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"Basar der bösen Träume" "Basar der bösen Träume": Stephen Kings Facetten der Furcht

Von Steffen Könau 04.02.2016, 08:55
Alpträume sind eigentlich nicht schlimm, doch auf Dauer können sie der Gesundheit schaden.
Alpträume sind eigentlich nicht schlimm, doch auf Dauer können sie der Gesundheit schaden. dpa Lizenz

Halle (Saale) - Bei 66 war bis vor Kurzem noch Schluss. Das Internet-Lexikon Wikipedia hatte offenkundig kapituliert vor dem atemberaubenden Schreibtempo, das US-Thrillerkönig Stephen King kurz vor seinem 70. Geburtstag hinlegt. Den Roman „Finderlohn“, erschienen vor vier Monaten, listete die Enzyklopädie als aktuellstes Werk des Auflagenmillionärs. Der aber war da längst schon weitergeeilt: Auf dem „Basar der bösen Träume“ (Titel) bietet Stephen King eine Sammlung von 20 Kurzgeschichten an, die teilweise auch mal ein wenig länger ausfallen.

Die alte Liebe zur kurzen Form

Kings Liebe zur kurzen Form ist bekannt, auch wenn der Mann aus Maine in seinen ausschweifendsten Schreibphasen Buchbriketts wie „The Stand“ mit mehr als 1.200 Seiten produzierte. Zumindest als Zwischenmahlzeit aber hat King seinen Lesern immer mal wieder eine Sammlung von Kurzgeschichten kredenzt, die ihm zwischendurch zum eigenen Amüsement oder zu speziellen Anlässen aus der Feder geflossen waren. Zuletzt waren vor sieben Jahren genügend ausformulierte Augenblicks-einfälle beisammen, um „Sunset“ zu veröffentlichen, einen knapp 500-seitigen Band voller Storys, die zwischen „ganz gut“ und „kann-man-machen“ schwankten.

Der „Basar der bösen Träume“ ist nicht nur wegen seines Umfanges ein anderes Kaliber. King ist nach einer kreativen Schwächephase zu Anfang des Jahrtausends, als ein schlimmer Autounfall ihn beinahe das Leben gekostet hätte, in den letzten Jahren mit Büchern wie „Mr. Mercedes“, „Revival“ und „Finderlohn“ wieder zu alter Form zurückgekehrt. Auch der ebenso einfalls- wie abwechslungsreiche „Basar“ kündet davon. Stephen King arbeitet sich hier auf zwischen 20 und 70 Seiten durch allerlei Facetten menschlicher Furcht: Was wäre, wenn der Teufel die Gestalt eines kleinen Jungen annähme, der nichts weiter ist als teuflisch böse? Was wäre, wenn der Mann mit dem großen Auto da vorn an der Ampel jetzt ausstiege, um sich darüber zu beschweren, dass der andere Fahrer in dem großen Pickup ihn geschnitten hat? Und was wäre, wenn wenig später Blut fließen würde?

Bei King bleibt es nicht beim Dialog, erst recht nicht im knackigen Kurzformat. Es fließt tatsächlich Blut, es kommt zu Gewalt, das Böse nimmt mal die Form einer Sanddüne, mal die des besagten kleinen Jungen an, der - so viel Spaß muss sein - an Kings frühes Meisterwerk „Es“ erinnert, da auch er eine lustige Mütze mit Propeller trägt.

Doch natürlich sind die jähen Wendungen, die Kings Kurzgeschichten meist nehmen, nur das halbe Vergnügen. Wie in seinen großformatigen Romanen gelingt es dem Routinier der rasend schnellen Spannungsliteratur auch hier, lebendige Figuren zu erschaffen, die intelligente Gespräche führen, rationale Gedanken denken und logisch reagieren. Zur Kürze gezwungen, kommt King sogar mit wenigen Strichen aus - etwa in der kürzesten Geschichte „Batman und Robin haben einen Disput“, die einen Gaststättenbesuch von Sohn und an Alzheimer erkranktem Vater beschreibt, an dessen Ende eine stille, friedliche Apokalypse steht.

Stephen King, der seinen Leserinnen und Lesern zu Beginn oder am Ende seiner Bücher gern dies und das erklärt, geht hier noch einen Schritt weiter. Vor jede Geschichte setzt er die Geschichte der Geschichte: Wie ist es mir eingefallen? Wo? Weswegen? Und dann? Erstaunlich ist dabei, dass der Schnellschreiber - hier angetreten unter einer Liedzeile eines AC/DC-Songs, in dem es ums Schießen aus der Hüfte geht - manchmal jahrelang mit einer Idee schwanger geht, ehe daraus etwas Aufgeschriebenes wird. Er habe dann eine Tasse, aber keinen Henkel, erklärt King. Und aus der Erfahrung seiner mehr als 40 Jahre hinterm Schreibtisch wisse er, dass er sich den auch nicht ausdenken könne. Man müsse warten können, und wenn man Glück habe, passiere es eines Tages: Der Henkel taucht auf, die Geschichte wird rund.

Das sind hier die meisten der zuweilen detailreich ausgemalten, zum Teil auch nur mit festem Strich skizzierten Storys. Die an den Beginn gestellte, aber zentrale Geschichte „Raststätte Mile 81“, die vor fünf Jahren Premiere als E-Book gefeiert hatte, verquickt Motive aus dem King-Filmklassiker „Stand by Me“ mit Anklängen an die mörderische Auto-Story „Christine“: Der zehnjährige Pete wagt einen Ausflug auf einen verlassenen Autobahn-Parkplatz. Und hier begegnet er dem gesichts- und ziellosen Grauen in Gestalt eines hungrigen Ford, der allerdings auch ein Chevy sein könnte.

Ein King heilt alle Wunden

King in Hochform, witzig, im Formulierungsrausch, und dabei nicht sparsam beim Erfinden ganzer Lebensläufe, die er ausschließlich benötigt, um deren Besitzer im Handumdrehen kaltblütig umzubringen. Das ganze Gegenteil kann er aber auch: „Ein Tod“ bietet 17 Seiten kalten, hässlichen Wilden Westen, die Draufschau auf ein Gerichtsverfahren nach einem Kindermord, das bei der Lektüre das Blut gefrieren lässt. Bis King die Seinen erlöst und in den letzten paar Zeilen alle Wunden heilt.

King sagt, er fühle sich beim Anpreisen dieser Geschichten „wie ein Straßenhändler, der nur um Mitternacht verkauft“. Beim Schreiben dagegen agiert er stets wie ein Detektiv, der seine Fälle aus der Zeitung bezieht und sie anschließend löst, ohne sein Zimmer zu verlassen. Die Frau, die eben noch nüchtern war und Minuten später volltrunken einen Unfall mit fünf Todesopfern verschuldet, ist eine Lotto-Gewinnerin, die durchdreht. Die meckernde Ehefrau aus „Premium Harmony“ so plötzlich tot, dass ihr Mann gar nicht weiß, was er sagen soll. Und „Mister Sahneschnitte“ aus der gleichnamigen Aids-Ballade, erzählt nicht vom Schwulsein, sondern davon, wie es ist, jung zu sein und Risiken für etwas zu halten, das gegen das ewige Leben nichts ausrichten kann. (mz)

Stephen King überzeugt auch als Kurzgeschichtenverkäufer.
Stephen King überzeugt auch als Kurzgeschichtenverkäufer.
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Stephen King: Basar der bösen Träume, Heyne-Verlag, 768 Seiten, 22,99 Euro
Stephen King: Basar der bösen Träume, Heyne-Verlag, 768 Seiten, 22,99 Euro
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