Erst Opfer, dann Angeklagter Vorbestrafter Wittenberger gleich zweimal vor Gericht
Zunächst als Opfer, später als Angeklagter - warum ein vorbestrafter Mann aus Wittenberg an einem Tag zu mehreren Verhandlungen erscheinen muss.

Wittenberg - Dass manche Menschen öfter vor Gericht stehen, kommt so selten nicht vor. Vorstrafenregister weisen mitunter eine erstaunliche Länge auf. Was indes Seltenheitswert haben dürfte: Wenn ein Mann am gleichen Tag zu zwei Verhandlungen geladen wird, einmal als Opfer, einmal als Angeklagter.
Mit Schloss geschlagen
Zu besichtigen ist ein solcher Fall Anfang der Woche am Wittenberger Amtsgericht. Zunächst darf der 1978 in Stendal geborene Wittenberger, nennen wir ihn Karl K., als Zeuge aussagen. Es geht um den Vorwurf körperlicher Misshandlung. Eine zweifache Mutter, ohne Beruf und ohne Job, soll im Juni 2020 Karl K. in der Eisenbahnstraße mit einem Fahrradschloss geschlagen haben.
Was die Frau strikt leugnet: „Das stimmt nicht. Das würde ich nie machen. Ich hatte meine Tochter dabei und gehe jedem Streit aus dem Weg. Ein Schloss besitze ich nicht einmal.“ Dass sie mit K. einst befreundet war, räumt sie ein. „Aber später wollte ich meine Ruhe haben.“
K. wiederum, ein kräftiger Mann, erklärt: „Sie hat mir einmal richtig eine übergezogen.“ Getroffen wurde der Wittenberger, der ebenfalls keinen Job hat, am Oberarm - Bilder zeigen ein heftiges Hämatom. Beide seien sich auf dem Fahrrad begegnet, es habe ein Wortgefecht gegeben, in dem er sie „blöde Kuh“ nannte, dann sei der Schlag erfolgt.
Beim Arzt sei er nicht gewesen, bei der Polizei später sehr wohl, um dort Anzeige zu erstatten. Die Frau des Opfers, ebenfalls als Zeugin ins Amtsgericht geladen, erklärt, nicht dabei gewesen zu sein. Karl K. hingegen gibt an, dass sie dabei war.
Die Staatsanwaltschaft räumt zwar Widersprüche ein, sieht den „Sachverhalt“ aber dennoch als erwiesen an. Wegen Körperverletzung fordert sie eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten, ausgesetzt zur Bewährung - zudem hundert Stunden gemeinnütziger Arbeit. Für die Angeklagte spräche, dass sie nicht vorbestraft ist.
Ganz anders Verteidiger Tobias Sacher: „Die Anklage hat sich nicht bestätigt.“ Er sieht etliche Widersprüche. Die Aussage von Karl K. nach dem Vorfall gegenüber der Polizei habe anders geklungen. Da sei etwa vom Anhalten der beiden Radfahrer die Rede gewesen, ganz zu schweigen davon, ob die Frau nun dabei war oder nicht. „Es gibt erhebliche Zweifel.“ Auch über Konsequenzen wegen Falschaussage könne nachgedacht werden.
Jedenfalls fordert der Verteidiger einen Freispruch. Seine Mandantin bemerkt noch: „Ich bin traurig, dass er so lügt.“
Richter Ronald Waltert hingegen verurteilt die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung: zu sechs Monaten Freiheitsentzug auf Bewährung - und zu hundert Arbeitsstunden.
Karl K. sei ohne Zweifel verletzt worden. Er habe eigene Pöbeleien, die zur Eskalation beitrugen, eingeräumt und die Sache nüchtern geschildert. Dass der Hergang - inklusive Wortgefecht und Schlag - möglich sei, ohne dabei die Räder zu stoppen, sei durchaus denkbar, weil dort eine Engstelle ist und man langsam fahren müsse.
Bei der wenige Minuten später folgenden Verhandlung muss K. kurzerhand auf die Anklagebank wechseln. Der mehrfach vorbestrafte Wittenberger - wegen sexueller Nötigung, sexuellen Missbrauchs von Kindern, wegen Hausfriedensbruch, Betrug, Beleidigung und gefährlicher Körperverletzung - soll sich wegen Beleidigung verantworten. Er habe eine Frau, die in Wittenberg als Reinigungskraft arbeitet, unter anderem „fette Sau“ genannt. Dem ging wohl ein Konflikt der Kinder von beiden voraus.
Gegenseitig belöffelt
„Wir haben uns gegenseitig belöffelt“, sagt sie vor Gericht und dass der Streit nun ausgeräumt sei: „Er hat sich bei mir entschuldigt, ich habe mich bei ihm entschuldigt.“ Warum dann trotzdem die Anzeige? „Ich hatte mich angegriffen gefühlt, weil ich einiges durch habe mit meiner Figur.“
Demnächst erst einmal durchatmen, rät Richter Waltert, der sich gut vorstellen kann, das Verfahren einzustellen. Das trägt auch die Staatsanwaltschaft mit, allerdings fordert sie wegen der Vorstrafen von K. Auflagen. 30 Arbeitsstunden muss der nun leisten - das Verfahren wird nur vorläufig eingestellt. (mz)