Tultewitz-Schieben Tultewitz-Schieben: Neuer Schwung in alten Gehöften
Halle/MZ. - Freilich könne er sich an den Blauen Hecht erinnern, schließlich habe er da gewohnt und gearbeitet, dort im Haus seiner Schwiegereltern. Doch der Gasthof ist längst Geschichte, wurde 1972 geschlossen und später abgerissen. Wenn Alfred Fuhr die Geschichte gedanklich Revue passieren lässt, dann entstehen Bilder so, als kämen sie aus der Gegenwart. "Die Gaststätte war immer gut besucht. Wanderer kamen und Einheimische, im großen Waschkessel wurde Fisch gekocht", erzählt er. Fuhr ist trotz seiner 70 Jahre so etwas wie der Hans Dampf von Schieben. Wenn im 75-Seelen-Dorf etwas organisiert wird, dann kaum ohne seine Handschrift. Beispielsweise beim Straßenfest, das die Schiebener in diesem Jahr zum zehnten Mal feierten.
Doch Alfred Fuhr ist keiner, der deswegen viele Worte verliert. Auch bei unserem Gespräch übt er sich in Zurückhaltung. Sein Hobby allerdings kann er kaum verbergen, zu offensichtlich und zahlreich sind die Pokale in der Wohnstube aufgereiht. Fuhr züchtet Kaninchen, seit 1970. In der Sparte 191 Abtlöbnitz organisiert, bekam er für seine Schützlinge immer und immer wieder Auszeichnungen. Die letzten erst dieses Jahr. 50 oder 60 Kaninchen - so genau hat er sie nicht gezählt - hoppeln derzeit bei ihm in den Ställen umher. Keine Frage, so manches wird als Festtagsbraten das Zeitliche segnen.
Nur wenige in Schieben sind mit der Geschichte des Dorfes vertraut. Fuhr erzählt vom alten Rittergut, das nach dem Krieg nahezu komplett abgerissen wurde. Dem Fragment wurde ein Satteldach aufgesetzt, eine Umsiedlerfamilie nutzte es fortan als Wohnhaus. Der Stall steht heute zum Verkauf. Vom einstigen Park des Gutes ist nichts mehr zu sehen, und der Teich ist unansehnlich. "Der müsste dringend entschlammt werden", meint denn Fuhrs Frau Marianne. "Schade, dass das alte Gutsgelände heute so aussieht." Immerhin 160 Hektar Fläche nannte der letzte Besitzer sein eigen - wer in Schieben wohnte, hatte beim ihm eine Anstellung.
Schieben - 1359 erstmals als Schebene erwähnt - liegt nur einen Steinwurf von Tultewitz entfernt. Und auch in der Geschichte tauchen beiden Orte immer gemeinsam auf, bis 1952 war man thüringisch und Teil des Kreises Stadtroda. Mittlerweile sind die Dörfer Ortsteile von Bad Kösen und interessanterweise erfreuen sich beide einer zumindest stabilen Einwohnerzahl. Sowohl hier als auch da sind Familien zugezogen. Und manche, die ausbildungs- oder berufsbedingt anderweitig ihr Glück suchen mussten, bauen sich nun in Tultewitz oder Schieben eine neue Existenz auf. Vielen herunter gekommenen Gehöften wurde so zu neuem Glanz verholfen.
Seit vier Jahren in Tultewitz (erste Erwähnung 1274 als Tulzwitz) ist beispielsweise Volker Rieke. Unmittelbar an der Durchgangsstraße gelegen ist sein Haus, der Riekehof. "Wir haben vier Kinder, da musste was größeres her - eben etwas auf dem Lande und am besten in der Nähe von Jena, da meine Frau von dort stammt." Der Käse hat es ihm angetan, vor allem der aus Schafsmilch produzierte. Seit zwei Jahren gibt's deshalb im Riekehof Schafskäse, Joghurt und anderes mehr zu kaufen - bei steigendem Bedarf. "500 Kilo Käse produziere ich durchschnittlich im Jahr, eine Tonne soll's mal werden. Derzeit allerdings ist hinsichtlich des Käses produktive Stille im Hof eingetreten, denn die 25 Melktiere, die auf einer Wiese bei Schieben weiden, liefern nur sieben Monate lang Milch - jetzt ist eben Ruhe. Rieke nutzt die Zeit, um an Haus und Hof Hand anzulegen, schließlich soll der ab Frühjahr wieder Kundschaft empfangen. "Den Vorgarten will ich herrichten, auch den Eingangsbereich zum Haus. Vielleicht stehen dann auch mal Tische und Stühle davor - zum Rasten bei Schafskäse und Wein", zählt der Unternehmer auf. Anders als in Schieben wurde in Tultewitz der Gasthof nicht abgerissen. Doch wo bis in die 50-er Jahre Bier ausgeschänkt wurde, zog bald der Konsum ein, bis dieser anderweitig unterkam. Inzwischen erstrahlt der einstige Gasthof in neuem Glanz - hergerichtet von Familie Aepler als Wohnhaus. Ähnlich schick Saniertes findet sich im Ort einiges.
Zur Belebung dürfte auch der erst in diesem Jahr gegründete Heimatverein Tultwitz-Schieben mit seinem Vorsitzenden Dieter Jork beitragen. Immerhin hat man sich auf die Fahnen geschrieben, die Geschichte der Orte zu pflegen. Ins Bild passt da die mit Hilfe von Bauamt und Bauhof der Stadt Bad Kösen erfolgte Sanierung von Margaretenbrunnen und Kriegerdenkmal an der Schmiede (wir berichteten). Im nächsten Jahr soll auch das Denkmal am Ortseingang aufgebessert werden. Übrigens: Der 17 Mitglieder zählende Verein ist inzwischen ein eingetragener und wird erstmals eine Weihnachts- und Silvesterfeier organisieren.
Sozusagen ortsübergreifend tätig ist Christa Eichstädt. Die Schiebenerin betreibt in Tultewitz das Lebensmittelgeschäft, kurz Konsum genannt - wie eh und je. Vor zehn Jahren hatte sie den Laden übernommen. "Die Leute haben gesagt, mach du es, Christa. Na ja. War sicher die richtige Entscheidung, sonst wäre ich heute arbeitslos", sagt sie. Die Kundschaft ist ihr über die Jahre treu geblieben - glücklicherweise. So etwas funktioniert wohl auch nur auf dem Lande.