Kompromisse ein. "Da die Lehrlinge nicht mehr in Scharen vor der Tür stehen, sind sie bereit, auch Schwächeren eine Chance zu geben", fügt Danek hinzu. Betriebe gingen längst nicht mehr nur nach den Schulnoten, sondern auch nach sozialer Kompetenz.

Bei Kathi, 2011 übrigens mit dem IHK-Titel Top-Ausbildungsbetrieb geehrt, erhalten Lehrlinge, die Schwierigkeiten haben, beispielsweise eine persönliche Betreuung sowie individuelle Lehrunterweisungen. Möglich ist aber auch ein ganz anderer Weg: nämlich die sogenannte Einstiegsqualifizierung, bei der der Aspirant erst einmal ein längeres Praktikum im Betrieb absolviert, sich Grundkenntnisse aneignet, die ihn auf eine Lehrausbildung vorbereiten. Der Hersteller von Backmischungen hat damit gute Erfahrungen gemacht.

"Doch bei allem Entgegenkommen, es gibt objektive Grenzen", betont Danek. "Die Betriebe können nur bis zu einem gewissen Grad das ausbügeln, was vorher in den Familien, in den Schulen und in der Gesellschaft möglicherweise versäumt worden ist."

Kathi bildet derzeit 14 Lehrlinge in fünf Berufen aus - unter anderem Fachkräfte für Lebensmitteltechnik oder für Lagerlogistik. Sommer unterstreicht, dass es dem Unternehmen wichtig sei, jungen Menschen eine fundierte Ausbildung zu ermöglichen. Das sei eine solide Basis für ihre berufliche Weiterentwicklung. Nicht nur bei Kathi.

Der Personalchef unterstreicht, dass das Unternehmen jung sei. "Der Generationswechsel ist in weiten Teilen vollzogen." Zudem gebe es wenig Fluktuation. "Noch", so sagt er, "berührt uns der Fachkräftemangel nicht so sehr." Aber das werde nicht so bleiben. Sommer hat dabei genau im Blick, dass sich der Wettbewerb der Unternehmen um die rarer werdenden Arbeitskräfte verschärfen wird. Ein Indiz dafür, dass dieser Wettbewerb bereits in vollem Gange ist, sieht die IHK darin, dass die Betriebe immer früher versuchen, Jugendliche zu werben und an sich zu binden. Auch die Geschäftsführung des Aluminiumwerkes Hettstedt hat nach der Misere 2012 beschlossen, bereits im November mit der Suche nach Lehrlingen für das kommende Jahr zu beginnen.

Ein erfolgversprechender Weg? "Das kommt darauf an", sagt Simone Danek. "Es muss gleichzeitig gelingen, den Lehrling bis zum Beginn des Ausbildungsjahres zu halten." Aufgrund der günstigen Marktsituation würden sich viele, die an einer Stelle bereits zugesagt haben, noch einmal umorientieren, weil die Ausbildungsbedingungen anderswo möglicherweise besser seien.

Um Lehrlinge zu gewinnen, so die IHK-Geschäftsführerin, reiche es heutzutage übrigens nicht mehr aus, auf die traditionelle Bewerbung zu warten. Vielmehr müssten die Betriebe selbst aktiv werden. Kathi-Personalchef Sommer nennt Schülerpraktika, die Messe "Chance", online-Börsen oder die Zusammenarbeit mit Lehrern die für die Berufsorientierung verantwortlich seien. All dies werde genutzt. "Das Ausbildungsmarketing muss breit aufgestellt sein", betont er. Da sei es egal, ob zwei oder 20 Lehrlinge gesucht würden.

"Und", so betont Danek, "die Betriebe müssen sich attraktiv machen." Das ist aber oft leichter gesagt als getan. Was hat beispielsweise Danny Isensee vom Aluminiumwerk in Hettstedt zu bieten? "Einen durchaus ordentlichen Lohn und ein gutes Arbeitsklima", sagt er. Aber er weiß auch, dass es wenige Kilometer entfernt ein Werk mit ähnlicher Ausrichtung gibt, dass drei Euro mehr Stundenlohn zahlt und in dem die Arbeiter mit einem 13. Monatsgehalt rechnen können. Er kann das nicht zahlen. "Wenn wir dann mal wieder einen guten Lehrling bekommen, läuft der garantiert nach dem Ende seiner Ausbildung weg", sagt er.

Isensee schaut sorgenvoll auf das Bild an seiner Wand. Die Zeiten einer Fußballmannschaft sind wohl endgültig vorbei.