Streit um Kitas Wittenberg geht offensiv in die Defensive
In einem offenen Brief wendet sich der Oberbürgermeister an Eltern und Erzieherinnen und verteidigt das Vorgehen beim geplanten Trägerwechsel.

Wittenberg - In der Debatte um die angestrebte Rekommunalisierung von Kindertagesstätten sieht die Stadt Wittenberg Erklärungsbedarf. Sie veröffentlichte jetzt einen „Offenen Brief“ und reagiert damit auf die anhaltende Kritik an ihrem Vorhaben, zunächst zwei - und maximal 15 - Einrichtungen in bisher freier Trägerschaft selbst zu betreiben.
Awo wehrt sich
Wie berichtet bedient sie sich dazu der Kündigung der Mietverträge über die Gebäude, die ihr gehören. Bereits besiegelt scheint die Rekommunalisierung der Kitas „Wortschatzpiraten“ und „Schnatterinchen“ in der Schillerstraße per 1. August 2022, bisher in Trägerschaft des Kindertagesstättenwerks, sowie - noch nicht terminiert, aber ebenfalls beschlossen - der Awo-Kita „Forschergeister“. Die Arbeiterwohlfahrt (Awo) wehrt sich seit Wochen verbal vehement.
Die Stadt hatte am 9. Juli die Presse über ihre Pläne informiert, die der Stadtrat am 23. Juni in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen hat. Keiner der betroffenen Träger behauptet, davon erst aus der Zeitung erfahren zu haben, die Verunsicherung an der Basis ist gleichwohl groß.
Eine Bürgerinitiative hat sich gegründet und auf diese bezieht sich der Oberbürgermeister im offenen Brief an Eltern und Erzieher: „Aus ihrer Mitteilung geht hervor, dass Sie bis heute nicht wissen“, schreibt Torsten Zugehör (parteilos) und zitiert im Folgenden eine Aussage aus den Social Media, „,ob unser Haus weiterhin als Kita betrieben wird, noch mit welchem Personal, geschweige denn unter welchen Gegebenheiten, denn leider gab es bis zum heutigen Tag keinen Gesprächsversuch von Seiten der Stadt’“.
Dem widerspricht der Oberbürgermeister und verweist auch auf einen „Elternbrief“, den er am 23. Juli an das Kindertagesstättenwerk verschickt und um Aushang in den Kitas gebeten habe. Das Schreiben ist dem offenen Brief beigefügt und enthält bereits die Einladung zu einem Gespräch am 17. August für den Vorsitzenden der Stadtelternvertretung, René Tabbert, der auch Elternvertreter der „Wortschatzpiraten“ ist, und weitere Kita-Vertreter. Tabbert war für die MZ am Montag leider nicht zu sprechen.
„Ich wünsche mir einen fairen Umgang mit den Eltern und Erzieher*innen und werde Sie fortlaufend über das Verfahren informieren. Unser gemeinsames Anliegen wird es sein, da bin ich mir sicher, das Umfeld und die Stabilität für die Kinder zu erhalten“, schließt Zugehör den offenen Brief.
Damit dürfte die Debatte keineswegs beendet sein: Die freien Träger haben wie berichtet angekündigt, sich gegebenenfalls rechtlich zu wehren. Noch streitet man via Presse. Als Hauptargumente gegen den geplanten Wechsel gelten ein Verlust der Vielfalt und Zweifel am Einsparpotenzial, welches die Stadt ins Feld führt und sich dabei aufs Land beruft.
In einem zweiten Brief an die MZ hat der Awo-Kreisvorsitzende Erhard Hellwig-Kühn unlängst nachgelegt. Darin stellt er Einsparungen durch eine Rekommunalisierung wie auch insgesamt in Abrede, dass das Gutachten des Landesinnenministeriums von 2018 diese überhaupt empfiehlt. Beides ist dieser Haushaltsanalyse, die 2019 veröffentlicht worden ist, aber durchaus zu entnehmen.
So heißt es auf Seite 28 an die Adresse Wittenbergs gerichtet, es „sollten die rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Rekommunalisierung geprüft werden“. Das hat die Stadt getan und die Mietverträge als Hebel zum Rauswurf freier Träger gefunden. Zudem stellt das Innenministerium fest, dass bei den kommunalen Kitas - das sind zwölf von 45 im Stadtgebiet - „kein Einsparpotenzial“ besteht.
Teurer statt billiger?
Doch bei denen freier Träger eben sehr wohl: 1,7 Millionen Euro stehen im Raum. „Der Beweis, dass Kindergärten in freier Trägerschaft in Gänze teurer sind als in kommunaler Trägerschaft, ist nicht erbracht“, widerspricht der Awo-Kreisvorsitzende. „Ich behaupte, dass eine Rekommunalisierung der KiTas für die Stadt Wittenberg nur teurer wird.“
Nicht von der Hand zu weisen ist Hellwig-Kühns Einwand, das Land bescheinige der Stadt, dass diese angesichts der Haushaltslage im Vergleich zu anderen Kommunen (zu) niedrige Kita-Beiträge kassiere. Die Bereitschaft, die Eltern stärker zur Kasse zu bitten, war in der Lokalpolitik aber stets schwach ausgeprägt, wofür es ebenfalls gute Gründe gibt. (mz)