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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Stufen im Fluss

Von IRIS STEIN 04.06.2010, 17:14

Halle/MZ. - Lachse. Fast 5 000! In der Mulde! Das ist kein Märchen, sondern das war Wirklichkeit. Wobei die 5 000 nicht etwa die vorhandenen, sondern lediglich die gefangenen Fische bezeichnen. Im Jahr 1642 zumindest, denn so alt sind die Aufzeichnungen, die davon berichten.

Gefangen wurde in Dessau an der Muldenbrücke, am Berber oder Parnäkel und an der Mühle von Jonitz. Zogen im Frühjahr die Lachszüge elbaufwärts und erreichten schließlich die Nebenflüsse, verbreitete sich diese Nachricht wie ein Lauffeuer. In Dessau sollen die Glocken geläutet haben, wenn es soweit war. Das alles ist längst Vergangenheit. Die Lachse starben einfach aus. Der letzte verbürgte Elblachsfang datiert vom 22. Dezember 1949 in Usti nad Labem. An der Mulde war es noch schneller gegangen. Die rasante Entwicklung der Industrie ließ Wehranlagen entstehen, die für die Fische einfach nicht mehr passierbar waren. 1875 gingen die letzten Lachse in Jessnitz ins Netz, 1878 in Raguhn und 1882 in Dessau. An der Jonitzer Mühle waren es 1873 mitunter noch bis zu 80 Tiere an einem Tag gewesen.

Wird es das in absehbarer Zeit wieder geben? Zumindest technisch sind den Lachsen im wahrsten Sinne des Wortes die Wege zur Wiederansiedlung geebnet. Am Auslauf des Muldestausees entstand in den letzten zwei Jahren die Fischaufstiegsanlage Friedersdorf, wie es amtlich heißt. Die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau- und Verwaltungsgesellschaft (LMBV) baute für rund fünf Millionen Euro eine Fischtreppe. Wo die Lachse bisher scheiterten, können sie nun die Treppe nehmen, um in den Oberlauf der Mulde zu gelangen. Wobei man ihnen allerdings erst mal zeigen muss, wo es langgeht.

Die Laichgebiete von Lachsen liegen bis zu 2 000 Kilometer entfernt von ihrem Lebensraum im Atlantik. In Westeuropa laichen Lachse in Norwegen und in Spanien, auf den britischen Inseln, Irland, Island, den Färöern und in vielen Ostseezuflüssen. In absehbarer Zeit soll auch die Elbe mit ihren Nebenflüssen wieder Laichgebiet sein. Von dort aus treten die geschlüpften kleinen Lachse - die heute beim ersten Mal natürlich im Quellgebiet der Flüsse ausgesetzt werden müssen - ihre Reise in den Ozean an, um Jahre später zum Laichen zurückzukehren, atlantische Lachse übrigens bis zu sechsmal. Zuverlässig finden sie ihren Geburtsort, orientieren sich dabei an Sonne und Sternen, Erdmagnetfeld, Strömungen und letztlich am Geruch des Heimatflusses, auf den sie unumkehrbar geprägt sind.

Erreichen sie nun von der Elbe aus über die Muldemündung den Auslauf des Stausees, wäre bisher Schluss gewesen mit der Lachswanderung. 34 Jahre lang war das so, so lange gibt es den Muldestausee - jetzt gibt es die Treppe. Als Bauwerk imposant, wird sie sich in den nächsten Wochen mit Wasser füllen und von den Fischen in Betrieb genommen werden können. Übrigens nicht nur von Lachsen. "Auch Gründler wie Aale profitieren davon", sagt Georg Morszeck, Projektverantwortlicher für die Aufstiegsanlage, denn auch die können den Aufstieg benutzen. Was Treppe heißt, hat übrigens mit den herkömmlichen Vorstellungen von einer Treppe nicht viel zu tun. "Fünf Meter und 28 Zentimeter beträgt der Höhenunterschied", erklärt Georg Morszeck, "43 kleine Becken überwinden ihn."

Die Vorstellung, dass die Fische von Stufe zu Stufe springen würden, ist schlicht falsch. "Es kommt darauf an, den Tieren die Möglichkeit zu schaffen, gegen eine moderate Strömung bergauf zu schwimmen", verdeutlicht der 53-Jährige. Die einzelnen Becken verbergen unter der Wasseroberfläche so genannte Störsteine. Wie die Strömung verläuft und durch welche Maßnahmen sie gebremst wird, ist genau berechnet. Ähnliche Bauwerke befinden sich übrigens am Rhein, der ebenfalls für Fischwanderungen wieder zugänglich gemacht wurde und wird.

Einfach eine Rinne bauen, damit wäre es nicht getan gewesen. "Viel zu starke Strömung", winkt Georg Morszeck ab. Auf eine Strömung konnten die Konstrukteure allerdings nicht verzichten, sie wurde sogar bewusst angelegt: die Lockströmung. Sie signalisiert den Tieren den Einstieg zum Aufstieg, "damit sie überhaupt den richtigen Weg finden", sagt Morszeck. Einen halben bis einen Meter hoch reicht das Wasser künftig in der Flusstreppe. Wenn vielleicht in einigen Jahren die ersten Lachse tatsächlich auf ihrer Wanderung hier entlang kommen, müssten Beobachter sie deutlich erkennen können, schätzt Morszeck.

Nicht erkennen können Beobachter, was die LMBV auch unter Wasser verändert hat. Abgesehen von den vier Ausstiegen der Treppe Richtung Stausee, die für den jeweiligen Wasserstand in jeweils passender Höhe liegen, ist auch am Einlauf des Sees allerhand geschehen. Hier war es nötig, die so genannte Sohlgleite anzulegen. Die Wehrschwelle wurde dafür halbseitig abgefräst - schließlich müssen die Lachse auch Richtung Quelle den passenden Durchlass finden.

Alles fertig - die Lachse können kommen. In der Elbe wurde der erste vor einem Jahr bei Bad Schandau gesichtet. 300 000 erbrütete Jungfische werden jährlich in den Strom und seine Nebenflüsse eingesetzt. Nun auch in die Mulde.