Sensation zwischen Wittenberg und Coswig Sensation zwischen Wittenberg und Coswig: Archäologen finden Eisenzeit-Gewerbepark

Griebo - Archäologen haben einen bedeutenden Fund im Wittenberger Ortsteil Griebo gemacht: Sie fanden die Überreste einer Siedlung, die weit über tausend Jahre in den Flussauen der Elbe und unweit des heutigen Grieboer Bachs existierte. Die ältesten Funde stammen aus dem Jahr 450 vor Christus, die jüngsten aus dem Frühmittelalter um 900 nach Christus.
Über weite Strecken müssen die Bewohner eine Art frühzeitlichen Gewerbepark unterhalten haben. Die Wissenschaftler vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Halle fanden dicht an dicht gebaute Brennöfen, Wohnhäuser, Lagerstätten und Schlacke, die zeigt, dass hier Eisenverhüttung und Kalkbrennen stattgefunden haben.
Die Rohstoffe dafür gewannen die Menschen in der Eisenzeit offenbar aus der Umgebung. Das Raseneisenerz schöpften sie aus den nahen Gewässern, Wiesenkalk konnte dort ebenfalls gefunden werden. Den Kalk nutzten die Menschen zur Herstellung von Mörtel. Dafür musste der sehr wasserhaltige Wiesenkalk allerdings zuvor gebrannt werden - über 970 Grad heiße Öfen brauchten sie dafür. Praktisch für die Menschen der Eisenzeit, dass genug Wald und damit Brennstoff in der Nähe war.
Die Fundstücke sind zahlreich: über 1200 Stücke – von Mühlsteinen bis zu großen Krügen, Schmuck und Kämmen aus den Jahrhunderten förderten die Wissenschaftler zu Tage. Welche Waren hier genau gefertigt wurden ist noch unklar, die Wissenschaftler hoffen auf weitere aufschlussreiche Fundstücke.
„Das wirft viele Theorien über den Haufen, die wir zur Siedlungsgeschichte des Mitteldeutschen Raumes hatten“, sagt Dr. Susanne Friedrich vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Halle. Noch vor einem halben Jahr habe sie „im Brustton der Überzeugung die These vertreten“, dass das nahe Gebiet der Elbe gerade in kühlen Perioden kaum besiedelt war.
Nun aber haben die Wissenschaftler eine Siedlung ausgegraben, die nach den Erkenntnissen fast 1500 Jahre lang in der Aue existierte. Um 1000 vor Christus sei es in der Region relativ warm und trocken gewesen. Als es danach jedoch kälter wurde, hätten sich die Menschen nach bisherigen Erkenntnissen zurückgezogen - bei Griebo gilt das nicht.
Diese Zeitperiode markiert das Ende der Frühgeschichte und den Anfang des Mittelalters. Benannt ist sie - ebenso wie Stein- und Bronzezeit nach dem verwendeten Material zur Werkzeugherstellung. Im nördlichen Mitteleuropa reicht sie von etwa 750 vor Christi bis 500 nach Christi. Der Großteil der Menschen ernährte sich weiter selbst durch die Landwirtschaft, allerdings kam es immer mehr zu Spezialisierungen.
Und: Die vollen Ausmaße des frühen „Gewerbeparks“ sind noch unklar. Die Archäologen haben bislang nur auf einem zehn Meter breiten Korridor gegraben. Der Fund wurde möglich, weil im Vorfeld zur Erneuerung einer Gasleitung Untersuchungen angestellt werden. In einigen Wochen soll der Korridor verbreitert werden – möglicherweise können geomagnetische Untersuchungen Aufschluss über die Ausmaße der frühzeitlichen Siedlung unter den umliegenden Äckern geben.
Es gibt auch deutliche Hinweise darauf, warum die Menschen schließlich gingen: Offenbar wütete hier eine Feuersbrunst. Möglicherweise, so Friedrich, habe eine dicht an die Öfen gebaute Hütte Feuer gefangen. Der starke Wind auf dem Gelände hätte dann sein Übriges getan.
Sichtbar sind die Spuren des Feuers unter anderem an den Überresten der Hütten, die in sich zusammengefallen waren und Habseligkeiten der Bewohner unter sich begraben hatten. Gefunden wurde etwa ein Kinder-Armreif aus der römischen Kaiserzeit.
„Pompeji-Effekt“ nennt Archäologin Friedrich den Fakt, dass viele zurückgelassenen Stücke gefunden wurden. Eine Katastrophe für die Bewohner, ein Glücksfall für die Wissenschaftler. Die sind bereits gespannt auf den nächsten Spatenstich. (mz)