Autor Uwe Zoller aus Zeitz Autor Uwe Zoller aus Zeitz: Die Erinnerungen an das DDR-Gefängnis bleiben

Zeitz - Uwe Zoller sitzt auf einer Parkbank und zieht genüsslich an seiner Zigarette. Hund Akito vom Rehgebirge hat es sich neben ihm bequem gemacht. Der Collie ist sein treuer Begleiter, auch an diesem sonnigen Juli-Tag. Auf ihn ist Verlass, weiß der Zeitzer und streichelt dem Vierbeiner über das braun-weiße Fell. Zoller ist Jahrgang 1962, gebürtiger Zeitzer und wohnt inzwischen wieder in der Stadt. Dabei gab es viele Jahre, in denen er sich wünschte, aus Zeitz herauszukommen. Weg, weit weg. In den Westen. Geschafft hat er das erst 1988, als er von der BRD für 90 000 DM „freigekauft“ wurde.
Sehnsucht nach Freiheit
Zuvor hatte er jahrelang versucht, aus der DDR auszureisen. Er schrieb Briefe, in denen er um die Übersiedlung in die BRD und gleichzeitige Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR bat. Vergeblich. Er wollte raus aus dem System, aus dem Zwang und dem Gefühl, eingesperrt zu sein. Ihn zog es in eine freie Welt, in der er reisen und sagen konnte, was er wollte.
Bereits mit 17 unternahm er gemeinsam mit einem Freund einen Fluchtversuch über Tschechien. Er scheiterte. Die beiden jungen Männer kamen für mehrere Monate in Untersuchungshaft, zuerst in Tschechien, dann in der DDR. Später wurden sie wegen „ungesetzlicher Grenzüberschreitung in schwerem Fall“ zu jeweils zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Damit hatten sie ihren Stempel weg, nämlich einen Ausweis, der sie als Republikflüchtlinge kennzeichnete. Sich danach ein neues Leben aufzubauen, schien schier unmöglich.
Heute sagt Zoller über eben jenen Fluchtversuch: „Das war Blödsinn.“ Mit etlichen Jahren Abstand betrachtet, ist ihm klar, dass dieser Versuch hat scheitern müssen. Dennoch war es für ihn mit 17 Jahren die scheinbar einzige und greifbare Möglichkeit, aus der DDR zu entkommen. Einem System, mit dem er sich nie hatte anfreunden können. In seinem Trabant hatte er später den Spruch „Schwerter zu Pflugscharen“ angebracht, der für die Friedensbewegung in der DDR stand. Zoller war ein Rebell, er machte keinen Hehl daraus, dass er sich dem System nicht ergeben wollte.
„Ich war nie damit einverstanden, mit allem nicht. Alles war dreckig, durch das Hydrierwerk gab es hier viel Umweltverschmutzung, aber auch das System an sich gab mir nichts, mit dem ich mich anfreunden konnte oder wollte“, so Zoller und klopft auf ein Buch. Sein Buch. „Doch Narben bleiben“ heißt es, und darin hat der 53-Jährige seine Erlebnisse aufgeschrieben. Als Sohn eines Lehrers war es für ihn zwar schwerer, den Mund aufzumachen. „Doch mein Vater hat mich genauso erzogen“, sagt Zoller. Also sprach er immer wieder aus, was er dachte.
Fluchtversuch mit 17 Jahren
Mit 17, als er den Fluchtversuch unternahm, hatte er gerade eine Lehre als Elektriker begonnen. Diese machte ihm nur minder Spaß. Umso größer war für ihn das Übel, dass eine Bewährungsauflage nach der Verurteilung besagte, das er eben jene Lehre im Hydrierwerk erfolgreich abschließen musste. Er bestand und fing danach eine Stelle beim Deutschen Roten Kreuz in Zeitz an. Als er sich einer kleinen Friedensbewegung anschloss, die sich für ein atomwaffenfreies Zeitz aussprach, musste er seine Stelle räumen. Das war 1986. Bis dahin und auch später hatte er immer wieder unter den Repressalien der DDR zu leiden. Zoller sagt, dass seine Wohnung durchsucht und er auch von der Stasi beobachtet wurde. Wer ihn bespitzelte und was vermerkt wurde, weiß er noch gar nicht. Denn erst vor wenigen Monaten war er für sich so weit und konnte Akteneinsicht beantragen. Wenn es dann soweit ist, sagt Zoller, will er nicht allein zur Stasi-Unterlagen-Behörde fahren. Silke Böhme, die mit ihm das Buch geschrieben hat, soll ihn begleiten, denn Zoller hat vor, sein Buch noch einmal zu überarbeiten. „Ich habe inzwischen so viel Neues erfahren. Zum Beispiel wollte man mir noch einen Brandanschlag anhängen“, sagt der Zeitzer. Das möchte er aufarbeiten und in der Neuauflage ergänzen. „Ich will, dass die Leute all das erfahren, aber ich habe auch viel vergessen, das kommt erst jetzt mit der Zeit wieder.“
Nicht vergessen hat er die Zeit im Gefängnis Ende der 80er Jahre. Denn in seiner Verzweiflung wandte er sich zuletzt in einem Brief an den damaligen Landesbischof Werner Leich. Darin machte er deutlich, dass er nicht mehr länger in der DDR leben wollte und könne, bat um Ausreise. Und drohte andernfalls, sich in seiner Verzweiflung, wie der evangelische Rippichaer Pfarrer Oskar Brüsewitz, öffentlich in Zeitz zu verbrennen. Das Ergebnis war, dass Zoller am 21. April 1988 verhaftet wurde. Ihm wurde vorgeworfen, illegale Nachrichten übermittelt zu haben, die der DDR schaden sollten und die er im Ausland veröffentlichen wollte. Zoller kam zunächst für einige Monate in das berüchtigte Stasi-Gefängnis Roter Ochse nach Halle. Über diese Zeit schreibt er in einem Brief an seine Eltern: „Es war die Hölle.“ Nachdem er den ganzen Tag verfolgt und dann verhaftet wurde, begann 10 Uhr das Verhör, es dauerte bis zum nächsten Morgen fünf Uhr an. Später wurde er in kriminelle Untersuchungshaft in ein Gefängnis am Halleschen Hansering verlegt. Nicht nur die hygienischen und beengten Zustände haben ihm damals sehr zugesetzt. Auch, dass er mit zwei anderen Insassen in einem Raum, nicht größer als acht Quadratmeter, Tag und Nacht eingepfercht war, belastete ihn sehr. „Und das Ungewisse, das macht einen fertig“, sagt er. Hunger, Schlägereien unter den Gefangenen, das alles kam hinzu und war nahezu an der Tagesordnung. In dem Brief an seine Eltern schreibt er: „Man wird zum Tier mit der Zeit.“
Zoller bekommt Opferpension
Im September 1988 kam er nach Cottbus, bevor die BRD 90.000 DM für ihn bezahlte. Davon bekam er aber nicht viel mit. „Das ging alles ganz schnell. Mit einem Mal hieß es Sachen packen, in den Zug und weg“, erinnert sich Zoller. Er blieb dann in Göppingen, erst vor drei Jahren zog es ihn aus persönlichen Gründen wieder in seine alte Heimat zurück.
Nach dem Ende der DDR wurde er rehabilitiert, die zuvor gefallenen Urteile wurden aufgehoben. Zoller ist als politisch Verfolgter in der DDR anerkannt und bezieht auch eine Opferpension. Das, was aber bleibt, sind die Erinnerungen, die Narben. Und mit genau diesen fängt er jetzt erst an, sich richtig auseinanderzusetzen.
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