Tagung in Wittenberg Tagung in Wittenberg: Theologe oder Linker?

Wittenberg - Selten hat es eine historische Gestalt seinen späteren Biografen so schwer gemacht, ihn einzuordnen, wie Thomas Müntzer. Im Osten Deutschlands war er „Revolutionär“ und „Bauernführer“, im Westen hingegen ist er bislang weitgehend unbeachtet geblieben. Dabei war Müntzer vor allem eines: Theologe. Und in diesem Zusammenhang wohl auch Sozialrevolutionär, so der Historiker Adolf Laube, eben weil er versucht hat, das Reich Gottes auf Erden einzurichten. Doch Müntzer entweder auf die eine oder die andere Rolle zu beschränken, hat in der Vergangenheit nicht funktioniert. Und es klappt auch heutzutage nicht.
Dem neuesten Stand der Müntzer-Forschung hat sich am Wochenende eine Tagung, organisiert vom Wittenberger Haus der Geschichte in Kooperation mit dem Berliner Institut für vergleichende Staat-Kirche-Forschung, gewidmet. So mancher der Diskutierenden kam auf Umwegen zu Müntzer, etwa Adolf Laube, der über sein Hauptfach, die Geschichte des Spätmittelalters, als Quereinsteiger auf die Reformationsgeschichte stieß. Sein Grundsatz „Ran an die Quellen“ führte ihn als Mediävisten direkt zu den Flugschriften, die die Vielzahl reformatorischer Auffassungen deutlich machte. „Müntzer war der, der am weitesten ging“, so Laube.
Volkmar Joestel, früherer langjähriger Mitarbeiter des Lutherhauses Wittenberg, sagt über seine Beweggründe, sich Müntzer zu widmen: „Ich hatte mich 40 Jahre intensiv mit Luther beschäftigen müssen. Und mich schließlich gefragt: Siehst du jetzt auch Luthers Gegner durch seine Augen?“ Für Joestel steht vor allem der Theologe Müntzer im Vordergrund. „Er war evangelischer Theologe. Und wenn es eine Institution gäbe, die dieses Erbe wieder beleben könnte, wäre es die Kirche.“ Er findet, es würde der evangelischen Kirche guttun, „dieses mystische Erbe zurückzuholen“. Dies könnte dem Protestantismus neues Leben einhauchen, so seine Idee.
Belebt haben die Person Müntzer in jüngster Vergangenheit jedoch vor allem Siegfried Bräuer und Günter Vogler. Der Theologe und der Historiker haben Mitte des Jahres eine Biografie vorgelegt, die den neuesten Stand der Müntzer-Forschung auf 540 Seiten zusammenfasst. „Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt“ heißt das Werk. „Müntzer erschließt sich uns nicht auf den ersten Blick“, räumt auch Vogler ein. Was schon dem Experten schwer fällt, ist erst recht dem Laien nicht leicht vermittelbar. Für den Historiker erstaunlich ist denn auch die Wandlung dessen, was in der DDR in Museen gezeigt wurde. Dabei macht Vogler vor allem auf Mühlhausen aufmerksam, wo eine alte Ausstellung aus den 70er Jahren nach der Wende mit neueren Kommentaren versehen wurde. „Diese Möglichkeit, sich als Betrachter selbst ein Urteil zu bilden, ist zunehmend im Schwinden begriffen“, bedauert er.
„Müntzer verschwand Anfang der 90er Jahre unter anderem auf ostdeutschen Straßennamen, weil er ja Kommunist war“, benennt Thomas T. Müller, Direktor der Mühlhäuser Museen, ein Kuriosum. Mit der Ausstellung „Luthers ungeliebte Brüder“ mache man derzeit auf andere Reformatoren aufmerksam. Dass der Name Müntzer im Westen weitgehend unbekannt ist, weiß auch die Kunsthistorikerin Rosemarie Knape. Die einstige Aufbauleiterin des Museums Allstedt, später in Eisleben tätig, bestätigt: „Die meistem westlichen Besucher wissen nichts von Müntzer.“
Die Tagung macht deutlich, dass es in der Reformationsdekade um mehr geht als um Martin Luther und dessen Thesen allein. Ergänzend ist ab sofort eine Ausstellung im Haus der Geschichte zu sehen, die in Fragmenten Ausstellungen zu Martin Luther (1983) und Thomas Müntzer (1989) zeigt. (mz)