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Schlosskirche Wittenberg Schlosskirche Wittenberg: Putzwochen bei 150 Jahre altem Instrument

Von Ilka Hillger 27.04.2016, 17:26
3 500 Pfeifen in 57 Registern gibt es an der Ladegast-Orgel der Schlosskirche zu putzen. Sebastian Markgraf, Orgelbauer aus Bautzen, installierte am Mittwoch die neu garnierte Klaviatur im „Cockpit“ des Kantors.
3 500 Pfeifen in 57 Registern gibt es an der Ladegast-Orgel der Schlosskirche zu putzen. Sebastian Markgraf, Orgelbauer aus Bautzen, installierte am Mittwoch die neu garnierte Klaviatur im „Cockpit“ des Kantors. Thomas Klitzsch

Wittenberg - „Gehen wir mal ins Instrument.“ So einen Satz kann nur ein Orgelbauer sagen. Kopf einziehen also, und schon ist man drin im Haus der Musik. Mit rund zwölf Metern Höhe und nicht weniger Breite hat die Ladegast-Orgel der Wittenberger Schlosskirche durchaus die Ausmaße eines Einfamilienhauses. Mächtig thront sie auf der Empore. Ein eindrucksvolles Konstrukt, vor allem aus Holz, verwinkelt, mit vielen Leitern und Verbindungen und Leisten, von denen nur der Fachmann weiß, was sie zu bedeuten haben.

Sebastian Markgraf ist ein solcher. Er ist derzeit mit der Komplettreinigung der Orgel befasst. Ein Job für ihn und drei Kollegen, der vier Wochen dauern soll. Es ist also ein großer Hausputz, den sich die Bautzener Firma Hermann Eule Orgelbau da vorgenommen hat. „Das macht man aber auch nicht so oft“, sagt der 33-Jährige. Seine Traditionsfirma aus Sachsen - der zweitgrößte Orgelbauer der Republik - hatte sich die Ladegast-Orgel der Schlosskirche das letzte Mal 1994 vorgenommen und das Instrument aus dem Jahr 1863 damals auf den Ursprung von Erbauer Friedrich Ladegast zurück geführt.

Lange war die Schlosskirche Wittenberg für den Besucherverkehr nicht oder nur im Rahmen von Baustellenführungen oder bei sehr ausgewählten Veranstaltungen zugänglich. Und auch jetzt kann nicht jeder zu jeder Zeit das zum Unesco-Weltkulturerbe gehörende Bauwerk besichtigen. Zwar sollen die großen Sanierungsarbeiten in den kommenden Wochen die „Zielgerade“ erreichen, wie es in einer Mitteilung heißt. Dennoch muss auf die Mitarbeiter der Firma Hermann Eule Orgelbau aus Bautzen Rücksicht genommen werden, welche die Komplettreinigung der Ladegast-Orgel durchführen. Zusätzliche Staubentwicklung wäre diesem aufwendigen Vorhaben wenig zuträglich.

Vom 2. Mai bis 10. Juni bleibt die Kirche wochentags geschlossen. Besucht werden kann sie nur samstags von 10 bis 18 Uhr sowie sonntags von 11.30 bis 18 Uhr (also im Anschluss an den Gottesdienst) und im Rahmen von öffentlichen Führungen. Diese finden Montag bis Freitag um 10.30 und 13.30 Uhr (Dauer rund 30 Minuten) statt. Am Sonnabend beginnen sie um 10.30, 13.30 und 16 Uhr (Dauer etwa 45 Minuten) und Sonntag um 11.30 und 15 Uhr (Dauer ca. 45 Minuten). Ab 11. Juni und bis 8. Juli kann sie werktags von 10.30 bis 14.30 Uhr, Sonnabend von 10 bis 18 und Sonntag von 11.30 bis 18 Uhr (10 Uhr Gottesdienst) besucht werden. Die öffentlichen Führungen in dieser Zeit dauern 45 Minuten und werden Montag bis Freitag um 10.30 und 13.30 Uhr, Sonnabend um 10.30, 13.30 und 16 Uhr sowie Sonntag um 11.30 und 15 Uhr angeboten. Die Teilnahme kostet vier Euro pro Person (ermäßigt zwei Euro). Vorherige Anmeldungen sind nach Auskunft von Kustos Jörg Bielig vom Predigerseminar nicht erforderlich. „Angestrebt“ werde eine Gruppenstärke von 30 bis 50 Personen. Dann dürfte es auch keine Akustik-Probleme geben.

Im April wurde u. a. die neue Akustik-Anlage in der Schlosskirche installiert und kalibriert. Noch in Arbeit sei der Einbau der neuen Windfang-Glastür am Nordeingang. Restarbeiten gibt es am Fußboden mit seinen historischen Steinplatten. Die Wiedereinweihung der Schlosskirche ist am 2. Oktober 2016. (mz/cni)

Änderungen der Öffnungszeiten und der Führungen sind aufgrund der Bautätigkeiten und anderer Veranstaltungen möglich. Aktuelle Auskünfte gibt es unter Telefon 03491/40 25 85.

22 staubreiche Jahre sind seitdem vergangen. Luft zirkulierte im Kirchenschiff und trug den Staub nach oben, er legte sich auf alle Flächen und in die Ritzen, rieselte in die Pfeifen. „Das verfälscht natürlich den Klang“, weiß Markgraf. Bei den Protestanten jedoch längst nicht so schnell wie bei den Katholiken.

Markgraf erklärt: „In evangelischen Kirchen sollte man eine Orgel nach 25 Jahren und in katholischen nach 15 Jahren reinigen.“ Der Weihrauch der Katholiken gibt den kürzeren Rhythmus vor. Dass die Orgelspezialisten aus Bautzen in der Schlosskirche noch vor dem normalen Turnus am Werk sind, liegt natürlich an der Generalsanierung der Kirche und am Baustaub, der binnen weniger Monate das an Schmutz lieferte, was sonst nur Jahre schaffen.

So ziemlich alle denkbaren Putzgerätschaften kommen deshalb bei den Orgelbauern zum Einsatz, über Lappen und Sauger bis hin zum Wannenbad. Fast alle der 3 500 Pfeifen in ihren 57 Registern werden der Komplettreinigung unterzogen. Die Handlichen werden ausgebaut, die Großen an ihrem Platz geputzt. Von den Giganten gibt es einige. Nicht nur jene mit gut fünf Metern Höhe, die man im Prospekt sieht, sondern auch die 32 Fuß hohen - also fast zehn Meter - im Orgelinneren.

Für Sebastian Markgraf und seine Kollegen bleibt es jedoch nicht nur beim Schmutz, toten Insekten oder Vogelkadavern. „Wir haben viel Schimmel gefunden“, sagt er, vor allem an den Holzteilen. Der wurde entfernt und alles imprägniert. Die Klaviatur wurde in Bautzen saniert, dort neu garniert und mit Kaschmir gefüttert.

„Wir arbeiten viel mit Kaschmir, aber auch mit Leder und Filz“, sagt der junge Orgelbauer, der eigentlich Klavierbauer werden wollte. Der Vater war so einer und riet ihm eher zur Orgel. Vaters Rat zu folgen, hat Markgraf nicht bereut. „Jede Orgel ist anders, immer ein Unikat“, sagt er. Selbst wenn ein Ende der Arbeiten manchmal nicht absehbar sei und es beim Klavier eindeutig schneller mit dem Putzen gehen würde, tauschen möchte Sebastian Markgraf nicht.

Die Ehrfurcht packt ihn noch immer, wenn die Königin der Instrumente erst einmal loslegt. „Ein ganzes Orchester steckt in der Orgel, dazu Meeresrauschen und die menschliche Stimme“, schwärmt er.

Bevor Schlosskirchenkantor Thomas Herzer all diese Register ziehen kann, gibt Sebastian Markgraf die Orgel-Baustelle jedoch noch an seine Kollegen ab: die Intonateure, die Männer mit den feinen Ohren, dem nahezu absolutem Gehör. Sie werden bis zu sechs Wochen benötigen, um für jede der 3500 Orgelpfeifen wieder den richtigen Ton zu finden. „Danach ist der Klang deutlicher, sauberer und prägnanter“, verspricht Sebastian Markgraf. Man wird es hören, wenn die Orgel zur Eröffnung der Schlosskirche wieder in einem Konzert erklingt. „Der Kenner hört den Unterschied.“ Dann hat sich das Putzen gelohnt. (mz)