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Reformhaus Glaubig in Wittenberg Reformhaus Glaubig in Wittenberg: Eine Institution zieht um - und packt aus

Von Irina Steinmann 17.08.2019, 03:00
Dritte Generation. Anja Luise Glaubig vor ihrem Reformhaus in der Schloss-Straße 32. In einigen Wochen zieht der Laden in die Collegienstraße um. Die Geschäftsfrau hat dort auch Neues vor und braucht dafür mehr Platz.
Dritte Generation. Anja Luise Glaubig vor ihrem Reformhaus in der Schloss-Straße 32. In einigen Wochen zieht der Laden in die Collegienstraße um. Die Geschäftsfrau hat dort auch Neues vor und braucht dafür mehr Platz. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Lage, Lage, Lage, heißt es im Immobilienwesen und selbige ist nun auch einer der Gründe, warum eine Wittenberger Institution der Schloss-Straße den Rücken kehrt. Das „Reformhaus Glaubig“ will raus aus dem Schatten der benachbarten Freisitz-Gastronomie und der Absperrung durch Bachgeländer. Anja Luise Glaubig zieht mit ihrem Geschäft in die Collegienstraße und verspricht sich dort „mehr Laufkundschaft durch eine höhere Sichtbarkeit“, wie sie sagt. Voraussichtlich am Reformationstag - passt irgendwie für ein Reform-Haus - soll Eröffnung sein in der Collegienstraße 18.

Lose Ware

Außerdem, sagt die 48-Jährige, die den Namen Glaubig seinerzeit nicht ohne Grund behalten hat nach der Scheidung, brauche sie auch mehr Platz. Ein kleines Bio-Café, in der warmen Jahreszeit mit Freisitz, soll künftig das bisherige Reformhaus-Angebot ergänzen. Ein eigener Raum wird für Kurse zum Ernährungs-Coaching reserviert. Und: Der Umzug von „Glaubig“ wird Wittenberg auch den mutmaßlich ersten Unverpackt-Laden bescheren.

„Für mich persönlich“, sagt die Reformhausfachberaterin, sei die Vermeidung von Verpackungs- und insbesondere Plastikmüll „schon länger Thema“. Jetzt wolle sie auch jene Waren, die dies zulassen, lose anbieten. Dabei handele es sich insbesondere um Grundnahrungsmittel wie Reis oder Linsen, Flocken und Sonnenblumenkerne. Ein zweites Segment aus dem Unverpackt-Angebot werden Reinigungsmittel sein, Wasch- und Spülmittel, Handseifen etc. Die Behälter hierfür könnten entweder mitgebracht werden - das wäre ihr am liebsten, sagt Glaubig - oder auch zur Mehrfachverwendung erworben werden. Last not least lasse sich auch im Bereich Hygieneartikel einiges an Plastik, Papier und anderem Material einsparen. Als Beispiele nennt sie etwa Küchentücher, Binden und kompostierbare Zahnbürsten, letztere habe sie bereits im Angebot. Von einem Produzenten aus Zossen wolle sie zudem „veganes Wachspapier“ beziehen, als Ersatz für Plastiktüten.

Starten werde sie im Unverpackt-Bereich mit einem Probe-Sortiment, das bei entsprechender Nachfrage erweitert werde. Im Alltag Plastik zu vermeiden, sei allerdings nach wie vor nicht einfach, verweist sie etwa auf die Frischhaltung von Brot oder Salat. In die Kritik geraten ist seit geraumer Zeit neben Plastikmüll auch die Verschwendung von Lebensmitteln. Über die App „to good to go“ (etwa: zu gut, um weggeworfen zu werden) können Glaubigs Kunden bereits heute dazu beitragen, Essen vor dem Mülleimer zu retten, entsprechende Waren werden dann zu einem reduzierten Preis verkauft.

Das Thema Lebensmittel will Anja Luise Glaubig, die sich selbst „pflanzenbasiert“ ernährt, also vegetarisch, fast vegan, in ihrem neuen Laden auch in Form von Kursen auf die Agenda setzen. Die Zusatz-Ausbildung zum Ernährungscoach hat sie vor kurzem absolviert und mit einer IHK-Prüfung abgeschlossen, fortan möchte sie Menschen nicht nur gesunde Waren anbieten sondern auch die „Methodik“ vermitteln, ihre Ernährungsgewohnheiten umzustellen. „Der, der das Problem hat, hat auch die Lösung“, setzt sie dabei auf den individuellen Zugang. Dass man über die Ernährung seine Gesundheit verbessern kann, steht für Glaubig außer Frage.

Letztlich ist das ja auch der Grundgedanke der etwa 130 Jahre alten Reformhaus-Bewegung, die in einer bundesweiten Genossenschaft organisiert ist. Wobei, wie Anja Luise Glaubig betont, ein Reformhaus nicht dasselbe sei wie ein Bioladen. Dies betreffe etwa die Kontrolle der Produkte und die Anforderungen an Betreiber, auch sei die Reformhaus-Bewegung von Anfang an vegetarisch aufgestellt gewesen, nach dem Motto „Nichts von toten Tieren“.

Es begann 1925

Die Familie Glaubig, in die Anja Luise Glaubig wie gesagt eingeheiratet hatte und so seit bald 30 Jahren im Reformhaus-Geschäft tätig ist, begann 1925 mit Willy Glaubig, dessen Name bis heute an dem einzigen noch grauen Haus in der Schloss-Straße prangt, der Nummer 32. Eigentlich Buchbinder, verlegte er sich auf den offenbar lukrativeren Verkauf von Seifen und Bürsten. Nach seinem Tod in einem Sowjet-Lager nach dem Zweiten Weltkrieg führte seine Frau Margarethe das Geschäft weiter. Deren Sohn Gerhard, ihr ehemaliger Schwiegervater, habe 1965 eine Genehmigung bekommen (müssen), es weiter zu betreiben. Die DDR-Zeit sei schwierig gewesen. Ein Reformhaus wurde „Willy Glaubig“ jedenfalls erst nach der Wende.

Was es künftig sein wird, wisse sie nicht, sagt Anja Luise Glaubig. Dem „Risiko“ des neuen Standortes sieht sie hoffnungsfroh entgegen. Stammkundschaft gibt es.

(mz)