Verliebt in eine Villa Verliebt in eine Villa: Die wechselvolle Geschichte einer Herberge

Zeitz - „Ein bissel irre muss man schon sein.“ Dagmar Neutzsch sagt’s und lacht. Die Frau, die einst davon träumte, als Stewardess durch die Welt zu fliegen, ist doch lieber am Boden geblieben und hat in Zeitz ihr Reich gefunden. Dagmar Neutzsch, gelernte Hotelfach- und -kauffrau, ist Pächterin des Gästehauses Villa Kühn in der Leipziger Straße der Elsterstadt.
Seit acht Jahren ist sie die Chefin in der Herberge, die es jetzt genau seit 25 Jahren gibt. Und sie ist verliebt in das Haus im Jugendstil und in sein Innenleben. Denn ein bisschen scheint in der Villa die Zeit stehen geblieben zu sein.
Herberge in Zeitz: Es war Domizil eines Handwerksbetriebes
Das Haus, nahezu 120 Jahre alt, hat das Leben von Dagmar Neutzsch verändert, ja geprägt. Und längst nicht nur ihres. Es hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Viele Menschen sind ein- und ausgegangen. Es war Domizil eines Handwerksbetriebes, vorübergehende Heimstatt einer Reihe von Heimatvertriebenen, dann war es Hort und gleichzeitig Wohnhaus, später ausschließlich Hort. Nun ist es Gästehaus mit neun Zimmern und etwa 15 Betten. Monteure übernachten hier,
Ärzte, die im Klinikum arbeiten, Künstler, die zum Beispiel bei der Schwarzbiernacht auftreten, ehemalige Zeitzer, die ihre alte Heimat oder auch Familie besuchen. Immer wieder kommen auch mal Menschen, die ein paar Tage hier Urlaub machen möchten, Zeitz kennen lernen wollen und die Stadt dabei auch als guten Ausgangspunkt für Touren in die Region betrachten.
Das Haus kam 1914 in den Besitz der Familie Benkwitz
Immer wieder ist auch Benjamin Kühn im Haus. Der 46-Jährige lebt in einer Kleinstadt nahe Kiel. Seiner Familie gehört das Haus und ihm hat Kühn auch seinen Beruf zu verdanken. Denn einst half er einem Zimmermann dabei, einen der historischen Türme am Haus zu erneuern. Heute ist Kühn selbst Zimmerermeister. Ihm und seiner Familie, sagt er, liege viel daran, das Haus mit seinem großen Garten und den vielen verschiedenen Bäumen zu erhalten.
Das Haus, so sagt Kühn, kam 1914 in den Besitz der Familie Benkwitz, in die die Familie Kühn später eingeheiratet habe. Sein Vater sei 1935 in dem Haus geboren worden. In der Familie Benkwitz, so Kühn, gab es Baumeister und Zimmerleute. Es werde vermutet, dass sie das Haus für einen Ziegeleibesitzer gebaut haben. Von dem Ziegeleibesitzer habe es dann die Familie übernommen. Und die Villa, so Kühn, ist auch zu DDR-Zeit immer in Privatbesitz gewesen und an die Stadt verpachtet worden.
„Uns ist es wichtiger, dass das Haus belebt ist, als Riesengewinne daraus zu ziehen“
Deshalb sei es nach der Wende auch recht unkompliziert gewesen, sie wieder zu übernehmen. Der Versuch, das Haus an einen Verein zu verpachten, schlug fehl. Also entschied die Familie, die vor Jahrzehnten in den Westen gegangen war, selbst eine Herberge zu eröffnen. Kühns Mutter hatte sich verliebt in das Gebäude, und sie war es auch, die mit Benjamin Kühns kleinem Bruder dann nach Zeitz zog und mit dem Gästehaus startete. Zehn Jahre hat sie laut Kühn die Herberge selbst geführt. Später wurde sie verpachtet.
Kühn freut sich über die Beständigkeit. „Uns ist es wichtiger, dass das Haus belebt ist, als Riesengewinne daraus zu ziehen“, sagt er. Damit erklärt er auch einen Grund, dass sich das Haus am Markt behaupten könne. Denn für den Pächter sei es wichtig, die Kosten überschaubar zu halten. Deshalb beschäftigt Dagmar Neutzsch auch kein Heer an Mitarbeitern, sondern nur eine Dame fürs Haus und einen Hausmeister - und das nur stundenweise.
„Von 1966 bis 1975 habe ich hier gewohnt“
Für die Frau, die bis zur Wende in einem Interhotel in Halle gearbeitet hat, bedeute das Arbeitstage, die praktisch von sechs Uhr am Morgen bis acht Uhr am Abend gehen. Ein bissel irre müsse man eben sein. Das Schöne an ihrem Geschäft sei aber, dass sie sehr viel Bestätigung finde. Nämlich immer dann, wenn die Gäste beim Abreisen sagen, dass es ein schöner Aufenthalt gewesen sei.
Zu denen, die das sagten, gehörte jüngst auch die Tochter von Hubertus Berndt. Der Mann, der heute in einem Wohnblock in Zeitz-Ost lebt, hat eine besondere Beziehung zur Villa in der Leipziger Straße 32. Denn er sagt, er sei der Letzte gewesen, der als Mieter hier gewohnt hat. Er und seine spätere Frau gehörten nach dem Krieg zu den Heimatvertriebenen. Seine Frau habe in der Villa in der Leipziger Straße gelebt, als er sie kennenlernte.
Später ist er zu ihr gezogen. „Von 1966 bis 1975 habe ich hier gewohnt“, sagt Berndt. Wenn er heute die Villa besucht, dann kochen Erinnerungen hoch. Zum Beispiel daran, dass er in dem Haus seine Hochzeit gefeiert hat. Zudem sei das Haus immer mit der Kindheit seiner Kinder verbunden. So sei es für ihn auch heute noch ein Stück Heimat.
››Im Internet: www.villa-kuehn.de (mz)

