Wittenberg Wittenberg: Gummi aus dem Fleischwolf
WITTENBERG/MZ. - Nein, ganz persönlich hat Wolfgang Keil die Fahrt im Transrapid in Schanghai nicht besonders gefallen. "Das hat schon ziemlich gewackelt und war daher nicht so komfortabel", erzählt der Geschäftsmann aus Wittenberg. Ursache für das Wackeln sei die "echt irre Beschleunigung bis auf 470 Stundenkilometer". Doch verantwortlich für das Tempo der Magnetschwebebahn ist auch der Geschäftsführer der Polymer Technik Elbe (PTE) selbst. Denn sein Unternehmen produzierte für das Prestigeobjekt eine spezielle, stromleitende Gummi-Mischung, aus der Kabel hergestellt wurden. "Durch diese Kabel wird das Magnetfeld gejagt", erläutert Keil das Prinzip. 400 Tonnen Gummi lieferte PTE am Ende für den Transrapid. Und die Anforderungen der Auftraggeber waren sehr hoch. "Vereinbart worden ist etwa eine Gewährleistung von 80 Jahren", erzählt Keil, der das dennoch entspannt sieht. "In 80 Jahren fährt der Zug sicher nicht mehr in der heutigen Form."
Investition in China
Die Arbeit für die Magnetschwebebahn war jedoch nicht das letzte Engagement in China - im Gegenteil. 2005 gründeten die Wittenberger dort ein Tochter-Unternehmen. Rund zwölf Millionen Euro wurden in den Bau eines Werkes in Wuxi investiert. "Wir arbeiten dort aber letztendlich für die selben Kunden und Branchen wie auch in Wittenberg", erklärt Keil. Und die Palette ist außerordentlich breit.
Mehr als die Hälfte des Umsatzes von 90 Millionen Euro macht das Wittenberger Werk jedoch in der Automobil- und der Reifenindustrie. Hergestellt werden unter anderem Gummi-Mischungen für die bekannten Reifenproduzenten Continental und Goodyear. "Beide haben das bis vor einigen Jahren komplett selbst gemacht, mittlerweile liefern wir auch bei denen zu", so der Geschäftsführer. Doch auch die Autoindustrie kommt ohne Gummi nicht aus. "Dichtungen oder Schläuche, es stecken auch noch immer mehrere Kilo Gummi in jedem Pkw."
Die Gummimischungen aus Wittenberg finden sich aber auch in Handläufen von Rolltreppen, dicken Dichtungen von Waschmaschinen - und in Flugzeugen. Da werden sie für Bodenplatten und Dichtungen in dem Bereich der Kabine genutzt, in dem die Stewardessen Mahlzeiten und Getränke vorbereiten. "Dort fällt schon mal ein Kaffee um, deshalb muss zumindest am Boden alles dicht sein."
Um alle Wünsche und Anforderungen der Kunden bedienen zu können, kann das Unternehmen aus 3 000 Rezepten wählen. Zum Einsatz kommen dabei insgesamt rund 1 000 verschiedene Rohstoffe. "Wir machen hier schließlich alles", erklärt der Geschäftsführer selbstbewusst. "Dafür muss aber die Rezeptur genau stimmen, sie bestimmt die gewünschten Eigenschaften." Daran arbeitet die Entwicklungsabteilung, die sich "alle paar Tage" mit einem neuen Rezept meldet, sagt Keil.
Bei der Produktion geht es meist los mit jeweils 25 Kilo schweren Kautschuk-Ballen. Diese werden aufgeschnitten und kommen mit den Zutaten in einen mehrere Meter hohen Kneter. "Meistens sind es pro Mischung zwölf bis 15 Zusatzstoffe." Damit das Verhältnis immer stimmt, wird alles genau abgewogen.
Der Kneter wird dann unter Druck verschlossen, anschließend werden alle Substanzen bei 150 Grad Celsius fünf Minuten vermischt. Am Ende fällt ein dicker, schwarzer Klumpen aus dem Kneter, der auch "Fleischwolf" genannt wird. "Bei unserem Fleischwolf ist die Portion nur größer", sagt Geschäftsführer Keil schmunzelnd.
Streifen oder Felle
Der Klumpen fällt direkt auf eine Walze. Dort wird er, je nach der späteren Verwendung, entweder sofort in Streifen oder zu so genannten Fellen geschnitten. Die knapp 120 mal 80 Zentimeter großen Felle werden auf Paletten an die Kunden ausgeliefert. Und das weltweit. Mehr als 40 Prozent des Umsatzes machte das Werk aus Wittenberg 2010 in Osteuropa. Geliefert wurde jedoch auch nach China, Indien und Mexiko.
Und die Nachfrage scheint ungebrochen. "Wir sehen für uns insgesamt eine sehr positive Entwicklung", sagt Geschäftsführer Keil. Die macht sich schon heute bemerkbar. "Wir sind in Wittenberg an unsere Kapazitätsgrenzen gestoßen." Und daher investiert PTE am Standort an der Elbe, in dem 275 Mitarbeiter beschäftigt sind, nochmals zwölf Millionen Euro. Statt sechs sollen dort in einigen Monaten dann zehn große "Fleischwölfe" stehen.
Im nächsten Teil: Wie Impfstoffe aus Dessau-Roßlau vor Malaria schützen.