Luther und die Avantgarde Luther und die Avantgarde: Kunst zieht aus altem Gefängnis aus

Wittenberg - „Wir haben Lust, diesen Ort als Ort für zeitgenössische Kunst zu erhalten“, sagt Daniel Mouratidis. Der Mann ist zweiter stellvertretender Regierungssprecher in Magdeburg, und der Ort, um den es geht, ist das alte Gefängnis in Wittenberg. Von Mai bis November war dort die Ausstellung „Luther und die Avantgarde“ mit Werken von namhaften zeitgenössischen Künstlern zu sehen.
40.000 Besucher kamen. - Ein enormer Erfolg. Sowohl diese Resonanz als auch die Atmosphäre in der Stadt nennt Walter Smerling von der verantwortlichen Stiftung für Kunst und Kultur in Bonn „eine gute Erfahrung“.
Und fragt, warum man die nicht wieder machen sollte? Auch Wittenbergs Oberbürgermeister Torsten Zugehör sieht das so: „Das kann es nicht gewesen sein“, habe er (nicht nur zu sich) gesagt, als das Ende der Schau absehbar war.
Mangel an Mäzenen
Mouratidis, Smerling, Zugehör. So verschieden ihre Ausgangspunkte sein mögen, so sehr scheint sie der Gedanke zu einen, dass der aufwendig in einer Galerie auf Zeit umgewandelte Un-Ort eine Zukunft als Ort für die Kunst haben kann. Die spannende Frage ist - wie meistens - jene nach der Finanzierung.
Die Ausstellung „Luther und die Avantgarde“ (mit Sonderpräsentationen in Kirchen in Berlin und Kassel) war im alten Gefängnis von Wittenberg zu sehen. Wegen der großen Besucherresonanz (40.000 kamen allein in den Kunst-Knast) wurde die dortige Schau, die sich schnell zu einem Hotspot dieses Reformationssommers entwickelte, bis zum 1. November verlängert. International bekannte Künstler wie Ai Weiwei, Markus Lüpertz, Marzia Migliora oder Jonathan Meese haben die Zellen und weitere Räume des Gefängnisses mit ihren Werken gestaltet und Position bezogen zu Themen wie Widerstand, Freiheit, Verantwortung, Individualität...
Dabei, so Walter Smerling von der Stiftung Kunst und Kultur in Bonn, sei der Ort des Geschehens als „hochsymbolischer Ort, der unmittelbar Assoziationen freisetzt“ für viele Künstler ein besonderer Anreiz gewesen. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm äußerte die Hoffnung, dass durch die Ausstellung „Kirche und Kunst nicht länger als Elfenbeintürme missverstanden werden, sondern als öffentliche Orte der Erkenntnis und Verständigung wirken“.
Geht es nach den Verantwortlichen für die Schau, wird dies auch in Zukunft so sein. Mit Stadt und Land arbeiten sie an Plänen für eine Kunstbiennale ab 2019 im Wittenberger Gefängnis. Einige Künstler hätten angekündigt, ihre Werke dafür zur Verfügung zu stellen. Abgesehen davon sollen ohnehin einige Wandgemälde erhalten bleiben. Dies erklärt Smerling auf Nachfrage der MZ.
Die „Lust“ der zuständigen Mitarbeiter in Sachsen-Anhalts Landesregierung hat Mouratidis schon betont und ergänzt: „Der Gesprächsfaden ist da.“ Aber: „Jetzt müssen wir schauen, dass wir das Geld dafür zusammenkriegen.“
In Frage für eine mögliche Akquise käme auch der Bund. Und, ja, Sponsoren. Leider, so Mouratidis, der aus dem wohlhabenderen Baden-Württemberg stammt, „leider fehlen in Sachsen-Anhalt Mäzene“. Solvente Kunst-Enthusiasten, die, man schaue nur mal ins nahe Potsdam, gleich ein ganzes Museum stiften. Trotzdem sagt Mouratidis über das Wittenberger Gefängnis als Kunstort, er sei „optimistisch, dass wir den Standort erhalten können“.
Was man sich insoweit, ergo für eine Weiterentwicklung vorstellen kann, hatte die Bonner Stiftung kürzlich in einer Pressemitteilung bekanntgegeben: „Gemeinsam mit der Stadt und dem Land Sachsen-Anhalt arbeiten die Veranstalter an Plänen für eine Kunstbiennale, die ab 2019 im Alten Gefängnis Wittenberg stattfinden könnte“, heißt es in dem Papier.
„Für uns ist 2019 ein ambitioniertes Datum“, sagt Mouratidis, der im Übrigen auf Nachfrage zu den Eigentumsverhältnissen erklärt, die Immobilie, welche das Land 2010 vom Amtsgericht übernommen hatte, solle im Besitz des Landes bleiben. Bis die Pläne konkret werden, soll das Gebäude „so unterhalten werden, dass nichts kaputt geht“.
Zustand: betriebssicher
Den Zustand nach der Übernahme des aus wilhelminischer Zeit stammenden Hauses, das schon lange nicht mehr als Gefängnis genutzt wurde, hatte Gudrun Triepel vom Bau- und Liegenschaftsmanagement Sachsen-Anhalt gegenüber der MZ einmal mit „normalem Verfall“ umschrieben.
Das Dach sei dicht gewesen und innen war es trocken. Allerdings habe die Heizung nicht mehr funktioniert, die Elektrik war veraltet. Fit gemacht für die Avantgarde-Schau hatte das Gefängnis „r2017“, der Organisationsverein dieses Reformationssommers zum Jubiläumsjahr 2017.
Von 350.000 Euro war die Rede, die investiert wurden - für einen „betriebssicheren Zustand“. Dass man bei einer dauerhaften Nutzung erheblich investieren müsste, sagt Smerling von der Bonner Kunst-Stiftung. In der wärmeren Jahreszeit und bei einer temporären Nutzung, was bei einer Biennale der Fall wäre, dürfte die Kostenfrage vielleicht weniger brisant werden.
Die Zeit drängt
Hinsichtlich der Gespräche bekräftigt Smerling: „Wir ziehen alle an einem Strang.“ Die Bonner Stiftung könnte das Konzept für eine Kunst-Biennale entwickeln. Dass sie die erforderliche Erfahrung haben und über beste Kontakte in die nationale und internationale Kunstwelt verfügen, haben sie ja nicht zuletzt gerade mit „Luther und die Avantgarde“ bewiesen.
Über den Zeitplan sagt Oberbürgermeister Zugehör: „Aus meiner Sicht müsste sich Anfang 2018 das Kuratorenteam gefunden haben.“ So eine Biennale braucht schließlich Vorlauf. Inhaltlich, findet er, könnte man die Idee der Avantgarde-Schau und Themen wie u. a. Freiheit und Verantwortung weiter „in die Zukunft transportieren“.
Noch sind das Wünsche. Aber Zugehör wirkt zuversichtlich, dass es dabei nicht bleibt. Bis allerdings die Würfel gefallen sind und - womöglich (hoffentlich) - 2019 die erste Kunstbiennale im alten Gefängnis öffnet, will Zugehör selbiges „als öffentlichen Ort im Bewusstsein“ halten. Denkbar ist offenbar manches, „vielleicht könnte man den Hof öffentlich zugänglich machen für kleine Konzerte oder für Gastronomie“.
Der Fokus solle jedoch auf einer „Wittenberg-Biennale“ liegen. (mz)

