"Lutherreliquie" nach Wittenberg zurückgekehrt "Lutherreliquie" nach Wittenberg zurückgekehrt: Reliquienkult um Reformator Luther ist für Museen ein Problem

Wittenberg - Nach rund 100 Jahren ist ein einst verschwundenes Stück der Wohnstube des Reformators Martin Luther (1483-1546) nach Wittenberg zurückgekehrt. „Den Span vom Fußboden der Lutherstube hatte eine Frau Anfang des 20. Jahrhunderts abgehobelt und in die USA mitgenommen“, sagt Mirko Gutjahr, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Luthergedenkstätten Sachsen-Anhalt. „Die Frau - wir wissen nur, dass sie Lehrerin war - befand sich damals auf einer Weltreise. Jetzt nach ihrem Tod wurde das Stück bei einer Versteigerung angeboten.“
Das Problem ist, dass immer wieder Besucher „Andenken“ mitnehmen oder sich in Mauern oder Möbeln verewigen. Dieses illegale Sammeln von „Lutherreliquien“ betrifft auch das Geburtshaus sowie das Museum Sterbehaus in Eisleben. Über die Jahrhunderte wurde das Inventar dadurch arg in Mitleidenschaft gezogen. „Die wichtigsten Stücke sind jetzt gesichert“, sagt Gutjahr. Selbst Prominente konnten dem Drang nicht widerstehen. „Der russische Zar Peter der Große (1672-1725) hinterließ mit Kreide seinen Vornamen in der Lutherstube bei einem Besuch am 14. Oktober 1712 in Wittenberg“, erzählt Gutjahr. Während die Hinterlassenschaften der anderen Besucher regelmäßig entfernt wurden, kam Peters Namenszug schon bald hinter Glas und ist noch heute zu bewundern.
Um dem Treiben Einhalt zu gebieten, wurden schon sehr früh - ab 1783 - Besucherbücher im Lutherhaus in Wittenberg ausgelegt. „Das dämmte das Problem etwas ein, zumal sich auch viele Prominente in die Bücher einschrieben“, sagt Gutjahr, der auch als Kurator für die nationale Lutherausstellung 2017 in Wittenberg verantwortlich ist - unter anderem der Bildhauer und Grafiker Johann Gottfried Schadow (1764-1850), Turnvater Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) und der Erfinder der Reklamesäule, Ernst Litfaß (1816-1874).
In einem Forschungsprojekt sollen die rund 100 Bücher bis zum Reformationsjubiläum 2017 komplett digitalisiert und auf einer speziellen Homepage der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Auf der nächsten Seite: "Luther"Tintenflecken auf der Wartburg abgekratzt.
„Reliquienhascherei ist eine alte Tradition“, berichtet auch die wissenschaftliche Leiterin der Wartburg-Stiftung in Eisenach, Jutta Krauss. Dort haben die Leute der Legende geglaubt, wonach Luther in einer Stube mit dem Tintenfass nach dem Teufel geworfen haben soll - und den Fleck Stück für Stück abgekratzt. Noch heute fehlt an dieser Stelle der Putz. Ansonsten wurde das Phänomen auf der Wartburg durch Videoüberwachung und Aufsichtspersonal weitestgehend zurückgedrängt.
„In der Lutherstube gibt es so etwas nicht mehr, wohl aber am Burgtor. Wenn niemand schaut, ritzt doch der eine oder andere Besucher schnell etwas in die Mauer“, sagt Krauss. In früherer Zeit war das ein größeres Problem. „So wurde der Kastentisch auf der Wartburg, an dem Luther im Herbst 1521 die Bibel übersetzt haben soll, bis 1817 so weit von den Besuchern abgeschnitzt, dass er durch ein ähnliches Modell jüngeren Datums ersetzt werden musste“, sagt Krauss.
Dagegen blieb der heute noch am Tisch stehende Fußschemel Luthers unversehrt. Das Stück ist aus einem Wal-Knochen gefertigt. „Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass der Knochen selbst für eine Reliquie gehalten wurde, in Anlehnung an die biblische Geschichte aus dem Alten Testament, wonach der Prophet Jonas von einem Walfisch verschlungen wurde“, sagt Krauss.
Im Museum in Luthers Elternhaus in Mansfeld sind Spuren von Besuchern dagegen bislang unbekannt. Es ist allerdings auch erst am 14. Juni eröffnet worden.