Tönnies-Schlachthof Tönnies-Schlachthof: Beschäftigte brechen ihr Schweigen
Weißenfels/MZ. - "Die Firma Tönnies ist bekannt für Niedriglöhne und Überstundenaufbau ohne Maß", so äußerte sich der DGB-Kreisvorsitzende Johannes Krause am Donnerstagabend zur DGB-Vorstandssitzung. Tariflose Zustände, Arbeitsplätze ohne jeglichen Anspruch auf Mitbestimmung und die Abschaffung von elementaren Arbeitnehmerrechten - deswegen stimmten immer mehr Menschen unserer Region mit den Füßen ab und verließen das Land. Dies stellt er der Einschätzung der Industrie- und Handelskammer entgegen, bei Tönnies gehe es für unsere Region normal zu.
Die Geschäftsleitung des Tönnies Fleischwerk GmbH hatte in dieser Woche eine Versammlung einberufen, weil - wie dort gesagt wurde - sie sich durch die öffentliche Kritik der Gewerkschaft (MZ berichtete) nicht zerstören lassen wollte, was in den vergangenen zehn Jahren in Weißenfels aufgebaut worden sei. Während dort die Arbeitnehmer eingeschüchtert schwiegen, "aus Angst um den Arbeitsplatz", wie sie sagen, haben sich danach Vertreter gefunden, die gegenüber der MZ die Verhältnisse in der Produktion beschrieben. "Die Arbeitsatmosphäre ist unerträglich", so ihr Resümee, "Druck, Terror und auch Mobbing", beschreibt sie eine Frau.
Selbst Neulinge ohne Ausbildung, ungeübt und unerfahren, stehen vom ersten Tag an manchmal bis 12 Stunden am Band, wird berichtet. Was im Einstellungsgespräch heißt, "es kann mal passieren, dass es ein bisschen länger wird", werde zur Regel und Pflicht. Manche Mütter mit Kleinkindern könnten 16.30 Uhr (Arbeitsbeginn 7 Uhr) den Betrieb verlassen, doch würden anderen selbst Arztbesuche nach dem offiziellen Feierabend verwehrt. Ein ehemaliger Produktionsleiter habe es sogar fertiggebracht eine Frau mit Fieber mit barschen Worten ans Band zurückzuschicken. Die Frau hatte eine Lungenentzündung, stellte sich heraus. Auch sei versucht worden durchzusetzen, dass außerhalb der Pausen niemand auf Toilette darf.
Je nach Länge des Arbeitstages werden drei bis fünf halbstündige Pausen eingebaut, die aber nicht wirklich eine halbe Stunde Ruhe bedeuteten, weil die vielen Leute ja erst einmal durch die Hygienschleuse müssten. Eine so genannte Anwesenheitsprämie von 200 Mark monatlich diszipliniere ohnehin schon die Arbeitnehmer. Denn wer möchte bei einem Stundenlohn von 10 Mark, Akkordaufschlag von 4.50 Mark und einer Ordnungsprämie von 100 Mark monatlich wegen eines Ausfalltages auf die Summe verzichten?
Wer ist für die Geschäftsleitung die Arbeitnehmervertretung, fragen sich die, die einen Betriebsrat wollen und sich gewerkschaftlich organisiert haben. Frust und Verängstigung überwindend, trafen sie sich außerhalb des Betriebes heimlich. Es gebe durchaus Leute, die sich sehr gut mit den Vorgesetzten verstehen und auch frei bekommen, wann sie es brauchen. Sie scheinen bevorteilt gegenüber der breiten Masse. Sind diese für Geschäftsführer Reinhold Dierkes vielleicht die Informanten über beste Zustände in der Produktion? Andere müssten sich von einem Produktionsleiter an den Kopf werfen lassen: "So lange ihr noch lachen könnt, seid ihr noch nicht ausgelastet." Dabei läuft das Band so schnell, dass man kaum nachkommt, die Tierteile mit gezielten Schnitten zu trennen. 6000 Schweine werden ja täglich geschlachtet und noch zugekaufte Tierteile müssen zerlegt werden. Da rutscht manchmal die Hand ab und es gibt Verletzungen. Oder man wird für den Tag nach Hause geschickt, weil ein Stück Schwarte am Fleisch geblieben ist.
Wenn schon deutsche Arbeitnehmer so etwas berichten, wie mag es den immer mehr werdenden ausländischen Arbeitern im Schlachthof gehen, fragen sich die Beschäftigten, die untereinander Vertrauen aufbauen konnten und eine Gewerkschaftsvertretung wollen. Und gern hätten sie gewusst, ob im westlicher gelegenen Mutterwerk in Rheda-Wiedenbrück auch solche Arbeitsbedingungen herrschen wie in Weißenfels.