Antrittsbesuch Antrittsbesuch: Bundespräsident nahm sich viel Zeit zum Zuhören
Weißenfels/MZ. - Der neue Bundespräsident Horst Köhler besuchte Weißenfels - ein Abstecher, der dem 61-Jährigen ostdeutsche Chancen und Probleme wie unter einem Brennglas gebündelt vorführte.
Das sind die Gelegenheiten, die man beim Schopf packen muss. Hilmar Möhring kennt da keine Scheu. Zwei schnelle Schritte und schon schüttelt der Mann in der Nappa-Lederjacke die Hand von Horst Köhler. "Sie müssen wissen", sagt der Frührentner zum Bundespräsidenten, "wir sind beide gleich alt!"
61 Jahre nämlich. "Und deshalb wollte ich Ihnen mal sagen, machen Sie weiter so, sagen Sie den Menschen dieWahrheit."
Der Bundespräsident, umringt von einemTross aus Mitarbeitern, Sicherheitsleutenund Journalisten, hört das sichtlich gern.Vor kurzem in Rostock haben sie ihn noch mitBuhrufen empfangen, weil er in einem Interviewgesagt hatte, dass die Lebensverhältnissein Deutschland auch in ferner Zukunft niewerden gleich sein können. Hier in Weißenfels,ehemals die Schuhmetropole der DDR und fürviele Weißenfelser heute eine Art letzterWinkel ohne Aufbau Ost, bekommt Horst Köhlerschon Applaus, als er aus seiner Limousinesteigt. Lächelnd geht Köhler auf die Menschenzu, die vor dem Rathaus stehen, er schütteltHände, lässt sich fotografieren, stellt Fragen.
Und bekommt Antworten. Von Weißenfels'Bürgermeister Manfred Rauner (CDU) zuerst,der ihm von den Schwierigkeiten des AufbauOst berichtet. "Man kommt ein Stück voran",sagt Rauner, "und dann wirft es uns wiederein Stück zurück." Die Siege sind eher klein:Ein saniertes Haus, ein Stück Straße, einInvestor, der sich ansiedelt.
Wie Christian Künzer. Der Chef der MitteldeutschenErfrischungsgetränke GmbH empfängt Köhlerin den ersten renovierten Räumen des neuenFirmensitzes. Hier wurde früher Felsquell-Biergebraut, dann machte das Ende der DDR ausdem imposanten Backsteinbau eine Brache. "Undaus der wird jetzt wieder ein Schmuckstück,das weit über Weißenfels hinaus strahlen wird",ist sich Künzer sicher.
Noch aber reicht das nicht. Nicht einmal,um die Stimmung aufzuhellen. "Die jungen Leutemüssen ja alle weg, weil es hier keine Arbeitgibt", sagt Herlinde Huhn. Auch ihr Enkelsei schon fort. "Mir ist klar, dass der HerrKöhler selber da nichts machen kann", sagtdie Rentnerin, "aber wissen soll er es."
Köhler, in grauem Anzug und goldkariertemBinder, scheint das genau so zu sehen. Natürlichabsolviert er die Pflichttermine im Rathaus,unterschreibt im Goldenen Buch und lächeltin die Kameras. Beim Gang durch die Altstadtaber, in der neben restaurierten Altbautenauch zahlreiche Ruinen die Blicke auf sichziehen, lässt Horst Köhler das Protokoll Protokollsein.
Das führt zu turbulenten Szenen. Etwa,als Köhler beschließt, nun mal ein paar jüngereLeute zu befragen. Nicole Löw und Stefan Jäger,gerade auf dem Weg zum Schulbus, sind vonder Konfrontation mit dem Mann aus dem Fernsehenallerdings so erschüttert, dass sie eiligdas Weite suchen. "Ey, das war der Bundespräsident",sagt der 16-jährige Stefan, glücklich hintereine Ecke entkommen, "was soll ich dem dennerzählen?"
Vielleicht, wie es sich lebt in einer Stadt,die seit Jahren schrumpft? Die seit der Wende20 Prozent ihrer Einwohner verloren hat? Inder es schwer ist, Chancen zu nutzen, wenndie nicht da sind?
Man muss sich jeden Tag strecken, weiß FranziskaLauermann. Gerade noch hat die 29-Jährigeein Gesteck zusammengestellt, auf einmal stehtder Präsident vor ihr. "Ich musste erstmalschlucken", sagt sie. Dann aber erklärt dieExistenzgründerin dem Ex-Weltbanker, wie dasso ist, im Osten Geschäftsfrau zu sein. "Wenndie Leute die Taschen zuhalten, weil sie Angsthaben, was morgen kommt."
Horst Köhler kann ihr die Furcht nicht nehmen.Doch der Mann, der als eher kühl gilt, entpupptsich im Gespräch als Plauderer, den nichtdie Pflicht des Amtes, sondern echte Neugiertreibt. "Ich kann nicht alles mit eigenenHänden richten", sagt er, "aber die Menschensollen spüren, dass ich ihre Sorgen kenne."