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Bänder, Gurte und Schnüre Bänder, Gurte und Schnüre: Zeitzer Schützenstraße erinnert an seine Industriegeschichte

Von Petrik Wittwika 19.05.2019, 14:00
Die ehemalige Posamentenfabrik Wolf im Jahr 2019: Der Flachbau entstand nach 1960.
Die ehemalige Posamentenfabrik Wolf im Jahr 2019: Der Flachbau entstand nach 1960. Petrik Wittwika

Zeitz - In der Zeitzer Schützenstraße kann man heute noch die Reste eines guten Stücks Industriegeschichte der Stadt entdecken: Weitläufig, bis zur Von-Harnack-Straße, erstreckte sich der Garten des wohlhabenden Zeitzer Rentiers Christian Ernst Krug, Sohn eines Gutsbesitzers aus Hollsteitz, noch Mitte der 1880er Jahre auf dem Grundstück Schützenstraße 25.

Industriegeschichte in der Zeitzer Schützenstraße

Das freistehende straßenseitige Wohnhaus, das der 1879 verstorbene Zeitzer Zimmermeister Gustav Schulze für sich und seine Familie im Stil des Spätklassizismus mit feingliedriger Fassade 1864/65 auf dem Lagerplatz seines Geschäfts erbaut hatte, war zugleich bauästhetisch wohlabgestimmtes Pendant zum benachbarten „Irmgard-Heilmann-Haus“ in der Schützenstraße 27, hinter dem sich ein ebenso idyllischer Garten anschloss. Obwohl heute nichts mehr an jene grüne Oasen und private Besinnungsorte erinnert, verdient der hinter dem Haus Schützenstraße 25 einstmals vorhandene große Garten historische Aufmerksamkeit.

Bevor nämlich der Posamentier Hugo Seise ab 1894 das erste Fabrikgebäude auf dem Areal errichten ließ, zeugte diese Gartenanlage vom besonderen Anspruch Ernst Krugs, der das Grundstück von Schulzes Witwe Emilie um 1883 erworben hatte. Neben einem stattlichen Bienenhaus ließ Krug ein von Maurermeister Topschall entworfenes pavillonartiges Gartenhäuschen aus dem Geist der Architektur des Historismus aufstellen.

Zeitzer Textilunternehmen in der Schützenstraße

Rasch kam es nun zu grundlegenden baulichen Veränderungen, nachdem Ernst Krug 65-jährig plötzlich am 10. März 1894 im Stadtkrankenhaus verstorben war und das Grundstück an Hugo Seise veräußert wurde. Dieser hatte seine Firma als Handbetrieb 1890 gegründet. Aber erst mit dem Einsatz mechanischer Webstühle durch den jungen W. Otto Wolf begann die Erfolgsgeschichte des Industriestandortes Schützenstraße 25.

Wer war dieser Mann, der insgesamt 50 Jahre die Geschicke eines bedeutenden Zeitzer Textilunternehmens leitete? Wilhelm Otto Wolf stammte aus dem sächsischen Dorf Zschortau bei Delitzsch, wo er im Jahr der Reichsgründung und zwar am 31. August 1871 geboren wurde. Kurz vor seiner Eheschließung mit Rosa Krause aus Salsitz am 20. Mai 1899 hatte er das Seisesche Grundstück Schützenstraße 25 erworben.

Gutsbesitzer und Landwirte

Der begüterte Rentier Moritz Wolf aus Wurzen und dessen Ehefrau Christiane Therese, die mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eine Schwester seiner Mutter Johanne Wilhelmine Hauwede geborene Fiedler war, hatten den Halbwaisen adoptiert und ihn mit entsprechenden finanziellen Mitteln für sein Unternehmen ausgestattet.

In der Zeit des Ersten Weltkrieges wird W. Otto Wolf seine betagten Wahleltern, die ihm eine wichtige Etappe seines Weges ebneten, nach Zeitz holen, wo sie ihren Lebensabend unter seiner Obhut in der Schützenstraße 25 beschließen werden. Wolfs leiblicher Vater war der damals bereits verstorbene Zschortauer Gutsbesitzer und Landwirt Christian Gottfried Hauwede, dessen Testament aus dem Jahr 1890 im Landesarchiv Merseburg verwahrt wird.

Industrie: Zeitzer Kinderwagenhersteller

Schließlich ließ W. Otto Wolf das Weberei-Unternehmen, das mit der maschinenmäßigen Herstellung von Posamenten, Bändern, Borten und Schnuren beschäftigt war, am 23. Mai 1901 auf seinen Namen ins Handelsregister eintragen. Der Absatz seiner Produkte sollte ihm - insbesondere in der Stadt der Kinderwagen - gewiss sein, so dass als logische Konsequenz schon kurz darauf und zwar im Jahr 1904 eine bedeutende Erweiterung der Fabrikanlagen in der Schützenstraße 25 erfolgte.

Überhaupt entwickelte sich die Firma W. Otto Wolf rasant zu einem bedeutenden Zuliefererbetrieb für die großen Zeitzer Kinderwagenhersteller, denn Kinderwagenstores und Rüschen gaben dem ersten Gefährt im Leben eines Menschen erst so richtig Ästhetik und Exklusivität. Der umtriebige Wolf war Geschäftsmann mit Leib und Seele. Als Selbsthersteller von Bändern hatte er in Zeitz zur richtigen Zeit eine Marktnische besetzt, die er mit handwerklicher Sorgfalt und hohen Qualitätsstandards zur Spezialbranche etablierte. (mz)

So zeigte sich über viele Jahrzehnte der Briefkopf des bereits 1899 gegründeten Zeitzer Unternehmens W. Otto Wolf.
So zeigte sich über viele Jahrzehnte der Briefkopf des bereits 1899 gegründeten Zeitzer Unternehmens W. Otto Wolf.
Archiv Petrik Wittwika
Im Hof der Schützenstraße 25 wurde über 100 Jahre Zeitzer Industriegeschichte geschrieben.
Im Hof der Schützenstraße 25 wurde über 100 Jahre Zeitzer Industriegeschichte geschrieben.
Wittwika