Wittenbergerin Thea Schleusner Wittenbergerin Thea Schleusner: Künstlerin von Weltrang

Wittenberg - Bei dem Namen Schleusner denken wohl die meisten Wittenberger an das Schleusner-Stift und den Namensgeber Georg Schleusner. Dessen Tochter Thea (ursprünglich Dorothea) erlangte als Künstlerin Weltruhm.
Das Wittenberg-Buch „Die 99 besonderen Seiten der Stadt“ wird im Mitteldeutschen Verlag herausgegeben. Autor ist Mathias Tietke (Foto) aus Berlin. Der Fachjournalist, Sachbuchautor und Yogalehrer wurde 1959 in Wittenberg geboren und hat die Hälfte seines Lebens dort verbracht. Seine Geburtsstadt hat für ihn stets mehr geboten als die Stätten und Persönlichkeiten der Reformation, weshalb er nun auch nicht nur Bekanntes in neuem Licht präsentiere. Vorstellen will Tietke sein Buch am 21. März um 19.30 Uhr in der Phönix Theaterwelt. Für die Wittenberger Lokalausgabe der Mitteldeutschen Zeitung verfasst er vorab einige Beiträge. Lesen Sie in der nächsten Folge über die Architektur der Gebrüder Gerson in Wittenberg.
Paris, Kiel und Berlin
Ihre Werke findet man unter anderem im Pariser Musee d’ Orsey, in der Kunsthalle Kiel und in der Berliner Akademie der Wissenschaften. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte Thea Schleusner (1879 bis 1964) in einer Wohnung an der Ostseite der Wittenberger Stadtkirche. Es ist das Haus auf dem Kirchplatz mit der Nummer 10, an dessen Giebel der Kampf Jakobs mit dem Engel als Relief dargestellt ist und in dem seit 2008 die Schwestern der Christus-Bruderschaft Selbitz ihr Domizil haben. In der angrenzenden Jüdenstraße ging Thea Schleusner zur Mädchenschule.
Den Hof an einer Kirche hat sie 1909 mit Pastellkreide gemalt. Aber es ist ein Kirchhof mit dichtem Baumbestand und einem Hügel, darauf eine junge Frau im weißen Kleid. Ein Wittenberg-Motiv ist es demnach nicht. Mit 18 Jahren verließ Thea Schleusner bereits ihre Geburtsstadt. Als 1909 das „Weg auf Kirchhof“-Bild entstand, da war sie 30 und hatte bereits in Berlin und Paris studiert. Während ihres Parisaufenthaltes lebte sie im Kloster Sacre Coer, lernte dort Auguste Rodin, Andre Gide und auch Rainer Maria Rilke kennen, der im Kloster direkt über ihr wohnte.
Von Einstein bis Nietzsche
Thea Schleusner porträtierte nicht nur ihren Vater Georg Schleusner, dessen Bildnis im Wittenberger Schleusner-Stift hängt. Sie fertigte auch Porträts von dem Physiker Albert Einstein, dem Komponisten Ferruccio Busoni, dem Philosophen Friedrich Nietzsche und dem Künstlerkollegen Erich Nolde. Das Porträtieren berühmter Zeitgenossen, mit denen sie teilweise freundschaftliche Beziehungen pflegte, war ein wesentlicher Moment ihres künstlerischen Schaffens. Auch der Indologe Prof. Dr. Albrecht Weber gehörte zu den von Thea Schleusner Porträtierten. Die Berliner Universität war von diesem Gemälde derart angetan, dass sie es 1901 ankaufte. Zu diesem Zeitpunkt war Thea Schleusner gerade mal 22 Jahre jung. 1926 veröffentlichte die indische Kunstzeitschrift „Sham’a“ einen Beitrag über den Sanskritforscher Professor Weber sowie ein Selbstporträt von Schleusner. Man hielt sie für die Enkelin des Indologen Weber und charakterisierte sie als eine der großartigen Künstler Deutschlands sowie als Freundin Indiens, wo sie eine Zeit lang gelebt hat.
Gedenktafel ist überfällig
Neben zahlreichen Porträts malte Thea Schleusner zahlreiche Landschaftsbilder, insbesondere während ihrer zahlreichen Reisen. Zudem gestaltete sie mit großer farblicher Intensität expressiv-allegorische sowie christlich-religiöse Motive. Einige ihrer herausragenden Farbpastellarbeiten, mit denen sie expressiv die Schrecken des Ersten Weltkrieges in einer ganz eigenen Bildsprache darstellte, befinden sich im Wittenberger Ratsarchiv. Es sind Hauptwerke des Symbolismus, die wegen der seit Jahrhunderten bestehenden männlichen Dominanz auf dem Kunstmarkt bislang leider unzureichend beachtet wurden, nun aber mehr und mehr ans Licht der Öffentlichkeit gelangen.
Der Blick der Künstlerin
Thea Schleusner betätigte sich nicht nur als Malerin. Sie illustrierte bibliophile Buchausgaben, schrieb Essays und Gedichte und veröffentlichte Reise-Impressionen. Ihr Bericht über die „Frühlingstage auf Sizilien“ ist ganz geprägt von ihrem Blick als Künstlerin: „Im Rauschen des lächelnden Golfes, aber auch, wenn er stürmt und seine Türkisfarbe smaragden und lapislazuliblau wird, wenn sein weißer Gischt bis zu den Toren des ,Porta felice’ am Kai spritzt, tönt das Loblied des herrlichen Paradieses.“
Eine Gedenktafel für Thea Schleusner ist längst überfällig in Wittenberg, wo sie geboren wurde und als Tochter des Archidiakons Georg Schleusner aufwuchs. Sie hat hier nicht nur eine Nacht verbracht, wie manch andere, denen eine weiße Emaille-Tafel in der Stadt gewidmet wurde, sondern die ersten 18 Jahre ihres ereignisreichen Künstlerlebens. (mz)
