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Neue Häuser errichtet Wie das Wittenberger Augustinuswerk Menschen mit Handicap mehr Selbstbestimmung ermöglicht

Für Menschen mit Handicaps sind Häuser in Form eines X und eines Y errichtet worden. Stationäres Wohnen ist beim Augustinuswerk Vergangenheit.

Von Marcel Duclaud 08.11.2021, 09:09
Barrierefreie Häuser mit einer Nutzfläche von 3.200 Quadratmeter sind  in Wittenberg West entstanden - für  Menschen mit Handicaps.
Barrierefreie Häuser mit einer Nutzfläche von 3.200 Quadratmeter sind in Wittenberg West entstanden - für Menschen mit Handicaps. Foto: Thomas Klitzsch

Wittenberg/MZ - Zwei Häuser in X-Form und zwei, die einem Y gleichen, sind in Wittenberg West hinter der einstigen Karl-Marx-Schule errichtet worden. Investor und Bauherr ist das Kölner Unternehmen Pro Secur Vermögensberatung und -verwaltung, das in Kooperation mit dem Wittenberger Augustinuswerk die Gebäude plante und errichten ließ.

Selbst entscheiden

Hintergrund ist das Bundesteilhabegesetz, das Menschen mit Handicap mehr Selbstbestimmung ermöglicht. Lange sind sie in stationären Einrichtungen in großen Wohngruppen betreut worden, jetzt können Betroffene entscheiden, wo und wie sie leben und welche Leistungen sie bei Bedarf zukaufen. Mit dem Umzug in die neu entstandenen Häuser in der Willy-Lohmann-Straße hat das Augustinuswerk den Systemwechsel vollzogen: „Wir sind“, sagt sichtlich stolz Vorstand Matthias Monecke, „der erste und einzige Träger in Sachsen-Anhalt, der das zu hundert Prozent abgeschlossen hat.“

Monecke spricht im Zusammenhang mit dem Bundesteilhabegesetz von einem „Schwenk um 180 Grad“, Wille und Wunsch der Klienten stünden nun im Vordergrund. Danach werde das Angebot entwickelt - auch das in den beiden Y-Häusern in der Willy-Lohmann-Straße. Dass das für sein Team eine große Herausforderung ist, verschweigt der Chef des Augustinuswerkes nicht.

Gewohnt wird in den Häusern in X-Form. Pro Gebäude stehen 24 Wohneinheiten zur Verfügung, die von den behinderten Menschen angemietet werden können. Eines der Häuser ist bereits komplett bezogen, für das andere sei die Nachfrage bereits sehr hoch, heißt es vom Augustinuswerk, das die beiden Y-Häuser mietet, um dort „eine Tagesstruktur für Menschen mit Beeinträchtigungen“ aufzubauen. Die Rede ist von multifunktionalen Sozialgebäuden mit verschiedenen Therapie-, Bewegungs-, Gemeinschafts- und Kreativangeboten. Die Fördermöglichkeiten stellten eine „individuelle und optimale Entwicklung“ sicher und ermöglichen soziale Kontakte.

Zur Einweihung kamen neben anderen Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör und  Landrat Christian Tylsch.
Zur Einweihung kamen neben anderen Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör und Landrat Christian Tylsch.
Foto: Thomas Klitzsch

Außer im Kinderbereich, berichtet Monecke, verfüge das Augustinuswerk nun über kein stationäres Wohnen mehr. Die Klienten, an die 400, seien inzwischen weit verteilt in Stadt und Landkreis: „Es gibt keinen Wittenberger Stadtteil mehr, in dem nicht Menschen mit Behinderung, die von uns betreut werden, leben.“ Die bislang genutzten stationären Einrichtungen werden nun saniert und umgebaut - zum Beispiel für Kinderwohngruppen.

Monecke sagt auch, dass nach diesem Kraftakt erst einmal keine weiteren größeren Investitionen beim Augustinuswerk auf dem Programm stünden: „Wir müssen jetzt konsolidieren und alles mit Leben füllen.“

Bei den neuen Häuser in Wittenberg West hat das längst begonnen. Zwei wurden Ende vergangener Woche feierlich eingeweiht - es kamen neben anderen Landrat Christian Tylsch und Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör. Letzterer sprach von einem „großen Geschenk für die Soziallandschaft der Stadt“. Das Bundesteilhabegesetz sei für die gesamte Stadtgesellschaft ein Gewinn: „Hier dienen gesetzliche Vorschriften den Menschen.“ Tylsch würdigte sowohl das Augustinuswerk als auch das Gesetz, das die Inklusion fördert. Es ermögliche besseres Leben in schwieriger Situation.

Blick in einen der Räume der neuen Häuser
Blick in einen der Räume der neuen Häuser
Foto: Thomas Klitzsch

Mit Hindernissen

Unterdessen sind zwar die X- und Y-Häuser schnell errichtet worden, erster Spatenstich war im Juli 2020. Insgesamt aber dauerte das Projekt doch seine Zeit. „Wir haben länger nach einem geeigneten Grundstück gesucht, circa zwei Jahre“, erinnerte Peter Lüke, Geschäftsführer von Pro Secure. Erste Gespräche seien bereits 2017 geführt worden.

Dann galt es, Genehmigungen einzuholen. Die Vergangenheit des Areals machte die Sache ebenfalls nicht einfacher. Auf dem Gelände befand sich einst, während der Zeit des Ersten Weltkriegs, ein Kriegsgefangenenlager. Was Ausgrabungen unumgänglich machte. Lüke spricht aber von einer „partnerschaftlichen Zusammenarbeit“. Bereits während der Grabungen konnte gebaut werden. Was die Historiker dort gefunden haben, darüber verlautete noch nichts. Der Bericht werde gerade fertig gestellt, sagt Lüke.