Reise nach Berlin steht unter keinem günstigen Stern
BÜLZIG/MZ. - Vor 100 Jahren rückten Bülzig und das Wittenberger Land mit einem Schlag in den Mittelpunkt des Volksinteresses. Das hatte mit einer neuen Liebe der Deutschen zu tun: Der Begeisterung für "den Zeppelin"! Noch heute kündet ein schlichter Gedenkstein nahe Abtsdorf in Bülziger Flur von dem historischen Ereignis der Notlandung des Luftschiffs Z III am 30. August 1909 an dieser Stelle. Dass in jenen Tagen der Anblick eines Zeppelins Menschen in einen Taumel der Begeisterung versetzte, ist heute nicht leicht zu begreifen. Vergleiche hinken, aber für die damaligen Zeitgenossen war das Erleben einer solchen Riesenzigarre ein ähnlich gewaltiges Erleben wie es für uns die Teilnahme am Start einer Weltraumrakete wäre.
Legendäres Luftschiff
Das Zeppelin-Luftschiff Z III war nicht irgendein Luftschiff der mehr als 120 "Zeppeline"-Starrluftschiffe, die bis 1937 gebaut werden sollten, nein, es war ein legendäres. Sein Schöpfer, der württembergische Graf Ferdinand von Zeppelin, hatte sich seit 1890 der Verwirklichung seiner großartigen technischen Idee gewidmet und schon 1898 ein Kaiserliches Patent auf seine Entwürfe erhalten. Das erste seiner Luftschiffe LZ 1 ließ er 1899 am Bodensee durch eine Aktiengesellschaft erbauen. Das Luftschiff LZ 1 unternahm mehrere Probefahrten, hatte jedoch eine zu schwache Motorenleistung, unzureichende Seiten- und Höhensteuerung und zu geringe Tragkraft. Es musste abgewrackt werden, das Kapital der Aktiengesellschaft war verbraucht. Der Grundstock für die nachfolgend gebauten LZ 2 und LZ 3 waren Spenden, Einnahmen einer Luftschiff-Lotterie und eine eher symbolische Beihilfe aus einem Fonds der kaiserlichen Regierung. LZ 2 stieg im Januar 1906 ein einziges Mal auf und wurde durch einen Sturm unreparierbar beschädigt. Erst LZ 3 war ein Erfolgsmodell mit verbesserter Stabilität und Lenkbarkeit. Graf Zeppelin arbeitete an neuen, besseren Lösungen. Doch er und seine Getreuen waren vom Pech verfolgt. Das neue Luftschiff LZ 4 stieg am 4. August 1908 auf - und verbrannte nach seiner ersten Landung auf festem Boden.
Jetzt aber entwickelte sich eine nationale Sympathiebewegung für Zeppelin und seine Idee! In Deutschland wurden mehr als sechs Millionen Reichsmark gesammelt. Kaiser Wilhelm II. genehmigte am 10. Oktober 1908 den Kauf des noch vorhandenen Luftschiffs LZ 3 durch die Preußische Oberste Heeresleitung. Jetzt hatte Graf Zeppelin die Mittel für neue Bauten und Erprobungen, aber der kaiserliche Rückenwind brachte ihn auch in Zugzwang. Der Kaiser wollte ein deutsches Luftschiff am Himmel der Reichshauptstadt sehen. Es sollte Deutschlands Anspruch auf Weltgeltung unterstreichen. Graf Zeppelin hatte inzwischen LZ 5 in Dienst gestellt.
Im Mai 1909 versucht er mit diesem nach Berlin zu fahren, aber er schafft es nicht und muss über Bitterfeld abdrehen. Die in Hochspannung versetzte Kaiserfamilie und mit ihr Volksmassen haben den Zeppelin auf dem Tempelhofer Feld erwartet, die Enttäuschung ist riesengroß, und der Druck, über Berlin zu erscheinen, wächst. Der Kaiser fürchtet eine Blamage - die muss vermieden werden. In geheimer Absprache wird beschlossen: Der Berlin-Versuch muss erfolgreich wiederholt werden.
Diese Fahrt mit dem Z III will Graf Zeppelin mit seiner zivilen Mannschaft bestreiten, mit dem seit 1899 erprobten Oberingenieur und Kommandeur Ludwig Dürr, dem Ingenieur Lau und dem Bordmonteur Schwarz. Er wird ihre Erfahrung brauchen - die Reise steht unter keinem günstigen Stern.
Zwei Zylinder geplatzt
Am 27. August 1909 startet Z III am Bodensee - und muss mitten in der Nacht bereits in Nürnberg niedergehen: Havarie! Im Motor der vorderen Gondel sind zwei Zylinder geplatzt - eine Kinderkrankheit, es wird sofort repariert. Am 28. August um 2 Uhr 10 Minuten startet Z III in Nürnberg erneut zur direkten Fahrt nach Bitterfeld. Dorthin war Graf Zeppelin bereits am Vortag vorausgereist. In Bitterfeld sucht ihn der preußische Kronprinz im Hotel auf. Beide erwarten am späten Abend Z III, das am Morgen des 28. August mit Graf Zeppelin an Bord von Bitterfeld nach Berlin weiterfahren soll. Das Eintreffen von Z III ist für den 28. August nachmittags vier Uhr am Paradeplatz Tempelhofer Feld vorgesehen, man rechnet mit drei Millionen Schaulustigen. Doch daraus wird erst einmal wieder nichts.
Nach dem Start in Nürnberg ist Z III über dem Frankenwald in einen Sturm geraten, der verlangsamt die Fahrt bis fast zum Stillstand. Dann gewinnt die Fahrt an Tempo, doch auf der Höhe von Crimmitschau (Sachsen) erleidet Z III einen Motorenausfall! Das Stahlband, das den Motor mit dem linken Propeller verbindet, reißt. Kommandeur Dürr muss eine Notlandung in Leipzig-Eutritzsch ins Auge fassen, entscheidet sich jedoch, die Weiterfahrt nach Bitterfeld mit halber Kraft zu wagen. Er lässt Z III über dem vorgesehenen Notlandeplatz in Eutritzsch heruntergehen und wirft ein Blatt ab, darauf steht: Es geht mit einem Motor nach Bitterfeld weiter. Z III landet gegen 18 Uhr in Bitterfeld.
Die Meinungen über das weitere Vorgehen gehen auseinander. Soll man an den Bodensee zurück? Dürr übernimmt die Verantwortung, mit drei Propellern nach Berlin weiterzufahren. Am Sonntag, 29. August, um 4 Uhr wird Gas nachgefüllt, um 7 Uhr gestartet - diesmal kommt Z III zügig voran und trifft bereits um 11.20 Uhr am Stadtrand in Lichterfelde ein. Z III muss zum Zeit schinden in der Luft kreuzen, um nicht zu früh zu erscheinen. Dann ist die verabredete Zeit gekommen, Kaiser Wilhelm II. und die Kaiserin mit der gesamten Familie und dem Hofstaat sind pünktlich eingetroffen. Nun erscheint in Tieffahrt majestätisch Z III über dem Feld und kreuzt 30 Minuten lang über den Berliner Häuptern, Graf Zeppelin und sein Kommando nehmen die Huldigung der Menge entgegen. Dann setzt Z III seine Fahrt zum Tegeler Schießplatz fort und landet. Um 13.55 Uhr springt Graf Zeppelin aus der Gondel, schreitet auf seinen dorthin geeilten Kaiser Wilhelm II. zu, der presst ihm die Hand und, Gipfel der Auszeichnung, küsst ihn auf die Wange! Schließlich bringt der Kaiser ein Hoch auf den Grafen aus, in das die tausendköpfige Menge aus voller Brust einstimmt.