Ausspähprogramme Ausspähprogramme: Verschwörungstheoretiker triumphieren

Halle/mz - Wie sind diese Typen immer verlacht worden. Mit ihren Chem-trails, den 9/11-Theorien, mit dem „nein, nicht am Telefon“ und ihrem unerschütterlichen Glauben, hinter der sichtbaren Wirklichkeit verbürgen sich geheime Kräfte, dunkle Schattenwelten, allmächtige Herrscher, die das Leben der einfachen Menschen mehr bestimmten als Angela Merkel, Peer Steinbrück und Guido Westerwelle zusammen.
Vor allem im Internet wimmelte es von Codes. Die Bilderberger. Die Freimaurer. Die Ostküste. Das Haarp-System, mit dem die Amerikaner nach Belieben Erdbeben auslösen können. Zwischen Salon-Antisemitismus und Verschwörung des Großkapitals war stets Platz für Fantasie. Die Mondlandung war erfunden, die Anschläge vom September 2001 verantwortete in Wirklichkeit der amerikanische Geheimdienst, der mit einem weltweiten System namens Echelon sämtliche elektronischen Lebensäußerungen aller Menschen jederzeit auffangen, filtern, ordnen und auswerten konnte.
Nie, so war sich ein Heer an Zweiflern, Abklopfern und pedantischen Nachrechnern einig, würden wir normalen Menschen die Wahrheit erfahren. Nicht die über den Tod des Al-Quaida-Chefs Osama bin Laden. Nicht die über Fukushima, über die wirklichen Hintergründe der großen Finanzkrise oder den bis heute rätselhaften Tod des CDU-Politikers Uwe Barschel. Von den Erkenntnissen der wirklich Mächtigen der Welt über Besuche von Außerirdischen, Parallelwelten und dem tatsächlichen Verbleib von Adolf Hitler am Ende des 2. Weltkrieges gar nicht zu reden.
Koffer für den Kanzler
Kommt ein Kanzler ins Amt, so der weitverbreitete Glaube, dann übergibt ihm sein Vorgänger einen atombombensicheren Aktenkoffer mit Papieren. Wer die Unterlagen gelesen hat, ist nicht mehr derselbe wie zuvor, denn er weiß, was die Welt im Innersten zusammenhält: Es sind die Illuminaten, die Geheimgesellschaft Skull&Bones, die Reptilienmenschen und natürlich jede Menge Aliens. Dass das alles nicht herauskommt, dafür sorgt eine große Verschwörung der Mächtigen.
Die deckelt die Wahrheit über die Mondlandung, die nie stattfand beziehungsweise in einem Fernsehstudio imitiert wurde. Die deckt die Mörder John F. Kennedys, der natürlich im Auftrag von CIA, dem Vizepräsidenten und der Militärindustrie hingerichtet wurde. Ebenso übrigens wie Prinzessin Diana, von der man leider bis heute nicht weiß, wie sie die Pläne der geheimen Weltregierung störte. Aber tot ist sie, was ganz klar beweist, dass sie jemandem im Wege gewesen sein muss. Sonst würde sie schließlich noch leben.
Bis zu 30 Prozent der Deutschen glauben nach einer ZDF-Umfrage an solche Geschichten, die meisten von ihnen so ernsthaft, dass sie bereit sind, die These von der Weltregierung, von allwissenden Geheimdiensten und den außerirdischen Beratern der US-Präsidenten nach außen zu vertreten. Keine leichte Aufgabe, viele Jahre lang. Was wurde da nicht gelästert! Als Spinner mussten sich die Wackeren veräppeln lassen, nur weil sie den Handy-Akku aus dem Gerät nahmen. Verfolgungswahn wurde ihnen attestiert, weil sie sich weigerten, Facebook beizutreten. Paranoid sei es, zu fürchten, irgendwer habe es darauf abgesehen, die Gewohnheiten, Vermögensverhältnisse und sozialen Netzwerke der Menschen auszuspionieren.
Doch „nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her“, hat der US-Schriftsteller Joseph Heller schon vor vielen Jahren festgestellt. Und wie recht er hatte, zeigt sich jetzt, wo der US-Whistleblower Edward Snowden die Tarndecke über einer tiefen Welt unter der normalen Wirklichkeit weggerissen hat. Ein Abgrund tut sich auf. Plötzlich ist nichts mehr wie vorher – und die Spinner mit dem Aluhut, der nach einer Idee von Julian Huxley, Bruder des berühmten „Schöne neue Welt“-Autors Aldous Huxley, vor außerirdischen Strahlen und Gedankenkontrolle schützen soll, sind auf einmal die Weitsichtigen, Cleveren. Die, die das alles schon immer gewusst haben.
Wie im Film „Fletchers Visionen“, in dem Mel Gibson die von Julia Roberts gespielte Staatsanwältin Alice Sutton so lange mit verqueren Verschwörungstheorien behelligt, bis sich herausstellt, dass es tatsächlich eine ganz hoch angebundene Verschwörung gibt, zeigt sich in der wahnhaften Furcht vor Beobachtung und Überwachung ein notwendiger Überlebensreflex. Es ist ja so, und es ist eigentlich noch viel schlimmer. Ja, sie sind hinter uns her!
Haben die Spinner recht?
Seit Snowden das Ausmaß der Überwachung durch westliche Geheimdienste begreifbar gemacht hat, ist nicht nur die Illusion von Privatsphäre, vom Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung und dem angeblich geschützten Fernmeldegeheimnis hinweggefegt. Sondern auch das Vertrauen weiter Teile der Bevölkerung in die eigene Urteilskraft. Die Spinner hatten Recht! Die Wahnsinnigen wussten mehr über das wahre Leben als die klugen, entspannt zurückgelehnt lebenden Internetauskenner! Ein Schock, dessen Nachwirkungen noch nicht absehbar sind.
Denn wenn es möglich ist, dass auch in der Bundespolitik niemand von nichts gewusst hat, dann gibt es nichts mehr, was nicht auch noch vorstellbar ist. Hatte nicht der von Bill Pullman gespielte US-Präsident in Roland Emmerichs „Independence Day“ keine Ahnung von den Außerirdischen, die sein Geheimdienst in einem unterirdischen Bunker untersuchte? Könnte nicht also auch Barack Obama nichts wissen von dem Alien, das nach Ansicht von Internetnutzern seit Jahren in einem Hangar auf der US-Air Force Base Wright-Patterson lebt?
Die Jagd nach Sicherheit um jeden Preis hat alle Sicherheiten beseitigt. Das Abhörsystem namens Echelon etwa, mit dem die CIA lange vor Prism und XKeyScore jedes Telefongespräch, jede E-Mail und jedes Fax weltweit abfangen und mitlesen konnte, war drei Jahrzehnte lang ein unbestätigtes Gerücht. Jeder konnte die riesigen Abhöranlagen in Bad Aibling oder auf dem mallorquinischen Puig Major sehen. Aber deutsche Spitzenpolitiker beteuerten, worum es sich handele, sei nicht klar. Dabei hatte der flüchtige NSA-Mitarbeiter Winslow Peck bereits 1976 alle Einzelheiten zu diesem ersten riesigen Spionagesystem öffentlich gemacht.
Glaube an Chemie in der Luft
Wahrheitssucher wie der Hallenser Helmut Gobsch lassen sich denn auch weder vom Bundesinstitut für Physik der Atmosphäre noch von der Weltgesundheitsorganisation von der Idee abbringen, dass es sich bei bestimmten Wolken am Himmel nicht um normale Kondensstreifen handelt, sondern um Spuren von chemischen Substanzen, die im Regierungsauftrag versprüht werden, um die Zeugungsfähigkeit der Bevölkerung zu senken oder und Gedankenkontrolle auszuüben.
„Gibt es einen besonderen Grund, warum in den gängigen Medien mit keinem Wort über diese Sprüheinsätze berichtet wird?“, hat Helmut Gobsch den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler schon vor Jahren in einem langen Brief gefragt. Und keine Antwort bekommen. Reine Fantasiegebilde müssen und können nicht widerlegt werden, denn sie werden geglaubt. Und gegen puren Glauben kommen blanke Fakten nie an.
Doch waren nicht auch die üblen Überwachungsvisionen aus Will Smith NSA-Film „Staatsfeind Nr.1“ blanke Erfindung? War ein Charakter wie der Abhörexperte Brill Lyle, gespielt von Gene Hackman, nicht eine reine Comicfigur? Und ist nicht die dort vorgeführte Überwachung mit Wanzen, funkenden Uhren und Sendern in Schuhsohlen lächerlich - verglichen mit dem, was heute von der echten Überwachung bekannt ist?
In Wirklichkeit ist alles noch viel schlimmer, in Wirklichkeit gibt es auch keine Rettung. Julian Huxleys Aluhüte jedenfalls, das hat eine Studie des Massachusetts Institute of Technology jüngst ergeben, helfen nicht. Statt ihre Träger vor schädlichen Strahlen zu schützen, funktionieren sie eher wie Antennen. Die passende Verschwörungstheorie der Forscher dazu: „Wir glauben, deshalb hat die Regierung erst die Idee gestreut, dass man so einen Helm tragen sollte.“