Wittenberg Wittenberg: Der Mann ohne Unterleib
WITTENBERG/MZ. - Um eine gute Inspiration abzugeben, hatte sich Werner Unfried extra von seinem Vollbart getrennt. Immerhin ist kein Bild bekannt, das den Reformator Martin Luther mit einer solchen Gesichtsbehaarung zeigt. Unfried ist Keramikermeister aus Berlin und ebenda saß er Modell für den Bildhauer Harald Birck, der im Auftrag des von der Berliner Stadtmission betriebenen Luther-Hotels Wittenberg eine Skulptur des Kirchenreformers entwickeln sollte. Zahlreiche Entwürfe konnten seit August in der Wittenberger Herberge in Augenschein genommen werden. Am Sonnabend, als die Betreiber des Hotels zu ihrem fünften Jahresempfang Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft begrüßten, konnten selbige nun betrachten, was letztlich das Rennen gemacht hat: Martin Luther in Bronze, füllig und mit einem ebenso freundlichen wie ausdrucksstarken Gesicht, in dem das Leben durchaus Spuren hinterlassen hat.
Die Skulptur wird, wenn sie dereinst vollendet ist, eine Höhe von 2,10 Meter haben und im Foyer des Luther-Hotels die Gäste empfangen. Zur Enthüllung am Wochenende durch Lise-Lotte Rebel, Bischöfin der lutherischen Dänischen Volkskirche des Bistums Helsingør, präsentierte sich der Reformator noch als Mann ohne Unterleib. Bildhauer Birck begründete das mit dem aufwendigen Herstellungsprozess; die Skulptur wird nicht aus einem Stück gegossen, sie soll aber noch in diesem Monat vollendet werden, weshalb der halbe Luther noch mal in die Hauptstadt zurückreist.
Birck, von dem bereits die in Ton gearbeiteten Porträtköpfe obdachloser Berliner im Luther-Hotel stammen, hat sich mit "allen möglichen" Luther-Darstellungen beschäftigt, mit Lucas Cranach und der Renaissance dito. Eine Nachbildung von etwas bereits Vorhandenem schuf er nicht. "Ich wollte einen lebensnahen Luther", erklärte er am Rande der Enthüllung. "Zeitgemäß" hieß es bei Wolfram Buchholz, Co-Geschäftsführer der Hospize-Betriebs-Gesellschaft mbH, einer Tochter der Stadtmission.
Zu den Überraschungen bei Bircks Luther-Darstellung gehört, dass er dem Reformator, anders als bei Johann Gottfried Schadows Denkmal, keine Bibel in die Hand gab. Statt dessen hält dieser Luther dem Betrachter ein leeres Blatt entgegen, in dem etwa die dänische Bischöfin Rebel eine Einladung an jeden Einzelnen sah, sich seine eigenen Gedanken über Luther zu machen. Von dieser Eigenwilligkeit, man könnte es auch eine Anfrage seitens des Bildhauers an die Menschen im Hier und Heute nennen, lässt sich eine frappierende Ähnlichkeit zwischen dem bronzenen Luther und Model Werner Unfried feststellen. Letzterer trug zur Präsentation der Skulptur übrigens wieder einen Vollbart.
Die Kosten für die Luther-Bronzeskulptur des Bildhauers Harald Birck belaufen sich auf etwa 20 000 Euro und noch werden Sponsoren bzw. Paten gesucht. Wer das Projekt unterstützen möchte, kann sich dazu mit dem Luther-Hotel, Neustraße 7 bis 10, unter Tel. 03491 / 45 80 in Verbindung setzen.