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Spezialität aus Sachsen-Anhalt Spezialität aus Sachsen-Anhalt: "Erdschwein-Essen" in Annaburg

Von Marlene Köhler 02.03.2014, 09:16
Das Erdschwein ist nach gut fünf Stunden dort, wo es hin soll. Gerald Lexius zerlegt es gekonnt. Dieses Schwein macht bis zu 30 Leute satt.
Das Erdschwein ist nach gut fünf Stunden dort, wo es hin soll. Gerald Lexius zerlegt es gekonnt. Dieses Schwein macht bis zu 30 Leute satt. MAK Lizenz

Annaburg/MZ - Es ist Freitagabend, in das „Lokal am Wald“ am Annaburger Stadion zieht Leben ein. Immer freitags veranstaltet Inhaber Gerald Lexius sein inzwischen in der Region schon berühmtes „Erdschwein-Essen“. Die Gäste haben sich dafür angemeldet und sind gespannt, was da wohl auf den Tisch kommt. Spanferkel – ja, das kennt man. Aber was ist ein Erdschwein?

Gerald Lexius, 48, gelernter Koch mit langer Erfahrung in der Gastronomie, hat sich Event-fein gemacht, in gestreifter Hose, dunkler Kochjacke und langer schwarzer Schürze begrüßt er sein Publikum. „Die Erdräucherei hat hier in der Gegend eine lange Tradition“, sagt er. Dann erzählt er von den Slawen, die schon vor über 1.500 Jahren ein mit Feldsteinen ausgelegtes Erdloch genutzt hätten zur Räucherung „von allem, was sie geschossen haben“.

Schwein wird bei 450 Grad Celsius in der Grube geschmort

Als Lexius vor ein paar Jahren auf diese Tradition stieß, lag der Gedanke der Vermarktung nahe. Zunächst wurde mit ein paar Kumpels das Erdgaren ausprobiert, dann ein Erdräucherofen konzipiert: eine 1,50 Meter tiefe, zwei Meter lange und einen Meter breite Grube mit betonierten Wänden, auf die Schamotte-Platten aufgeklebt werden. Eben ein Backofen in der Erde, sagt Lexius. Patentgeschützt ist er, bestätigt mit Stempel vom Deutschen Patent- und Markenamt in München.

Unten im Ofen liegt, je nach Gar-Gut, Birke oder Eichenholz, als letzte Schicht wird Buche aufgelegt, das gibt den besonderen Geschmack. Sind 450 Grad Celsius erreicht - Lexius sieht das an der Schamotte-Färbung - lässt er das rohe, gepökelte Schwein auf dem Gitterrost in einer Wanne hinunter in die Grube. Etwa 30 Zentimeter über dem Feuer schmort es nun im eigenen Saft an die fünf Stunden vor sich hin, fest verschlossen mit einem Edelstahldeckel, auf den zur Abdichtung noch zusätzlich Sand geschaufelt wird.

Und während die Verwandlung vom Haus- zum Erdschwein in aller Stille vor sich geht, sorgt der Hausherr zusammen mit fleißigen Helfern aus dem Ort für das Ambiente und das Büfett. Bis zu 50 Personen werden bei einem Erdschwein-Essen satt. Für sie werden die Tische in dem Flachbau am Stadion des SV Grün-Weiß Annaburg eingedeckt, die TV-Geräte in beiden Räumen mit einem Video über die „Anhaltinische Erdräucherei“ gefüttert. In der Küche geht es derweil hoch her, hausgemachtes Sauerkraut wird vorbereitet, Backkartoffeln, Kräuterquark, zwei verschiedene Soßen, frische Salate, Dressing, Brot wird gebacken. Die Gäste können sich ihr Essen selbst zusammenstellen und zahlen pauschal 12,90 Euro. Am beliebtesten sind Fleischscheiben aus der Keule oder Schweinekamm, viele wollen aber auch Bäckchen und Schwarte kosten.

"Läufer" haben mehr Fleisch als Spanferkel zu bieten

Das Schwein wird von einer Fleischerei und Schlächterei bei Torgau geliefert, je nach angemeldeter Personenzahl wiegt es zwischen 30 und 50 Kilogramm. „Läufer“ nennt man diese noch kein Jahr alten Tiere, die noch nicht so fett sind, aber im Gegensatz zum 15 bis 20 Kilogramm leichten Spanferkel doch allerhand Fleisch zu bieten haben. „Wir versuchen, alles zu verarbeiten“, sagt der Gastwirt. Reste vom Fleisch werden vom Knochen gelöst und in Brühe gekocht, Erdschwein-Sülze hergestellt, die meisten kaufen ein, zwei Gläser für zu Hause. Auch Räucherkamm wird zum Mitnehmen vorbestellt. Zur Spargelzeit gibt es Erdschwein-Schinken zum edlen Gemüse. „Die Gäste kommen das erste Mal aus Neugier, sind begeistert und haben dann noch viele Ideen“, sagt Gerald Lexius.

So kam man zum Beispiel auf die Räucherente, eine gefüllte Flugente, die im Lokal am Wald mit Grünkohl, Rotkohl und Kartoffelklößen gereicht wird.

Ostern wird Lamm geräuchert, auch verschiedene Fischsorten eignen sich zum Räuchern - Lachs, Forelle und andere. Drei weitere Räucheröfen für Fisch werden demnächst gebaut. Eine besondere Delikatesse, so Lexius, seien die in Bananenblätter eingewickelten Fischfilets, die im eigenen Saft garen und einen leichten Räuchergeschmack entwickeln.

Gerald Lexius nimmt die Gäste mit nach draußen, zur überdachten Erdräucheranlage. Noch sehen sie nichts - nur ein Rechteck, auf dem Sand aufgehäufelt ist. Doch hier soll gleich das „Event“ beginnen, das Anheben des Erdschweins, das Platzieren auf dem Wagen aus Edelstahl, der Transport in die Gaststätte. Ein wenig aufgeregt ist der Erdräucher-Spezialist, denn jetzt kommt für ihn der schwierigste Teil des Abends, alles muss zentimetergenau passen.

"Ist das aber saftig!"

Zunächst die leichtere Aufgabe - das Abkehren des Verschlussdeckels, so sauber, dass der Edelstahl glänzt. Dann das Öffnen, der Schwall aus der Grube, die Ah- und Oh-Rufe des Publikums. Gespannte Blicke nach unten. Sobald sich der Wasser- und Gar-Dampf ein wenig verzogen hat, sieht man das Schwein: knackig braun die Schwarte, an manchen Stellen durch die große Hitze geplatzt.

Nun kommt es drauf an. Lexius hakt vier Eisenstangen in die Wanne ein und zieht, begleitet vom Blitzlichtgewitter der Gäste, die diesen Moment festhalten wollen, die Wanne mit einer elektrischen Winde nach oben. Das dampfende Schwein darf nicht kippen, alles muss schnell gehen.

Auch drinnen sitzt jeder Handgriff beim Tranchieren des Schweins. Ausgelöste Schultern und andere Teile landen im Warmhaltebecken, zum Schluss auch der glänzende Erdschweinkopf. Die Gäste gruppieren sich ums Büfett, die Teller bereit zur Beladung, das begehrte Fleischstück schon im Visier. Und dann wird es ruhig im Gastraum. Man isst und lobt an den einzelnen Tischen: „Ist das aber saftig!“.

Noch kommen die Erdschwein-Esser aus einem Umkreis von zehn bis 15 Kilometern nach Annaburg, freitags und an den Wochenenden. Doch Gerald Lexius hat Kontakte mit Busreiseunternehmen geknüpft. Wenn das klappt, will er auch wochentags den Erdräucherofen anheizen.

Unter dieser Sandfläche liegt das Schwein in 1,50 Meter Tiefe auf einem Gitterrost. Darunter glüht Buchenholz. Eine Stahltür verschließt die Grube, oben drauf kommt Sand.
Unter dieser Sandfläche liegt das Schwein in 1,50 Meter Tiefe auf einem Gitterrost. Darunter glüht Buchenholz. Eine Stahltür verschließt die Grube, oben drauf kommt Sand.
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Nach viereinhalb Stunden wird der Sand weggekehrt und der Räucherofen geöffnet.
Nach viereinhalb Stunden wird der Sand weggekehrt und der Räucherofen geöffnet.
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Ein erster Blick hinab in die Grube: Perfekt geraten!
Ein erster Blick hinab in die Grube: Perfekt geraten!
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Mit einer Winde wird das etwa 30 Kilogramm schwere Räucherschwein nach oben gezogen.
Mit einer Winde wird das etwa 30 Kilogramm schwere Räucherschwein nach oben gezogen.
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