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Altenheim in Leipzig Altenheim in Leipzig: Rentner sollen raus

Von Julius Lukas 01.06.2015, 18:59

Leipzig - Wer zur Seniorenresidenz „Amalie“ im Osten von Leipzig will, der muss erst einmal suchen. Das Altenheim liegt am Rande der Stadt, am Ende einer kleinen Straße. Schon aus der Ferne sieht man dort einen schmucklosen Gebäudekomplex: Nachwende-Architektur mit beigefarbener Steinplatten-Fassade und blauen Fensterrahmen. Über der Zufahrt prangt die Werbetafel einer großen Hotelkette. Von einer Seniorenunterkunft ist nichts zu lesen. Erst wenn man den Parkplatz vor dem Gebäudekomplex betritt, entdeckt man das Schild: „Amalie - Das Alter gemeinsam genießen.“

Die Lage, sie ist unauffällig. So unauffällig, dass über Jahre hinweg niemand bemerkte, dass die Seniorenresidenz eigentlich illegal ist. Der Hotelkomplex wurde 1994 gebaut. Vor 17 Jahren widmete dann der Betreiber ein Gebäudeflügel in ein Altenheim mit 144 Wohnungen um. Die Anlage hatte stets einen guten Ruf. Sie wurde sogar in einer vom Leipziger Sozialamt herausgegebenen Broschüre umfassend vorgestellt und empfohlen.

Blick in den Bebauungsplan

Erst als die vis-à-vis des bekannten Einkaufsparks „Paunsdorf Center“ gelegene Einrichtung 2013 verkauft werden sollte, wurde das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege aufmerksam. Die Behördenmitarbeiter schauten in den Bebauungsplan, in dem geregelt ist, was wo gebaut werden darf. Und sie stellten fest, dass das Gebäude in einem „Sondergebiet Sport-Freizeit-Hotel“ steht. Im Klartext: Dauerhaftes Wohnen ist dort nicht erlaubt. Über Nacht wurde aus einem geschätzten Altenheim eine Seniorenresidenz, die es dort eigentlich nicht geben darf.

Einer ihrer Bewohner ist Werner Rothe. Der 89-Jährige sitzt vergangene Woche auf seinem Gartenstuhl auf der Wiese neben dem Gebäude. Die Mittagssonne scheint ihm ins Gesicht. In der Hand hat er ein Buch: „Anna Karenina“ von Leo Tolstoi. „Das hat mir die Dolmetscherin auf meiner letzten Kreuzfahrt empfohlen“, erzählt Rothe. Trotz seines Alters verreise er noch viel. Im März war er auf der kanarischen Insel Fuerteventura. „Als ich wiederkam, wurde mir am Empfang gesagt, dass ein Brief vom Oberbürgermeister für mich gekommen ist.“

In dem Schreiben, erzählt Rothe, war von vielen Paragrafen die Rede. Alles sei in Juristendeutsch geschrieben gewesen: „Und dann stand da noch ein Datum: 1. April 2016.“ Der Termin, den die Stadt allen Amalie-Bewohnern mitteilte, ist die Auszugsfrist. Bis dahin muss jeder von ihnen eine neue Wohnung gefunden haben. Denn nachdem die unrechtmäßige Nutzung des Gebäudes als Seniorenheim 2013 bekannt wurde, setzte sich die Baubehörde mit dem Eigentümer der Unterkunft in Verbindung. In einer Presseerklärung der Stadt heißt es, dass es 2013 und 2014 mehrere Gespräche mit der Amalie GmbH gegeben habe: „Leider war die Mitwirkung des Eigentümers an der Suche nach Lösungen auf ein Minimum beschränkt.“ Die Bauaufsicht habe deswegen im März 2014 eine „Nutzungsuntersagung zum Dauerwohnen“ gegenüber dem Eigentümer ausgesprochen. Der wiederum klagte, scheiterte allerdings sowohl vor dem Verwaltungsgericht Leipzig, als auch dem Oberverwaltungsgericht Bautzen. Den 140 Bewohnern der Seniorenresidenz wurde von all dem nichts mitgeteilt. „Um sie nicht zu beunruhigen“, wie es in der Erklärung der Stadt heißt.

Auf der nächsten Seite: Lokalpolitiker und Bewohner sind empört. Warum die Stadt dennoch nicht einlenkt.

Werner Rothe ist darüber empört. „Uns hat man das einfach vorenthalten“, sagt er. Die Mitteilung sei für ihn ein Schock gewesen. „Ich weiß gar nicht, wo ich jetzt hin soll.“ Vor zehn Jahren sei er eingezogen. Damals habe er sein Einfamilienhaus samt Einrichtung abgegeben. „Für mich war das ideal, weil ich sowieso die Hälfte des Jahres nicht da bin“, sagt Rothe. Neben seinen Reisen sei er auch oft bei seiner Lebensgefährtin. „Die ist 80 Jahre alt und lebt in der Stadt.“ Die halbe Woche verbringe er bei ihr. „Ich brauche dann aber auch meinen Freiraum in der Seniorenresidenz.“

Rothe hat sich sein Leben eingerichtet. Und er möchte es nicht mehr verändern müssen. Zwar wäre für ihn ein Umzug noch machbar, sagt er. Das gelte aber nicht für alle Bewohner. „Ich bin noch rüstig, kann laufen und selber kochen.“ Bei anderen sehe das anders aus. In der Residenz leben viele pflegebedürftige Senioren. Einige sind bettlägerig, andere können nicht laufen. „Die Frau meines Nachbarn ist dement“, erzählt Rothe. „Die weiß ja gar nicht, dass sie ausziehen soll.“

Insbesondere solche Fälle haben nach dem Bekanntwerden der Schließungspläne im März zu heftigen Debatte geführt. Über Parteigrenzen hinweg meldeten sich Lokalpolitiker. Tenor: Es müsse eine Lösung im Sinne der Bewohner gefunden werden. Die alten Menschen dürften nicht für die Fehler der Stadt und das Handeln des Betreibers zur Rechenschaft gezogen werden. Sogar eine rückwirkende Änderung des baurechtlichen Status des Geländes wird gefordert.

Auszugstermin unausweislich

Die Stadt bleibt aber bei ihrer Linie. Baudezernentin Dorothee Dubrau betonte zwar, dass den Bewohnern so gut wie möglich geholfen werde. Der Auszugstermin 1. April 2016 sei aber unausweichlich. Daran jedoch zweifelt Amalie-Geschäftsführer Ruben de Swaan: „Wenn es mit der Stadt keine Einigung gibt, werden wir alle rechtlichen Mittel ausschöpfen“, sagt er. Es drohe ein jahrelanger Streit vor Gericht, so de Swaan. Dass er nicht mit einer Schließung rechnet, zeigt sich schon daran, dass auch nach der Nutzungsuntersagung 2014 noch neue Mietverträge geschlossen wurden.

Auch Werner Rothe glaubt nicht, dass er seine Wohnung im nächsten Jahr verlassen muss. Daher sucht er auch noch nicht nach einem neuen Zuhause. „Ich lasse das alles auf mich zukommen“, sagt er und beendet sein Sonnenbad. Rothe schnappt sich den Gartenstuhl und geht in seine Wohnung. Er wolle noch was essen und ein bisschen schlafen, denn am Nachmittag komme seine Lebensgefährtin. Dann soll es gemeinsam in die nahe gelegene Therme gehen. (mz)