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Fußballgeschichte Torwart-Debüt beim Derby in Piesteritz

Der Piesteritzer Keeper Viktor Leister erinnert sich an sein erstes Stadtduell im Fußball. 4.000 Menschen strömen in den Volkspark zu einem Punktspiel.

13.04.2021, 09:48

Piesteritz - Viktor Leister hat das Bild vom Mai 1957 wie einen Schatz aufbewahrt. In der Szene in der 65. Minute springen er als Piesteritzer Torwart und Verteidiger Dieter Knecht vergeblich nach dem Ball. Die Wittenberger Einheit-Spieler Rudloff und Zytaruk folgen mit Blicken der Kugel, die an die Latte geht. Der erst 17-jährige Schlussmann hat bei seinem ersten Stadtderby auf dem gefürchteten Schlackeplatz im Volkspark vor 4.000 Zuschauern Glück.

„Ich hatte zuvor schon in der Reserve gespielt, aber ich war voll aufgeregt“, erzählt der inzwischen 82-Jährige über den 3:1-Sieg der BSG Chemie. „Zweimal Steinhart und Schütze sowie Schäfer für die Einheit waren die Torschützen“, erinnert er sich. Zu seinem ersten Triumph habe er Selters getrunken. Die Partie geht als einer der härtesten Punktekämpfe in die Fußball-Historie ein. So hält es Ingo Mattheuer im Buch „Immer am Ball“ fest.

Debatten an der Lügen-Ecke

In den 50ern bis Anfang der 70er waren die Stadtderbys „auf Augenhöhe“ ein Zuschauermagnet. Bis zu 5.000 Fans erleben die Partien. Die Duelle sind das Stadtgespräch. „Ich wurde sogar von der alten Bäckersfrau beim Brötchenholen angesprochen“, so Leister. Und in der „Lügen-Ecke“ - so wurde der Schaukasten in der einstigen Straße der Neuerer (heute Dessauer Straße) mit den Spielberichten und Vorschauen genannt - debattierten die Fans den ganzen Tag.

Leister wird schnell Stammkeeper und in die Bezirksauswahl der U 23 berufen. Seinen größten Triumph feiert er mit dem Aufstieg in die Bezirksliga 1960. Dabei sieht es nach der ersten Halbserie gar nicht gut aus. „Aber in der Rückrunde haben wir alle Partien gewonnen, nur eine Begegnung nicht“, so Leister. Ausgerechnet beim Derby reicht es nur zu einem 1:1. Das Hinspiel ging sogar 0:2 verloren.

Leister wechselt 1962 zur Einheit und hütet dort bis 1969 den Kasten. „In dieser Zeit habe ich mit der Einheit als unterklassiges Team vier Derbys gespielt und drei Mal gewonnen“, berichtet er von seiner persönlichen Bilanz. In der Bezirksklasse stehen sich die beiden Teams zuletzt in der Saison 1967/68 gegenüber. In diesem Jahr steigt die Einheit als letzter auf Rang 19 ab. In den 70er Jahren folgen noch Pokalspiele, die ebenfalls auf große Resonanz stoßen. Die Piesteritzer Fans marschierten gemeinsam auf der Straße der Neuerer zum Platz der Jugend und legten so den Verkehr der Stadt lahm.

Nur Feuer mit viel Rauch

Mit der Fusion der beiden Vereine ist die Geschichte der großen Derbys endgültig vorbei. Über diesen Zusammenschluss wird schon in den 50er Jahren - also zum Start von Leisters Karriere - heftig diskutiert. Die Betriebszeitung der Stickstoffwerke „Der Ansporn“ eröffnet ein Diskussions-Forum. Im Nachhinein entpuppt sich die Debatte als ein Feuer mit viel Rauch: Es bleibt zunächst alles beim Alten. Die vermeintliche Vernunftehe wird erst Jahrzehnte später besiegelt. Doch sie hat, so schätzt es Leister heute ein, „nicht wirklich viel“ gebracht. (mz/Michael Hübner)