Massensterben vor 100 Jahren Massensterben vor 100 Jahren: Wie ein die Spanische Grippe einst hunderte Zeitzer tötete

Zeitz - Als die Revolution das Deutsche Kaiserreich am 9. November 1918 von der politischen Bühne hinwegfegte und die roten Fahnen auf dem Zeitzer Rathaus und Schloss Moritzburg wehten, hatte die als „Spanische Grippe“ bekannte Virus-Pandemie auch in Zeitz bereits zahlreiche Opfer gefordert, aber gleichzeitig ihren Höhepunkt überschritten.
Selbst der erst seit Anfang Oktober 1918 im Amt befindliche Reichskanzler Max von Baden (1867-1929) ringt in diesen politisch entscheidenden Tagen als ein prominenter Grippekranker mit dem Tod. Längst kriegsmüde sind die Deutschen in jenem Jahr vor genau 100 Jahren, das die Welt regelrecht in Fieber legte.
Junge Anna W. war eine der ersten Todesopfer der Pandemie in Zeitz
Anna W., genannt Änne, ist 21 Jahre jung, als die Spanische Grippe ihr den Tod brachte. Sie gehört zu den ersten Todesopfern der Pandemie in Zeitz und war letzten Endes eine von weltweit etwa 50 Millionen oder schätzungsweise sogar bis zu 100 Millionen Menschen zwischen 1918 und 1920, die der besonders gefährliche Abkömmling des sich ständig verändernden Influenza-Virus tötete.
Dabei verkörperte die gelernte Kontoristin das blühende Leben selbst. Der Verlobung mit dem Gerichtsoffizier Kurt Stolze, den die junge und kerngesunde Frau im Offizierskasino im thüringischen Ohrdruf kennengelernt hatte, sollte bald die Hochzeit folgen.
Zeitzerin starb qualvoll in ihrem Elternhaus
Doch daraus wurde nichts. Am frühen Morgen des 7. Oktober 1918 erlag Änne dem Virus nach einem kurzen, aber qualvollen Krankenlager im Elternhaus. Die sofort verfasste Todes-Depesche an den „im Felde“ befindlichen Bruder der Verstorbenen verband Vater Joseph W. mit dem elterlichen Schmerz über den so unwirklich erscheinenden plötzlichen Tod seines ältesten Kindes und der Hoffnung auf die baldige Rückkehr von Sohn Max in Anbetracht des am Horizont sich abzeichnenden Friedens. „Denn unser neuer Reichskanzler hat doch Wilson den Frieden und sofortigen Waffenstillstand angeboten“, ließ er seinen Sohn ebenfalls wissen.
Als der Bruder von der Front zurückkehrte, war seine Anna schon längst begraben
Dieser, wie auch ein weiterer Brief vom 17. Oktober 1918, in welchem der Tischler Joseph W. vom in Zeitz ausgebrochenen „Massensterben“ und von besonders vielen jungen Grippeopfern berichtete, erreichte den Sohn verspätet, denn die Westfront war Anfang des Monats endgültig zusammengebrochen, wodurch die Zustellung der Feldpost deutlich erschwert wurde.
Als Max schließlich im Spätherbst nach Hause zurückkehrte, war seine Schwester schon längst auf dem Michaelisfriedhof beerdigt worden. Aber die Erinnerung an den letzten Fronturlaub und die gemeinsam verbrachte Zeit mit ihr im Sommer 1918 sollte bis zu seinem Tod eine besondere Rolle einnehmen, zumal er sich mit Änne damals noch gemeinsam fotografieren ließ.
Über die spanische Grippe gab es nur wenige Aufzeichnungen
Spärlich sind die Aufzeichnungen über den Verlauf der todbringenden Spanischen Grippe in Zeitz, da die Behörden im letzten Kriegsjahr ganz offensichtlich vor ganz anderen Herausforderungen standen. Erst Mitte Oktober 1918 reagierten sie vor Ort mit konkreten Maßnahmen, nachdem sich die Grippe im Zuge ihrer zweiten Verbreitungswelle längst zur Massenerkrankung entwickelte hatte und innerhalb einer Woche 50 Personen gestorben waren.
Auch Schulkinder wurden von dem Virus befallen
Denn „wegen der Gefahr der Übertragbarkeit der Grippe, von der schon weite Kreise der Kinder befallen worden sind“, wurden zunächst alle städtischen Volksschulen und ebenso die Mittelschule auf amtliche Anordnung geschlossen. Der Schulbetrieb in allen anderen Zeitzer Schulen, etwa Lyzeum, Real- oder Stiftsgymnasium, kam erst einige Tage später „wegen weiterer Überhandnahme der Grippe“ zum Erliegen, wie der Chronist am 22. Oktober 1918 notiert.
Möglich ist, dass die Lazarettzüge, die in regelmäßiger Folge am Zeitzer Bahnhof eintrafen, für eine schnellere Verbreitung des Virus innerhalb des Stadtgebietes gesorgt haben. Aber auch auf dem Land, vor allem in Droyßig, wütete die Grippe heftig.
Massensterben in Zeitz: Sogar Kino und Theater waren verboten
Schließlich kam es auch zur Schließung aller Lichtspieltheater in Zeitz, verbunden mit einem Verbot von Theateraufführungen, Konzerten und „sonstigen Lustbarkeiten“ bis einschließlich 3. November 1918. Erst am Montag, 4. November 1918 wurde der Unterricht „versuchsweise“ in sämtlichen städtischen Schulen wieder aufgenommen. Noch heute rätseln Forscher über das Virus, das nicht wie vermutet in Spanien, sondern zuerst in Amerika ausbrach und sich von dort rasant über die ganze Welt ausbreitete. Über die Frage, warum insbesondere junge Frauen und Männer im Alter zwischen 20 und 40 Jahren an der Grippe erkrankten und starben, gibt es nach wie vor keine völlig plausible Antwort.
Die Menschen starben oft zu Hause - und steckten so ihre Familie mit an
Ein genauerer Blick ins Zeitzer Sterberegister belegt jedenfalls die dramatische Zunahme der Todesfälle in dieser Altersgruppe auf eindringliche Weise. Bedauerlicherweise ist aus dem Jahr 1918 keine exakte Statistik überliefert. Wie tiefgründige Recherchen von Stadtarchivmitarbeiterin Stephanie Grohmann ergaben, starben allein in den Monaten Oktober und November 1918 immerhin 309 Personen in Zeitz.
Die stark erhöhte Sterblichkeitsrate lässt sich exemplarisch noch weiter belegen. So sind allein am 26. Oktober 1918 über den Tag und das gesamte Zeitzer Stadtgebiet verteilt insgesamt zwölf Menschen und zwar ausschließlich in ihrer Wohnung verstorben. Ein für Grippekranke extra eingerichtetes Behelfskrankenhaus nach amerikanischem Vorbild existierte in Zeitz nicht.
Die Menschen starben im Kreis der Familie, was die Ansteckungsgefahr deutlich erhöhte. Zu diesem Zeitpunkt, als viele öffentliche Einrichtungen auf amtliche Anweisung in Zeitz geschlossen blieben, hatte die verheerende Spanische Grippe ihren Höhepunkt in der Elsterstadt erreicht. Unter den Toten des 26. Oktober 1918 befanden sich zwei Kleinkinder und weitere sechs Personen im Alter von 18 bis 34 Jahren. Und noch etwas fällt auf: Neun, vorwiegend jungen und mitten im Leben stehenden Frauen, etwa der erst 34 Jahre alten Frau eines Bäckermeisters aus der Zeitzer Bismarckstraße, standen drei Männer, nämlich ein 18-jähriger Arbeiter sowie ein 74 und 75 Jahre alter Mann gegenüber, deren Leben an diesem Tag endete. (mz)
