Wilhelm Busch in Wittenberg Wilhelm Busch in Wittenberg: "Wie hätt' ich mich gefreut"

Liebe Leser! Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie glücklich ich war, letzten Freitag meine alten Texte wieder hören zu können - frisch und munter von zwei lieben Menschen dargeboten. Sie begannen mit meinem „Fliegenden Frosch“: „Wenn einer, der mit Mühe kaum / Gekrochen ist auf einen Baum / Schon meint, daß er ein Vogel wär / So irrt sich der.“ Wo geschah dies? Im Malsaal des Cranach-Hauses zu Wittenberg.
Den Meister Cranach habe ich auch verehrt, neben den alten Holländern, die ich als Student in Antwerpen mit Begeisterung entdeckte. Kinder, ist das lange her! So jung war ich mal, und mit fünfzig legte ich Pinsel und Bleistift in die Ecke, um nur noch meine Worte aufzuschreiben. Als mein Erdenleben als der „Alte von Wiedensahl“ 1908 zu Ende ging, wusste ich erst nicht: Komme ich nun in den Malerhimmel oder in den Dichterhimmel? Ernst genommen (und damit Spaß gehabt) hat man mich ja zu Lebzeiten immer nur als Zeichner lustiger und skurriler Bilderfolgen. Ihr sagt heute „Comics“ dazu. Aber die Wörter waren mir ebenso wichtig, die Prosa und die Verse.
So sitze ich nun im Dichterhimmel, in Gesellschaft meiner Nachkommen und Freunde: dem Morgenstern, dem Tucholsky, dem Kästner, alles sehr liebe und fähige Leute, die das messerscharfe Wort gebrauchten. Und ich sehe zu, was bei Euch auf Erden alles mit unserer geliebten deutschen Sprache geschieht…
Ach so, ich wollte ja vom Malsaal erzählen. Getränke gab’s, getreu meinem Vers: „Rotwein ist für alte Knaben / Eine von den besten Gaben.“ Und stellt Euch vor: ein ganzer Abend ohne meine Bilder, nur mit den Texten. Wie froh ich war!
Der erfahrene Herr Eberle hatte meine Verse gesichtet und erzählte anhand derer mein Leben. Er scheute sich auch nicht, selbst zu singen, obwohl das Klavier (das arme Tier) sein Metier ist. Ich muss sagen, das war recht geschickt. Und die charmante Frau Beckert mit ihrer hübschen Sopranstimme sang und rezitierte, immer textverständlich und heiter. Da es nicht so viele Vertonungen meiner Texte gibt, untermalte Herr Eberle am Flügel quasi melodramatisch – mit eigener und fremder Musik. Plötzlich wurden richtige kleine Opernszenen daraus. Manchmal wusste ich nicht mehr: Sollte ich auf die Textpointen achtgeben oder die Musik genießen? Na, gottlob haben wir Menschen ja zwei Ohren! Plötzlich wurde sogar ein Gedicht auf die Melodie des Macheath-Messer-Songs von Kurt Weill gesungen. Und die Vertonung von Adolf Lorenz bot gleich ein Potpourri bekannter Opernmelodien. Sei’s drum – ich habe mich amüsiert.
Dass „Max und Moritz“ in über 200 Sprachen übersetzt wurde, ehrt mich. Auf englisch klang das Kapitel über Meister Böck gar nicht so schlecht – aber am liebsten ist mir doch mein eigenes „Meck-meck-meck.“ Im zweiten Teil wurde ich auch noch als Junggeselle vorgestellt. Das ist ja privat, aber es wussten sowieso schon alle Leute, dass ich ein Einzelgänger war und dass es mit der Frau Kessler und der Frau Anderson nicht geklappt hat. Ich hörte wieder gern meine Verse „Wer einsam ist, der hat es gut / Weil keiner da, der ihm was tut. / Ihn stört in seinem Lustrevier / Kein Tier, kein Mensch und kein Klavier / Und niemand gibt ihm weise Lehren / Die gut gemeint und bös zu hören.“
Ob ich „Der bewaffnete Friede“ heute noch schreiben würde – bei den schrecklichen Waffen auf der Welt – weiß ich’s? „Bewaffnet, doch als Friedensheld.“ Wie viele Politiker nahmen diesen Vers als Alibi für ihre Aufrüstung. Lieber habe ich heute mein Motto: „Das Gute – dieser Satz steht fest – / Ist stets das Böse, was man läßt.“
In diesem Sinne seid gegrüßt, Ihr Wittenberger, und engagiert Euch weiter in Kultur, Literatur und Musik!
Euer Wilhelm Busch,
alias Michael Stolle
