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Bildung Bildung: Lesen lernen durch schreiben

Von Julia Reinard 26.11.2013, 19:08
Ein kunterbuntes Buchstabenhaus - mit dem arbeiten die Schüler beider Grundschulen. Im Bild sind Kinder in der städtischen Schule Zeitz-Ost.
Ein kunterbuntes Buchstabenhaus - mit dem arbeiten die Schüler beider Grundschulen. Im Bild sind Kinder in der städtischen Schule Zeitz-Ost. Hartmut Krimmer Lizenz

Zeitz/MZ - Es klingt erst mal verrückt: Kinder in der Grundschule lernen erst schreiben und danach lesen. Doch an zwei Schulen der Gegend um Zeitz wird genauso Deutsch gelehrt. An der Grundschule Zeitz-Ost und an der evangelischen Grundschule wird Deutsch nach der Methode Jürgen Reichens unterrichtet. Und die ist zuletzt in die Schlagzeilen geraten, weil die so erzogenen Kinder systematisch mehr Fehler machen als früher. - Ob das auf Zeitz auch zutrifft, soll ein Ortstermin zeigen.

Petra Kucz war die erste Lehrerin an der Grundschule Zeitz-Ost die sich für die Methode „Lesen durch Schreiben“ weiterbilden ließ. Sie ist überzeugt von deren Sinn - und ihrer Umsetzung in der Schule. Denn es wird nicht nur mit einer anderen Methode Deutsch gelehrt, auch die ganze Unterrichtsstruktur hat sich damit verändert.

Manchmal ist Partnerarbeit gefragt

So haben die ersten und zweiten Klassen in beiden Schulen zwei Jahre lang oft gemeinsamen Unterricht. In dem erhalten alle Kinder Wochenarbeitspläne, die sie erfüllen sollen. Die Reihenfolge ist ihnen überlassen. Bei manchen Übungen ist Partnerarbeit gefragt, die findet dann zwischen Erst- und Zweitklässler statt. Die Lehrerinnen kontrollieren die Endergebnisse, sind Ansprechpartner, strukturieren den Unterricht.

Diese Unterrichtsform - an der städtischen Schule Werkstattunterricht genannt - ist Teil der Methode, Deutsch nach Jürgen Reichen zu lernen. Ihre Hauptaufgabe schon ab den ersten Tagen ist es, ein Wort in seine Laute zu zerlegen und diese Laute aufzuschreiben. Und Schreiben ist nun mal eine Beschäftigung, die man am besten allein und nach eigenem Tempo erledigt.

Immer vor ihnen dabei: die Anlauttabelle. Sie ist aber dem ersten Schultag ihr wichtigstes Arbeitsutensil. Im Unterrichtsmaterial beider Schulen hat sie die Form eines Hauses, das Buchstabenhaus. Im Dach befinden sich die Selbstlaute, der Mittelteil beinhaltet Mitlaute und dann gibt es noch Speziallaute wie Sp und Pf. Neben jedem Laut ist ein Tier oder Gegenstand abgebildet, dessen Bezeichnung mit diesem Laut anfängt.

In der evangelischen Grundschule dreht sich dieser Tage das Thema um das Patenkind der Schule. Die Schüler nennen Wörter, die sie mit dem Kind verbinden. Zum Beispiel, dass es schüchtern sei. Lehrerin Anja Hollmann nickt. „Und wie schreibt man das?“ - „Mit Sch wie Schere“, antwortet ein Kind. Und in der Tat: Im Buchstabenhaus ist neben dem Sch eine Schere gemalt.

"Ü - wie Überraschungsei"

„Was kommt dann?“ - „Ö?“ - Anja Hollmann sagt das Wort noch einmal sehr deutlich und fragt, welcher Buchstabe das sei: „Ü - wie Überraschungsei?“ Auch das ist richtig.

Sie zerlegen das Wort in die Laute, wobei das T nicht wie man es gewöhnt ist, mit langem E wie bei „Tee“ gesprochen wird, sondern mit kaum hörbarem E.

Kritik an der Methode gibt es, weil es anfangs erlaubt ist, zu schreiben, wie man es hört. Bei einem Kind steht im Heft: „Wiso Hast du korze Hare.“ Man kann sagen, dass es ein Satz voller Fehler ist. Oder man sagt: Es ist ungewöhnlich, dass ein Erstklässler nach drei Monaten Schule ganze Sätze schreiben kann. Anja Hollmann streicht hier erst einmal nichts an. Es war eine freie Arbeit. Wenn sie diese Frage aber später an die Tafel schreiben wird, dann richtig.

Auch die Kollegen an der städtischen Schule halten es so: An der Tafel zum Abschreiben bleiben keine falsch geschriebenen Worte. „Es verfestigt sich nur, was man übt“, sagt Petra Kucz - und geübt wird Falsches nicht.

Vor allem aber: Ab Ende der ersten, Anfang der zweiten Klasse werden Fehler in beiden Schulen angestrichen. Das ist in anderen Schulen, in denen die Rechtschreibergebnisse von Viertklässlern so viel schlechter waren als früher, nicht immer der Fall gewesen. Die reine Lehre Reichens sieht es auch anders vor. Aber in Zeitz sind sich alle vier Lehrerinnen, die in der Schuleingangsphase lehren, einig: Es wird angestrichen, auf das Richtige hingewiesen. Und mit Anja Hollmanns Worten: „Es ist zu spät, erst in der dritten Klasse Fehler anzustreichen.“ Aber sie bestätigt, dass Eltern es schwierig finden, anfangs die Fehler nicht zu korrigieren. Gleichwohl: Sie sind begeistert, wenn die Kinder plötzlich Wörter lesen können.

"Ich würde nicht wieder nach der alten Methode unterrichten wollen"

Dabei wird das in der Schule nicht gelehrt: „Wir üben in der ersten Klasse nie lesen“, sagt Petra Kucz knapp. Stattdessen üben die Kinder schreiben in Druckbuchstaben, weil die einfacher seien. Eines Tages erkennen sie die Wörter plötzlich, können sie abgelesen aussprechen. Kollegin Kathrin Czäczine spricht vom „Klick machen“ oder „Blitzlesen“.

Und wie bewerten die Lehrerinnen die Ergebnisse nach der Reichen-Methode? Kathrin Czäczine sagt: „Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht und würde nicht wieder nach der alten Methode unterrichten wollen.“ Auch an der evangelischen Grundschule will keiner daran rütteln. Schulleiterin Kornelia Allert verweist als Fazit darauf, dass von 19 Schülern des ersten Jahrgangs mit der Methode 14 die Empfehlung fürs Gymnasium erhielten.